Die Masse der sogenannten "Beobachter", die meinten, keiner der drei Kandidaten erreiche im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, haben vor allem eines bewiesen: dass sie vom Innenleben der CDU keine Ahnung haben. Denn die Stimmung für Friedrich Merz an der Parteibasis war mit Händen zu greifen.
Norbert Röttgen mag zwar in Talkshows brillieren - die Seele der Partei wärmt der intellektuelle Außenpolitiker aber nicht. Insofern ist er für das, was die CDU jetzt braucht, einfach der Falsche. Und die Kandidatur von Merkels bräsigem Kanzleramtsminister Helge Braun war in weiten Teilen der CDU schlicht als schlechter Witz aufgefasst worden. Wer schon betäubt am Boden liegt, braucht gewiss keinen Anästhesisten als Chef.
Die drei Wurzeln der CDU
Für den klaren Sieg von Merz im dritten Anlauf war vor allem eines verantwortlich: das neue Wahlverfahren. Erstmals durften nämlich alle Parteimitglieder entscheiden und nicht nur die rund 1000 Delegierten eines Parteitages. Also die Basis und nicht allein die Funktionäre. Hätte die CDU bereits 2018 oder Anfang des Jahres diesen Weg gewählt, wären ihr Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet als Vorsitzende erspart geblieben. Das darf als sicher gelten.
In den Sozialen Medien wird nun viel über einen bevorstehenden Rechtsschwenk der CDU schwadroniert. Auch das sagt mehr über die Verfasser solcher Tweets und ihre Kenntnis der Partei aus, als über die Realität. Merz will die CDU als Volkspartei erhalten und zu alter Stärke zurück führen - das ist seine Mission.
"Volkspartei" ist aber nicht allein, wer viele Stimmen erzielt, sondern wer unterschiedliche Milieus und Wählerschichten unter einem Dach vereinen kann - der Name "Union" war deswegen schon bei der Parteigründung vor mehr als 75 Jahren Programm. Ein erfolgreicher Parteivorsitzender muss also alle drei Wurzeln der CDU pflegen und stärken: die christlich-soziale, die liberale und die konservative. Dass dies unter Angela Merkel sträflich vernachlässigt wurde, ist einer der entscheidenden Gründe, warum die Partei aktuell so schlecht aufgestellt ist.
Ob Merz dies gelingt, bleibt offen. Als Einzelkämpfer, als der er von vielen gesehen wird, ganz gewiss nicht. Aber das Problem der CDU ist ja auch, dass es ihr an attraktiven Identifikationsfiguren mit bundesweiter Strahlkraft mangelt.
Es ist schließlich nicht Armin Laschet allein, der das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl zu verantworten hat: Faktisch war kein einziger der Unionsminister des letzten Kabinetts Merkel ein gutes Argument, der Partei erneut die Stimme zu geben.
Von Regierungsfähigkeit meilenweit entfernt
Offen bleibt damit auch, ob man sich im Ausland den Namen Friedrich Merz merken muss. Natürlich ist jeder CDU-Chef ein natürlicher Anwärter auf das Kanzleramt. Aber von Regierungsfähigkeit ist die Union derzeit meilenweit entfernt - das haben nicht zuletzt die zahllosen Indiskretionen bei den Sondierungsversuchen nach der Bundestagswahl gezeigt.
Wenn sich das wieder ändern soll, muss sich die CDU zunächst einmal bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und im Saarland im ersten Halbjahr 2022 behaupten, bei denen drei junge Ministerpräsidenten aus den Reihen der Partei zur Wiederwahl stehen. Das wird schwer genug.
Dass sich niemand dieser jüngeren politischen Verantwortungsträger, die eigentlich die Zukunftshoffnung der Partei sein müssten, jetzt um den Parteivorsitz beworben hat, sagt viel über ihren mangelnden Optimismus. Mag also sein, dass die CDU noch gar nicht an ihrem Tiefpunkt angekommen ist.
Hält die Ampel-Koalition die gesamte Legislaturperiode durch, findet die nächste Bundestagswahl erst kurz vor dem 70. Geburtstag von Friedrich Merz statt. Seit dem Rücktritt von Konrad Adenauer 1963 haben die Deutschen jedoch keinerlei Affinität zur Gerontokratie mehr gezeigt, wie sie die USA bei der jüngsten Präsidentschaftswahl an den Tag legten. Ein Bundeskanzler Friedrich Merz ist daher aktuell eine ziemlich unwahrscheinliche Option - auch wenn er selbst sich das Amt zutrauen mag. Das dürfte dann auch die linke Twitter-Blase beruhigen.