Droht der "Bibber-Winter" in Deutschland, wie die größte Boulevard-Zeitung des Landes schreibt? Müssen Menschen also frieren, weil sie ihre Gasrechnung nicht mehr bezahlen können? Kommt es aufgrund der enormen Preissteigerungen zu einer größeren Wirtschaftskrise?
Kurzum, liest, hört oder schaut man derzeit Nachrichten, herrscht Krisenstimmung. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine legt gnadenlos offen, was in den vergangenen Jahrzehnten falsch gemacht, unterlassen oder vernachlässigt wurde. Genauso, wie der Beginn der Corona-Pandemie die Versäumnisse im Gesundheits- und Bildungswesen sowie in der Digitalisierung aufzeigte.
Dennoch wäre es falsch, zu resignieren oder in einen "Alles-ist-Mist"-Populismus zu verfallen. Wenn die Zeichen der Zeit erkannt werden und daraus Handlung entsteht, kann aus der Krise auch eine Chance erwachsen.
Erdgas: ein kostbares Gut
Denn inzwischen ist es für uns alle offensichtlich: Erdgas ist ein endliches und kostbares Gut, mit dem man sparsam umgehen sollte. Das gilt für alle fossilen Energieträger. Und diesen Mangel hat man – siehe Benzinpreis – schon im eigenen Portemonnaie gemerkt und wird es weiter merken.
Und eigentlich wissen wir auch, dass wir den längst fälligen Umstieg auf erneuerbare Energie - Stichwort Klimawandel - verbummelt haben. Diese Energiewende hatte schon die Vorgänger-Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel immer wieder propagiert. Geschehen ist allerdings wenig – viel zu wenig.
Warum auch braucht man ein Windrad vor dem Fenster, wenn das Gas aus Russland verlässlich strömte? Und so erhöhte Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas über die vergangenen Jahrzehnte immer ein wenig mehr. Dabei war schon seit langem bekannt, dass Russland im Streit mit seinen Nachbarn Gas immer wieder auch als Waffe eingesetzt hatte und in den Wintermonaten den Hahn zudrehte.
Das Ziel: rasch klimaneutral werden
Die Chance, die sich aus der aktuellen Krise ergibt, besteht also darin, die erneuerbaren Energien so schnell wie möglich auszubauen und schon vor 2045, dem avisierten Ziel der Regierung, klimaneutral zu werden. Denn Wind, Sonne und Wasser sind auch vorhanden, wenn Diktatoren in Kriege ziehen.
Dieses Vorhaben bedarf einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung. Es war aber noch nie einfach, die Welt zu retten. Und wie nötig das ist, haben wir erst dieser Tage gelernt: Denn am 28. Juli haben wir die natürlichen Ressourcen der Erde für das gesamte Jahr bereits aufgebraucht. Und wenn wir das 1,5-Grad Klimaziel nicht verfehlen wollen, können wir nur noch knapp sieben Jahre CO2 wie gehabt verbrennen.
Für die nächsten Monate ist das allerdings kein Ausweg. Wie groß der derzeitige Handlungsdruck ist, zeigt sich schon daran, dass mit Robert Habeck ausgerechnet ein grüner Minister für eine Übergangszeit auf mehr Kohlekraftwerke setzt.
Hilfe für Arme und Energie sparen - auch für die Demokratie
Der nächste Winter wird sicherlich ungemütlicher als die zuvor. Doch in Panik zu geraten ist der falsche Weg. Der richtige ist, die gemeinschaftliche Aufgabe auch gemeinsam anzugehen. Dem Slogan von Bundeskanzler Olaf Scholz, "You'll never walk alone", müssen entsprechende Taten folgen. Dazu gehören Heizzuschüsse für Menschen mit geringem Einkommen ebenso wie Vorgaben gegen Energieverschwendung – wie etwa das Heizen privater Swimmingpools. Niemand soll wirklich frieren müssen.
Dazu gehört aber auch, dass alle sinnvollen Vorschläge zum Energiesparen umgesetzt werden, wie etwa ein Tempolimit oder mehr Homeoffice. Wir brauchen einen allgemein bewussteren Umgang mit Energie. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat damit schon mal begonnen: Sein Berliner Amtssitz Schloss Bellevue wird nachts nicht mehr angestrahlt.
Sparen und helfen - gemeinsam durch diesen Winter zu gehen, das ist die gesellschaftliche Aufgabe, die zwar von der Politik orchestriert, aber von uns gemeinsam bewältigt werden muss. Schon scharen sich Rechtspopulisten zusammen, um die Notlage für ihre niederen Ziele auszunutzen. Ihre Aufrufe zu Protesten richten sich an die Unzufriedenen und Abgehängten. Wenn das auf fruchtbaren Boden fallen würde, wäre das fatal. Denn unsere Demokratie ist wichtiger, als behagliche ein, zwei Grad mehr in der Wohnung.