Mit Symbolik ist das so eine Sache. Erst recht, wenn der Gegenstand, um den es geht, in den knapp 31 Jahren seiner Existenz selbst zum Symbol geworden ist: jene historisch beispiellose Behörde, in der seit dem friedlichen Sturz der DDR-Diktatur 111 Kilometer Spitzel-Berichte des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aufbewahrt werden. Und vor allem: frei zugänglich sind. Für Opfer der Stasi, wie das MfS im Volksmund schon immer hieß. Aber auch für Forschung und Medien.
Für diese weltweit bewunderte und von Ländern mit eigener Diktatur-Erfahrung zum Vorbild genommene Institution endet am 17. Juni 2021 eine Ära. An diesem historisch aufgeladenen Datum wird die Stasi-Unterlagen-Behörde in das Bundesarchiv integriert. So hat es der Bundestag gegen den zum Teil heftigen Widerstand insbesondere von DDR-Bürgerrechtlern beschlossen. Deren Kritik kontern die Befürworter der organisatorischen Abwicklung mit dem richtigen und wichtigen Hinweis, die Stasi-Akten blieben weiter offen.
Ein lebendiges Denkmal
Trotzdem ist und bleibt es ein gravierender Unterschied, ob das vergiftete Erbe der DDR-Geheimpolizei in einer eigens dafür erkämpften staatlichen Behörde lagert oder in einer Art Unterabteilung des Bundesarchivs. Rein formal betrachtet mögen Akten unabhängig von ihrem Gehalt zunächst eines sein: Akten. Warum dann einen Unterschied machen zwischen denen der Stasi und - um im Genre zu bleiben - denen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) aus der Nazi-Zeit?
Eine nahe liegende Frage, auf die mit der Gründung der Stasi-Unterlagen-Behörde die einzig richtige Antwort gegeben wurde: Weil die Menschen in der DDR mit ihrem friedlichen Protest 1989/90 das kommunistische Regime in die Knie gezwungen haben. Weil sie mit dem Sturm auf die Stasi-Zentralen in Berlin und in den DDR-Bezirken die schon begonnene Vernichtung der Akten stoppten. Diesen Akt der Zivilcourage, begleitet von dem Ruf "Meine Akte gehört mir!", mit der Öffnung des Stasi-Nachlasses zu honorieren, war mehr als Symbolik. Es war dringend nötig, um den Millionen Opfern von Willkür und Machtmissbrauch gerecht zu werden und eine Art lebendiges Denkmal zu setzen.
Symbolisches Datum
Schon das Gründungsdatum der Stasi-Unterlagen-Behörde war von hoher symbolischer Bedeutung: 3. Oktober 1990 - der Tag, an dem Deutschland seine wiedergewonnene staatliche Einheit feierte. Viele Ostdeutsche hätten sich ein anderes Datum gewünscht: den 17. Juni. In Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR 1953. Damals, nur acht Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, scheiterte der erste Versuch, das geteilte Land zu vereinen.
Im Westen Deutschlands wurde der 17. Juni zum Gedenk- und Feiertag erklärt. Eine ernst gemeinte Geste der Politik - die mit den Jahren allerdings zunehmend an Kraft und Bedeutung verlor, weil die Entfremdung zwischen Ost und West voranschritt. Der 17. Juni verkümmerte bei den meisten zu einem arbeitsfreien Tag mitten im Sommer, an dem bundesdeutsche Politiker in Reden die Deutsche Einheit beschworen, an die die meisten von ihnen wohl selbst nicht mehr glaubten. Als sie dann 1990 dank des Mutes der Menschen in der DDR unverhofft doch zustande kam, wurde der Feiertag abgeschafft und durch den 3. Oktober ersetzt. Der markiert aber nur einen historischen Verwaltungsakt, nicht aber den Kampf der Deutschen um Freiheit und Selbstbestimmung.
Nett gemeint
Dass nun für die Stasi-Unterlagen-Behörde ausgerechnet an einem 17. Juni der letzte Vorhang fällt, ist sicherlich wieder nett gemeint. Viele Ostdeutsche werden das aber ganz anders wahrnehmen und in Erinnerung behalten: als den Tag, an dem DAS Symbol ihres erfolgreichen Kampfes gegen eine scheinbar übermächtige Diktatur durch eine Organisationsreform einer anderen Behörde zugeschlagen wurde. Auch aus westlicher Perspektive kann man das so sehen. Für die umstrittene Abwicklung dieser einzigartigen Behörde wäre jedes andere Datum als der 17. Juni besser gewesen.