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Politik

Enttäuschtes Vertrauen in Afghanistan

27. August 2021

Die Bundeswehr hat die Evakuierungsflüge aus Kabul eingestellt. Viele Ortskräfte deutscher Organisationen mussten zurückbleiben. Ein Schaden, der nicht wiedergutzumachen ist, meint Maissun Melhem.

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Blick in den dicht mit Menschen gefüllten Innenraum eines Airbus A400M der Bundeswehr vor dem Abflug in Kabul
5347 Menschen aus 45 Nationen hat die Bundeswehr in den vergangenen elf Tagen aus Kabul ausgeflogenBild: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa/picture alliance

Während ich die Nachricht vom Abheben des letzten deutschen Evakuierungsflugs in Kabul verfolgte, kam mir eine Anekdote in den Sinn, die mir ein deutscher Politiker vor zehn Jahren in einem Interview erzählt hat: 

Während eines Aufenthalts in Afghanistan war er mit einem Teppichhändler ins Gespräch gekommen. Beim Durchsehen seines Angebots verliebte er sich spontan in einen Teppich, der einige Hundert Euro kosten sollte. Da er jedoch nicht ausreichend Bargeld dabei hatte, bat er den Händler darum, den Teppich für ihn zu reservieren, bis er mit der entsprechenden Summe zurückkehre. Doch der Händler entgegnete ihm: "Sie nehmen den Teppich sofort mit und kommen zurück, sobald Sie das Geld haben. Ich vertraue Ihnen." Der Politiker hat sein Versprechen gehalten und den Teppichhändler nicht betrogen.

Kein Einsatz ohne Ortskräfte

Warum hat die deutsche Politik in Afghanistan nicht so verlässlich gehandelt? Die Bundeswehr hat das Land unwiderruflich verlassen, aber Tausende verzweifelte Afghanen blieben in Todesangst zurück.

Melhem Maissun Kommentarbild App
DW-Redakteurin Maissun Melhem

In ihrer Regierungserklärung am Mittwoch gedachte die Bundeskanzlerin der Opfer, die deutsche Soldaten für den Kampf gegen Terrorismus und den Aufbau von Demokratie und freiheitlichen Strukturen in Afghanistan brachten. Die Kanzlerin lobte den Bundeswehreinsatz und seine Erfolge am Hindukusch.

Doch die hervorragende Arbeit der Bundeswehr, unterschiedlicher Bundesministerien und zahlreicher deutscher Hilfsorganisationen in und für Afghanistan wäre schlechthin unmöglich gewesen, hätte es die zahlreichen ortskundigen afghanischen Helfer nicht gegeben. Weil naturgemäß kaum jemand in der Bundeswehr Dari oder Paschtu beherrscht, waren beim Einsatz in Afghanistan Ortskräfte als Dolmetscher unverzichtbar. Deren Aufgabe ging oft weit über das das reine Übersetzen hinaus. Sie waren zugleich Kulturmittler und ortskundige Begleiter bei Patrouillen außerhalb der Truppenlager. Und auch in diesen Camps hätte ohne die Mitarbeit der vielen einheimischen Helferinnen und Helfer der Alltag deutscher Soldatinnen und Soldaten anders ausgesehen. 

Helfer gelten als Verräter

Ohne das über 20 Jahre entstandene Netzwerk von Journalisten, Künstlern, Menschenrechtsaktivisten und vieler anderer mehr wäre auch das Mühen um mehr Demokratie und Bildung in Afghanistan schon lange vor dem Taliban-Vormarsch gescheitert.

Diese Menschen haben Deutschland und den deutschen Behörden vertraut - haben ihnen ihr Leben und das ihrer Familien anvertraut. Denn sie wussten, dass sie für die Radikal-Islamisten als Verräter gelten und ihre Arbeit für die Deutschen sie deswegen in Gefahr bringen würde. Viele dieser Menschen sitzen jetzt in Afghanistan fest und müssen auf die Gnade der Taliban hoffen. 

In ihrer Regierungserklärung versuchte die Bundeskanzlerin die dramatische Fehlentscheidung der Regierung zu rechtfertigen, nicht früher mit der Evakuierung von gefährdeten Ortskräften begonnen zu haben. "Hinterher im Nachhinein alles genau zu wissen und exakt vorherzusehen, ist relativ mühelos." In Wahrheit bahnte sich das gegenwärtige Drama schon länger an. Am 23. Juni verschenkte die Bundesregierung eine letzte Chance, die Menschen, die uns in Afghanistan halfen, in Sicherheit zu bringen. Doch die Koalitionsfraktionen lehnten gemeinsam mit der Fraktion der rechtspopulistischen AfD den Antrag der Grünen zur "großzügigen Aufnahme afghanischer Ortskräfte" ab.

Deutschland noch ein verlässlicher Partner?

Nun steckt die Bundesregierung in der unangenehmen und absurden Lage, einerseits mit den Taliban über weitere Ausreisemöglichkeiten auch nach dem vollständigen Truppenabzug zu verhandeln, sie aber andererseits als legitime Machthaber gar nicht anzuerkennen. Da kann man der Bundesregierung nur viel Erfolg wünschen. Genauso wie die zurückgelassenen Ortskräfte ist jetzt auch die Bundesrepublik auf die Gnade der Taliban angewiesen, um unsere Helfer in Afghanistan und damit den Ruf Deutschlands als verlässlicher Partner in der Welt retten zu können.

Das Afghanistan-Debakel lässt sich nicht, wie so vieles andere, mit finanzieller Hilfe wiedergutmachen. Nein, dieses Versagen kostet Menschenleben, die fahrlässig aufs Spiel gesetzt wurden. Nichts kann diesen Schaden ausgleichen. Es bleibt allein, den Fehler einzuräumen und das Versagen vollständig aufzuklären. Und schlussendlich eine Bitte um Vergebung bei den Opfern und ihren Familien - aber auch die bleiben die Kanzlerin und ihre Minister bisher schuldig.