"Wir jubeln mit Italien", lautete ein Kommentar aus Deutschland auf Twitter. Ein Europaabgeordneter aus Frankreich schrieb, die Italiener hätten der Europäischen Union eine Lektion in Demut erteilt. Rechte Politiker aus ganz Europa freuen sich mit Giorgia Meloni. Die Parteichefin der rechtsnationalistischen Brüder Italiens ("Fratelli d'Italia") liegt mit ihrem Rechtsbündnis nach der Parlamentswahl vorn und dürfte die künftige Regierung anführen.
Für Italien, ein Gründungsland der EU, ist dies eine Zäsur. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand ein italienisches Parlament weiter rechts als das gerade gewählte. Melonis Brüder Italiens, die ihren Ursprung im Neofaschismus haben, sind mit Abstand die stärkste Kraft. Zusammen mit der rechtsnationalen Lega von Matteo Salvini und der christdemokratischen Forza Italia von Silvio Berlusconi kommen sie auf eine absolute Mehrheit der Stimmen.
Frustrierte Wählerinnen und Wähler
Der Rechtsruck in Italien hat natürlich vor allem mit der politischen Situation im Land selbst zu tun. Viele Italiener sind unzufrieden und frustriert über die politische Klasse. Ein Drittel der Wahlberechtigten blieb der Abstimmung fern. Drei Regierungen waren in Italien in den vergangenen vier Jahren an der Macht. An keiner war Giorgia Melonis Partei beteiligt. Davon hat sie nun profitiert.
Energiekrise, Inflation, ein gefühlter Kontrollverlust bei der Einwanderung, Angst vor der Zukunft - all das hat die charismatische Rechtspolitikerin im Wahlkampf gekonnt aufgenommen und kanalisiert. Sie hat den Menschen versprochen, dass sie sich kümmern wird. Denn genau das wollen viele Italienerinnen und Italiener hören. Die Eliten in Rom haben sie weitgehend abgeschrieben; die nationale Politikerkaste wird nur als Club zur Selbstbereicherung wahrgenommen.
Aber auch die EU wird für die schlechte Lage verantwortlich gemacht. Sie gilt vielen in Italien als abgehoben, zu undurchsichtig, vor allem den Interessen des Kapitals verpflichtet - ein Hort der Formelkompromisse, weit entfernt von den realen Problemen der Menschen in den einzelnen Mitgliedländern.
Gefährliche Rhetorik der Rechtspopulisten
Genau hier hat Giorgia Meloni in ihrer Rhetorik angesetzt. Sie beschimpfte die EU als ein unfähiges, bürokratisches Monster, kündigte an, "die Sause in Brüssel zu beenden", und dort endlich, endlich Italiens Interessen mit Nachdruck zu vertreten. Es könne nicht sein, dass europäisches Recht über dem nationalen stehe.
Zwar fordert Giorgia Meloni seit einiger Zeit nicht mehr, die EU oder die Gemeinschaftswährung Euro zu verlassen. Aber sie wird mit ihrer Fundamentalkritik für die Union zu einem ähnlichen Problem werden wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán - der Mann, der immer wieder mit den EU-Institutionen im Clinch liegt und den Zusammenhalt des Staatenbunds herausfordert.
Eine Gefahr für die Einheit der EU
Das könnte zu einem Problem werden, wenn es um die Geschlossenheit des Westens und der EU gegenüber dem Kreml geht. Zur Zeit ist es nur Orbán, der unter den Regierungschefs der EU fordert, die Sanktionen gegen Russland auszusetzen. Italien könnte nun der nächste Problemfall werden. Denn auch wenn Giorgia Meloni sagt, sie unterstütze die Sanktionen und sei mit der Ukraine solidarisch - ihre künftigen Partner in der Regierung gelten eher als unsichere Kantonisten: Silvio Berlusconi, ein bekennender Freund des russischen Präsidenten, hat erst kürzlich im italienischen Fernsehen behauptet, Putin sei in den Krieg gedrängt worden. Und Lega-Chef Matteo Salvini kritisierte die EU-Sanktionen als Maßnahmen, die "uns in die Knie gezwungen" hätten.
Daher stellt sich schon die Frage, wie einig und geschlossen die Europäische Union gegenüber Russland künftig auftreten wird - jetzt, wo es mehr denn je darauf ankommt. Wenn ein harter und kalter Winter die Energiekrise verschärft, wird das auch Populisten in anderen EU-Staaten stärken. In Schweden sind bei der Parlamentswahl vor zwei Wochen die rechtsnationalistischen Schweden-Demokraten zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen. Giorgia Melonis Wahlsieg in Italien hat nun das Lager der EU-Kritiker weiter gestärkt.
Die Probleme der Menschen angehen
Italien braucht die EU, die es mit aufgebaut hat. 220 Milliarden Euro soll das Land aus dem Corona-Wiederaufbaufonds bekommen - Geld, das zur Stabilisierung der Wirtschaft dringend benötigt wird. Daran ändert auch der Wahlsieg der Rechtspopulisten nichts. Aber das Beispiel Ungarn zeigt, wie sehr es der Union schadet, Feinden im Inneren ausgesetzt zu sein. Vor allem aber zeigt der Aufstieg von Meloni und Co., dass die EU endlich mehr Mut zeigen muss, wenn es darum geht, die Probleme anzugehen, die die Menschen in der EU beschäftigen.