Sie haben sich eingeprägt, die Bilder dieser Nacht. Traumatisch bleiben sie bei den Menschen, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands erlebten und überlebten. Es sind Menschen, die um ihr Leben fürchteten, die vielleicht um Angehörige trauern, die alles verloren haben, vor dem Nichts standen oder immer noch stehen.
Aber diese Bilder machten eigentlich allen in Deutschland und Mitteleuropa klar, dass das Leben mit Wetterextremen wohl unberechenbarer wird. Auch deshalb haben sie sich tief eingeprägt.
Manche Szene ist binnen Tagen ikonisch geworden. Wie ein Menetekel, das die Menschen wachrüttelt, verunsichert, verängstigt. 184 Menschen starben in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in einer Naturgewalt, die kaum vorstellbar schien. Allein im idyllisch anmutenden Tal der Ahr starben 134 Menschen, die letzten Opfer sind bis heute nicht einmal gefunden. Zehntausende waren existenziell betroffen und mussten ihr Leben neu organisieren. Nicht wenige werden noch lange mit Traumata und Angstattacken zu kämpfen haben.
Heldengeschichten und eine Politik des Versagens
Nach der Nacht an der Ahr gab und gibt es viele Leidgeschichten und auch große Heldinnen-, Helden- oder Hoffnungsgeschichten. Sie haben es verdient, dass sie erzählt und ihnen zugehört wird.
Das Gegenteil dieser Erinnerungen sind die Geschichten des Versagens. Das offizielle Deutschland tut grundsätzlich gerne so, als ließe es seine Bürger nie allein und als wäre es ein Nabel des Fortschritts und der Digitalisierung. Dieses reiche Land.
Und dann gibt es - bislang immer noch nur unzureichend benanntes und aufgearbeitetes - Versagen von Systemen und politischen Entscheidern. Alarmketten funktionierten nicht, Vorschriften wurden zu hohen Hürden, Rettungshubschraubern fehlte technisches Bergungsgerät, notwendige Kommunikation war technisch unmöglich. Leben gerettet wurde vielfach dank persönlichem Heldenmut. Ach ja: Experten sagen, dass die Katastrophe Tage vorher absehbar gewesen sei.
Seit der Flut spendeten Menschen in Deutschland mehr als 650 Millionen Euro. Die betroffenen Bundesländer und der Bund stellten Hilfen zur Verfügung und richteten Aufbaufonds ein. Und doch gibt es viele Berichte aus der Flutregion, dass Menschen warteten und warten, dass es nicht vorangehe. Das darf nicht sein. Es ist eine Schande.
Wetterextreme werden zur Normalität
Dabei muss allen klar sein, dass es nicht mehr so wird wie vorher. Darum geht es auch nicht. Aber man kann Menschen nicht sagen, dass sie ihr Häuschen unten am Flussufer besser nicht mehr dort aufbauen sollten - ohne ihnen zeitnah und konkret Perspektiven zu ermöglichen.
Das gilt umso mehr, da die Menschheit sich auf krassere Wetterextreme wird einstellen müssen. Um nur ein einziges Beispiel zu nennen: Erst vor Tagen erschreckten Fotos und Videos von Gletscherabbrüchen eines kaum vorstellbaren Ausmaßes, die sich in Hochgebirgs-Gegenden in Italien und Kirgistan ereigneten, viele Menschen. Man sieht es mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination, wie da ein halber Gletscher mit schier unvorstellbarer Wucht ins Tal schießt. Nicht auszudenken, wenn in der Sturzlinie eines solchen Gletschers irgendwo ein Staudamm stünde.
Lange war man daran gewöhnt, dass in den Fernsehnachrichten kurz vor irgendwelchen Sportergebnissen und dem Wetterbericht Bilder von Überflutungen in Bangladesch oder Indien, von Trockenheit in Australien oder der Sahelzone, von brennenden Wäldern am Amazonas gezeigt werden. Weit weg, mag sich dabei so mancher gedacht haben. Aber die Bilder kommen heute von überall her, ob von der Ahr oder aus Italien, aus Kalifornien oder Griechenland, aus Sibirien oder Ozeanien. Es ist ernst.
Verantwortungsvolles Handeln ist gefragt
Die Flut an der Ahr und an der Wupper - sie wurde auch zu einem Teil des Wahlkampfes im September 2021. Die Klimakrise, die Umwelt! Aber dann kam wieder Corona, dann der russische Angriff auf die Ukraine. Und eine auf Breaking News und Empörung fixierte Gesellschaft vergisst gefährlich schnell ihre langfristigen Verpflichtungen. Damit gefährdet sie ihre Widerstandsfähigkeit in Krisenlagen.
Dabei werden die Folgen des Klimawandels und der Erderwärmung uns, die Menschen in Deutschland wie die Menschheit insgesamt, nicht mehr loslassen. Die Nacht an der Ahr hat nur gezeigt, dass es kein sicheres Terrain mehr gibt. Umso wichtiger ist es, zu helfen und zu handeln und beides verantwortlich zu können. Die Geschichten von der Ahr, die von Tod und Leid, Hoffnung und Hilfe und Frust erzählen, verpflichten dazu, gemeinsam zu handeln. Und nie einfach wegzuhören.