Macrons Heuchelei im Tschad
Als Emmanuel Macron bei der Beisetzung des Präsidenten des Tschad, Idriss Déby Itno, in N'Djamena das Wort ergriff, hielt er nicht nur eine Trauerrede auf seinen verstorbenen Amtskollegen. Er trug auch das Fundament des Tschad zu Grabe - dessen Verfassung. Dabei hatte er doch bei seinem Einzug in den Élysée-Palast 2017 noch versprochen, mit der Afrika-Politik seiner Vorgänger zu brechen.
Roland Marchal, Tschad-Spezialist an der Sciences-Po, dem Zentrum für Internationalen Studien in Paris, schrieb in der Tageszeitung 'Le Figaro': "Das Problem ist nicht so sehr, dass Macron zur Beerdigung reist. Frankreich war immer ein Verbündeter von Idriss Déby, und mit Blick auf unsere Verbündeten in Afrika wäre es taktlos gewesen, ihn im Tod allein zu lassen. Das Problem ist, dass er einen Staatsstreich vorbehaltlos gebilligt hat."
Militärischer Übergangsrat
Denn vor dem französischen Präsidenten bei der Trauerfeierhatte bereits ein obskurer Militärischer Übergangsrat (CMT) gesprochen: Die etwa fünfzehn hochrangigen Mitglieder der tschadischen Armee, die den Tod des Staatsoberhauptes verkündet hatten, erklärten sich fast zeitgleich zu Vertretern des souveränen tschadischen Volkes und räumten sich selbst alle Vollmachten des Präsidenten ein. Zweifelsohne hatten sie vorab bereits die diskrete Salbung von Paris erhalten. Die Abfolge der Ereignisse legt dies nahe.
Und so erklärt sich auch der unverhohlene Paternalismus von Josep Borell, dem Chef-Diplomaten der EU, dessen Worte zum Tod Débys an die dunkelsten Stunden der Kolonialisierung erinnerten: "Wir müssen dem Tschad helfen. Wir müssen über politische Überlegungen hinausgehen." Was für ein Paradoxon! Dem Tschad "helfen", indem wir seine Institutionen und seine Verfassung mit Füßen treten?
Warum ist die verfassungsmäßige Ordnung des Tschad nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie geschrieben ist? Das sollten sich vor allem diejenigen fragen, die behaupten, angesichts der drohenden Destabilisierung durch bewaffnete Rebellen komme es in erster Linie darauf an, die Einheit des Landes zu bewahren. Dabei ist die Antwort doch ganz einfach: Frankreich hat in seinen Beziehungen zum Tschad immer vor allem die Strategie verfolgt, starke Männer zu stärken und dabei die Institutionen des Staates kontinuierlich zu schwächen. Denn für das ehemalige Kolonialreich war es stets viel einfacher, seine Macht und seine räuberischen Absichten gegen einen "starken Mann" durchzusetzen als gegen starke Institutionen. Und genau daran liegt es, dass es jetzt nach dem Tod des "starken Mannes" Déby keine neuen Kräfte im Tschad gibt, die die Macht problemlos übernehmen könnten.
Dynastische Machtübergabe
Fast 31 Jahre lang war die - fälschlicherweise so bezeichnete - tschadische Armee die Leibgarde eines einzigen Mannes und seines Clans zur Aufrechterhaltung ihrer autokratischen Macht. Von internen Spaltungen belastet, vereint sie all die Übel auf sich, die die tschadische Gesellschaft seit drei Jahrzehnten zerfressen. Sie unterstand nur einem Menschen - nicht dem Staat oder der Nation. Daher das Durcheinander, das entstanden ist, als der Tod ihres Führers Marschall Idriss Déby Itno bekannt gegeben wurde.
Doch anstatt die verfassungsmäßige Ordnung zu respektieren, haben Frankreich und die Verantwortlichen des amtierenden Regimes beschlossen, sofort Mahamat Déby an Stelle seines Vaters zu inthronisieren - wie in einer Monarchie göttlichen Rechts, unter Missachtung aller republikanischen Sitten und Gebräuche sowie der geltenden Verfassung des Tschad.
Diese dynastische Übertragung der Staatsmacht vom Vater auf den Sohn folgt allein der Absicht, das tschadische Volk weiter mundtot zu machen und zu seinem Nachteil die geostrategischen Interessen Frankreichs durchzusetzen. Mag sein, dass Macrons Frankreich aus manchen Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Aber es ist doch die wieder gleiche Strategie, wenn man nun abermals edle Gründe für einen Militärputsch findet.
Ein Präzedenzfall für Zentralafrika?
Der Aufschrei der Empörung über diesen Schwindel reicht weit über den Tschad hinaus. Für die gesamte Region Zentralafrika, wo die Versuchung der dynastischen Erbfolge vielerorts kaum verschleiert wird, könnte das Vorgehen im Tschad zum Präzedenzfall werden.
Aber das Verbrechen ist noch lange nicht perfekt und das Spiel noch nicht vorbei. Es ist gut, dass der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union unmittelbar nach der Entscheidung des Militärischen Übergangsrates im Tschad zur Achtung der verfassungsmäßigen Ordnung und einer raschen Rückkehr zur Zivilregierung aufgerufen hat. Weiter forderte das AU-Gremium einen nationalen Dialog zwischen allen Teilen der tschadischen Gesellschaft, um Bedingungen zu schaffen, die einen raschen, friedlichen, verfassungsmäßigen und reibungslosen Übergang begünstigen.
Das Volk des Tschad gibt nicht auf
Es ist gut, dass eine überwältigende Mehrheit der Tschader, der politischen Parteien, der Zivilgesellschaft und der christlichen Kirchen und Gemeinschaften gegen die Machtergreifung durch das Militär mobil gemacht hat. Und es ist gut, dass eine ganze Reihe von afrikanischen Völkern aufgeschrien hat und an der Seite des tschadischen Volkes steht.
Die Tschader, die Gerechtigkeit und Demokratie lieben, werden ihren Kampf nicht aufgeben. Sie werden die Flamme des Protests und der legitimen Revolte gegen die Übernahme der politischen Macht durch den Clan des verstorbenen Präsidenten fortsetzen. Nur so kann ein neuer Tschad entstehen. Ein Tschad für alle, ein Tschad frei von Angst und Not, einen freier und demokratischer Tschad, frei von von den Verkrustungen der Diktatur und des vorgegebenen Denkens. Freuen wir uns darauf!