Die drei Fehler Boliviens
20. Oktober 2020Solch eine krachende Niederlage ist selbst für lateinamerikanische Verhältnisse selten: Nach den jüngsten Hochrechnungen wurden bei den Präsidentschaftswahlen in Bolivien die Gegner der linksgerichteten Partei MAS (Movimiento al Socialismo) eindeutig abgestraft. Dabei ist es erst ein Jahr her, dass Bolivien von Massendemonstrationen erschüttert wurde, die am 10. November 2019 zum Rücktritt des damaligen Präsidenten Evo Morales führten.
Damals sah es so aus, als würde eine Ära zu Ende gehen. Schließlich regierte die von Morales angeführte Partei MAS bereits seit 15 Jahren das Land. Der fulminante Coup gegen Morales und seine sozialistische Ideologie schien auch ein Schlag gegen die politische Linke in ganz Lateinamerika zu sein.
Blamage in nur elf Monaten
Unbekannte politische Führungspersönlichkeiten, jung und mit einem erfrischenden Diskurs, standen für einen politischen Neuanfang nicht nur in Bolivien, sondern in der ganzen Region. Doch in nur elf Monaten blamierte sich die neue politische Führungsschicht durch ihre Unfähigkeit und ihr Machtstreben bis auf die Knochen.
Die MAS verdankt ihre Rückkehr an die Macht deshalb nicht Evo Morales, sondern in erster Linie den Fehlern von drei Persönlichkeiten aus dieser neuen Führungsschicht: Der Übergangspräsidentin Jeanine Áñez Chávez, dem christlich-fundamentalistischen Anführer der Proteste gegen Morales, Luis Fernando Camacho, und dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und konservativen Politiker Carlos Mesa.
Neue Gesichter, alte Politik
Die Interimspräsidentin Jeanine Áñez Chávez hatte die historische Chance, zur Führungsfigur eines Landes aufzusteigen, das wie ein Boot ohne Steuerruder vor sich hintrieb. Eine mutige Frau, der es in dieser außerordentlichen Krise gelungen wäre, das Ruder in die Hand zu nehmen, hätte sich in einen nationalen Mythos verwandeln können.
Doch Chávez erwies sich als falsche Wahl. Ihre Regierungszeit war zu kurz für die vielen Korruptionsskandale, die ihr anhängen. Und ihre Kandidatur bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen war erneut ein Zeichen dafür, dass sie ihre Rolle als Interimspräsidentin, die sich darauf beschränken sollte, das Land durch eine Übergangsphase zu führen, nicht verstanden hat.
Der zweite Politiker, Luis Fernando Camacho, Anführer der Proteste gegen Ex-Präsident Morales, verwandelte sich in nur drei Wochen von einem völlig unbekannten christlichen Fundamentalisten in den Mann, der Morales gemeinsam mit den Bürgerbewegungen vom Thron der Macht gestoßen hat.
Doch schon bald kursierten in der Öffentlichkeit Mitschnitte von kompromittierenden Gesprächen, die offenbarten, dass auch politische Neulinge nicht vor Deals zurückscheuen, die Mitgliedern vorheriger Regierungen zum Verhängnis geworden waren.
Abgeschmackt und geistlos
Präsidentschaftskandidat Carlos Mesa war der dritte Fehler Boliviens. Seine Kampagne war abgeschmackt und geistlos wie er selbst. Er nutzte die Pandemie als Entschuldigung, um zu Hause zu bleiben, und Versammlungen via Facebook und Twitter abzuhalten.
Sein Diskurs war entkoppelt von der Lebenswirklichkeit der bolivianischen Bevölkerung, und es gelang ihm nicht, Verbindungen zu den zahlreichen sozialen Bewegungen im Land zu knüpfen. Trotz seiner langjährigen Karriere als Politiker, Journalist und Verleger scheint er nicht verstanden zu haben, dass Politik auf der Straße gemacht wird und er jetzt einen Mundschutz tragen muss.
Haufenweise Klagen
Die MAS-Partei von Morales kommt dank dieser Fehler an die Macht zurück. Und Dank der Abwesenheit einer unabhängigen Führungsfigur, die einer von Ermittlungserfahrungen überzogenen politischen Bewegung die Stirn bieten könnte.
Denn Mitglieder der MAS-Partei stehen unter anderem wegen Korruption und Drogenhandel vor Gericht. Auch gegen den ehemaligen Präsidenten Morales laufen haufenweise Klagen, er wird unter anderem der Pädophilie beschuldigt.
Möge Dich Bolivien, trotz deiner Fehler das Glück begleiten. Du wirst es in Zukunft brauchen.