Deutschland wappnet sich für einen Wahlkampf überschattet von Cyber-Gefahren. "Die IT Sicherheitslage im Wahljahr 2021 ist möglicherweise bedrohlicher als sonst," sagte Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Akteure im Cyberraum, so warnte er, könnten mit Hackerangriffen und Desinformationskampagnen die anstehende Wahl stören.
Am 26. September wählt Deutschland ein neues Parlament. Und während der Wahlkampf an Fahrt aufnimmt, stimmen erste Cybervorfälle Behörden und Abgeordnete besorgt, was noch kommen könnte: Im Januar zwangen Angreifer den Live-Stream des CDU-Bundesparteitags in die Knie, indem sie ihn mit Datenverkehr bombardierten. Im März brachen Hacker in die Konten von mehreren Dutzend Bundestags- und Landtagsabgeordneten ein.
Deutschlands Desinformationsproblem
Das BSI berät deshalb Kandidaten und Kandidatinnen, Parteien und andere Institutionen, wie sie sich gegen Hackerangriffe schützen können, sagt Schönbohm. Gleichzeitig arbeitet seine Behörde mit dem Bundeswahlleiter zusammen, um die Technologie, mit der in der Wahlnacht die Ergebnisse übermittelt werden, vor Attacken zu schützen.
Solche Schutzmaßnahmen vor Hackerangriffen sind wichtig. Aber sie helfen nicht viel im Kampf gegen die zweite große Cyber-Bedrohung für die Wahl: die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen, die die öffentliche Meinung beeinflussen oder Zweifel an der Integrität der Wahl wecken sollen.
Und die Zeichen stehen auf Sturm. Schon um den Jahreswechsel kursierten im Internet falsche Informationen darüber, wie Briefwahlstimmen manipuliert werden könnten. In den vergangenen Wochen häuften sich laut Bundeswahlleiter Georg Thiel bei verschlüsselten Messenger-Diensten außerdem Falschmeldungen darüber, wo und wie eingesandte Stimmzettel aufbewahrt werden. Seine Behörde hat deshalb eine Website mit Fakten zum Wahlvorgang eingerichtet. Das BSI steht zudem in Kontakt mit Social-Media-Unternehmen wie Facebook, Google und Twitter, um Desinformationskampagnen auf deren Plattformen im Auge zu behalten.
Ein Katz-und-Maus-Spiel
Doch solche Bemühungen, Desinformation aufzuspüren und öffentlich zu entlarven, helfen nur begrenzt - nicht zuletzt, weil es immer ein Katz-und-Maus-Spiel ist: Sobald Falschmeldungen auf einer Plattform gekennzeichnet oder gelöscht werden, tauchen sie meist schnell wieder auf einer anderen auf.
Außerdem zeigen Untersuchungen, dass oft Zweifel zurückbleiben bei denjenigen, die Falschinformationen zunächst geglaubt hatten, selbst nachdem diese als solche entlarvt worden sind. Deshalb sagen Experten, dass der Kampf gegen Desinformation deutlich früher ansetzen muss. Genauso wichtig sei, Menschen darin zu schulen, Falschinformationen selbst zu erkennen.
Allerdings hat Deutschland jahrelang seine Chance verpasst, genau das zu tun. Schon vor einem Jahrzehnt drängten Parlamentarier und Parlamentarierinnen in der Bundestag-Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" darauf, Bildungsinitiativen im Bereich "Medienkompetenz" hochzufahren. Aber ihre Empfehlungen verpufften. Und im Gegensatz zu Ländern wie Finnland, das seit 2016 in weiterführenden Schulen "plattformübergreifende Informationskompetenz" unterrichtet, hat Deutschland selbst seitdem keine ähnlich groß angelegten Initiativen.
Nur die wenigsten sind wirklich fit
Das hat Folgen. Laut einer aktuellen Studie des Think-Tanks Stiftung Neue Verantwortung kann nur etwas mehr als ein Fünftel der Deutschen gut zwischen zuverlässigen und unzuverlässigen Informationen online unterscheiden. Eine ernüchternde Zahl. Und sie macht deutlich, dass - angesichts zunehmender Verbreitung von Desinformationen auf wenig regulierten Messenger-Diensten wie Telegram - die Förderung von Medienkompetenz wichtiger denn je ist.
Das Problem dabei ist: Solche Bildungskampagnen brauchen Zeit. Und vier Monate vor dem Wahltag ist Deutschland die Zeit davongelaufen - zumindest was diese Bundestagswahl betrifft. Aber es ist trotzdem nicht zu spät damit zu beginnen, im Gegenteil. Das Problem von Online-Desinformationen wird uns erhalten bleiben.