In Zeiten größter Krise haben die derzeit 68 katholischen Bischöfe in Deutschland ihre Frühjahrsvollversammlung absolviert - und doch wirkt das zum Abschluss veröffentlichte Dossier wie ein Bericht aus der üblichen kirchlichen Etappe. Der Laden brennt, und doch geht es um Dinge wie "Standardisierung in der Personalaktenführung". Reicht das?
Dieser Zweifel soll eine wirklich bemerkenswerte Nachricht, die von dieser Konferenz kam, nicht verdrängen: Ab Juli wird erstmals eine Frau, Beate Gilles, als Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz agieren und damit vieles der täglichen Kärrnerarbeit zu leisten haben. Das ist keine Weltneuheit - die Nordische Bischofskonferenz der fünf Länder Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, und Schweden hat schon seit zwölf Jahren eine Generalsekretärin. Und doch strahlt es weltweit aus.
Eine Generalsekretärin ist keine Revolution
Auf verschiedenen Kontinenten, in vielen Ländern wurde diese Personalentscheidung durchaus beachtet. Deutschland hat nicht nur als Land der Reformation, sondern auch als Motor theologisch begründeter Reformschritte oder Trippelschritte auf weltkirchlicher Ebene nach wie vor hohe Bedeutung.
Wer weiß, sagte am Rande der jüngsten Bischofssynoden mal jemand in Rom, wenn im Kardinalskollegium im Vatikan nur drei Frauen dabei wären, dann würde dort sicher anders gearbeitet. Künftig gehört Beate Gilles mit zum Leitungsstab der Sitzungen der deutschen Bischöfe. Abwarten also, inwieweit sich das auswirkt. Aber diese in bemerkenswerter Unauffälligkeit erreichte Personalentscheidung ist keine Revolution, denn das Amt der Generalsekretärin ist kein geistliches Amt.
Das Drängen vieler Katholikinnen und Katholiken aus ganz unterschiedlichen Bistümern, aus städtischen und ländlichen Milieus ist damit nicht erledigt. Denn es hat andere Gründe: die schmerzhaft lange (und mutmaßlich nicht beendete) Geschichte sexueller Gewalt in der Kirche, der zähe Prozess von Aufklärung und Aufarbeitung, die Erfahrung von Macht und Ohnmacht.
Mehr Liebe zur Wirklichkeit
Das Erzbistum Köln und sein Erzbischof Kardinal Woelki stehen für den derzeit spektakulärsten, viele auch empörendsten Fall. Indes legt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, Wert darauf, dass es Problemlagen (und steigende Kirchenaustrittszahlen) auch in anderen Bistümern gebe. Was soll Bätzing, der die Lage im wichtigsten deutschen Bistum als "Desaster" bezeichnet, auch anderes sagen? Mit Blick auf die Amtsführung von Woelki in dessen Sprengel hat er ungefähr so viel mitzureden wie der Präsident des FC Bayern München bei der Trikotfarbe von Schalke 04. Nichts.
Derzeit treten viele Menschen aus der Kirche aus, sehr viele. Der Trend mag verstärkt sein durch das vielfach ruhende Leben in den Kirchengemeinden aufgrund von Corona. Aber es sind nicht nur die zigtausend Kirchenaustritte. Es häufen sich Meldungen über drastisch gesunkene Zahlen von Erwachsenen, die sich taufen lassen wollen. "Wir brauchen mehr Liebe zur Wirklichkeit", beschreibt Bischof Bätzing eine Erkenntnis der Bischöfe in diesen Tagen. Und, in seiner Sicht: "Säkularität ist für mich kein Negativ-Begriff." Zur Wirklichkeit in säkularen Zeiten gehört die Grundsatzfrage nach der Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen gegenüber einem System, das zunehmend allein für Macht über die Gläubigen steht und eben auch für Macht über jene, die Opfer von Missbrauch wurden.
Viele derer, die sich jetzt von der Kirche verabschieden, sind älter als 60, oft auch schon 70 Jahre. Dahinter steckt neben einer langen Geschichte von Glauben und Zweifeln der Frust vieler Jahre. Wer heute in diesem Alter ist, kennt die kirchlichen Hoffnungen der 1970er-Jahre, die Beschlüsse und Forderungen der damaligen Synode in Deutschland, die als Eingaben nach Rom gingen und dort in Schubladen landeten. Und die nie auch nur beantwortet wurden.
Kein allein deutsches Problem
Aber nein, das ist kein deutsches Problem. Die Deutschen, wegen der Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts in Rom dauerhaft unter Spaltungsverdacht, stehen mit ihrer wachsenden Distanz nicht alleine: In Italien sinkt die Zahl der Steuerzahler, die bei ihren Abgaben die katholische Kirche begünstigen. In Polen, der Heimat von Papst Johannes Paul II., läuft derzeit eine Kampagne für den Austritt aus der Kirche, bei der man die Zahl von Unterzeichnern im Internet verfolgen kann. Andere Länder stehen nur deshalb gut da, weil sie den formalen Austritt nicht kennen und die Distanzierung still erfolgt.
Der Kirche läuft die Zeit davon, bei der Aufarbeitung von Missbrauch, bei einer glaubwürdigen "Null Toleranz"-Praxis, bei der Abkehr von überkommenen patriarchalen Machtansprüchen. Noch im Herbst hatten die deutschen Bischöfe damit kalkuliert, dass es einen Gestaltungsspielraum von zehn Jahren gebe, um sinkende Finanzmittel, Seelsorge und soziales Engagement vorausschauend zu gestalten und Abbrüche zu verhindern. Es würden nun, sagt Bätzing, "etliche Jahre weniger". Was heißt eigentlich "etliche" bei zehn?
Es ist spät für die Kirche. Man sollte sich in den Bischofshäusern oder auch in Rom nicht noch einmal 50 Jahre Zeit nehmen. Sonst ist es nur noch zu spät.