Regionen, in denen sich SARS-CoV-2 nahezu ungebremst ausbreiten kann, wo die Immunisierung zu gering ist, bilden den Nährboden dafür, dass sich das Virus weiter entwickeln kann. Also noch ansteckender, noch gefährlicher wird. Das ist grundsätzlich unstrittig und es ist gut möglich, dass die neue Omikron-Mutation diesem Lehrsatz folgt: Dass sie ein Ergebnis davon ist, dass der reiche Teil der Welt den ärmeren Ländern bisher nur wenig Impfstoff geliefert hat.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, die das Virus uns Menschen jetzt einmal mehr im Spiegel vorhält. Viel wichtiger ist zu begreifen: Das Problem sind wir. Das zeigt sich nun wieder an der Reaktion auf die ersten Nachrichten über diese Mutante.
Rassismus statt Unterstützung
Gesundheitsfachleute aus Südafrika haben vergangene Woche die Welt alarmiert. Sie haben ihre Erkenntnisse über die gerade entdeckte B 1.1.529 Mutation öffentlich gemacht. Sie haben getan, was Michael Ryan, der Direktor des WHO-Notfallprogramms seit März 2020 sagt: "Geschwindigkeit übertrumpft Perfektion. Der größte Fehler ist, sich gar nicht zu bewegen. Wenn man erst alles richtig machen muss, bevor man sich bewegt, wird man nie gewinnen."
Die Welt sollte sich bei den Südafrikanerinnen und Südafrikanern bedanken dafür, dass sie momentan genau so handeln: dass sie über das Know-How zur Pandemie-Kontrolle verfügen bis hin zur Analyse der Viruslast in Abwässern. Es ist sicherlich auch richtig, zunächst die Flugverbindungen aus den Ländern des südlichen Afrika auszusetzen. Denn dass sich das Virus in der vernetzten Welt rasant verbreitet, ist in der Forschung unstrittig.
Doch was folgt daraus? Wo sind die Flugzeuge, die jetzt in die Gegenrichtung fliegen, die Impfstoff und vor allem die neuen Antikörper-Medikamente in den Süden von Afrika bringen? Die Fachleute in Südafrika können viel, doch auch ihre Kapazitäten sind endlich. Da geht es auch um logistische Unterstützung für die Nachbarländer und die ganze Großregion. Tatsächlich passiert etwas ganz anderes, auch in Deutschland. Hier fabulieren Zeitungen von einem "südafrikanischen Virus" und präsentieren neben der Schlagzeile ein Foto mit Schwarzen und zeigen der Welt vor allem eines: ihren blanken Rassismus.
Europa guter Nährboden für die nächste Mutation
Der WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus hat in seiner Eröffnungsrede zur Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation am Montag einmal mehr deutlich gemacht, dass neben Schnelligkeit nur enge internationale Kooperation aus dieser Pandemie führt. Die "Impulse des Isolationismus, der Rivalität, Argwohn und Misstrauen" sind Gründe, warum die Welt auch zwei Jahre nach Beginn dieser Pandemie dem Virus hinterher läuft, sagte er. Und, da mag Tedros vielleicht auch an Deutschland gedacht haben, wo die Ära Angela Merkels endet und sich gerade eine neue Regierung bildet: "Die Kurzsichtigkeit der Wahl- und Medienzyklen” sind Gift für eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung.
Gerade das reiche Europa, das aktuell wieder das Epizentrum dieser globalen Pandemie ist, sollte da genau zu hören. In Südafrika wurde die neue Mutation von SARS-CoV-2 als erstes in der Provinz Gauteng entdeckt. Noch ist unklar, ob sie dorthin eingeschleppt wurde oder dort entstanden ist. Eines wissen wir aber schon: Die Impfquote und der Grad der Immunisierung nach einer COVID-19-Erkrankung ist in Gauteng ähnlich niedrig wie in vielen Regionen Europas. Und da feiert das Virus, seine Delta-Variante, seit drei Monaten einen Rekord nach dem anderen. Es ist ein guter Nährboden für die nächste Mutation.