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Nirvana-Cover: kein Missbrauch

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch
28. August 2021

Wurde Spencer Elden als Baby für das Nevermind-Cover sexuell ausgebeutet? Nein, denn die Entstehung des Coverfotos muss im damaligen Kontext betrachtet werden, meint Silke Wünsch.

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Nirvana Albumcover Nevermind Ausschnitt, ein nacktes Baby schwimmt im Pool, vor ihm eine Dollarnote an einem Haken
Spencer Elden wurde 1991 als Cover-Baby von Nirvanas Album "Nevermind" ungewollt zur IkoneBild: Geffen Records

30 Jahre lang hat Spencer Elden es nach eigenen Worten erduldet, mit dem schwimmenden Baby auf dem "Nevermind"-Cover in Verbindung gebracht zu werden. In diesen 30 Jahren hat sich vieles verändert. Die Menschen sind sensibel geworden. Missbrauch an Kindern wird inzwischen global als ein ernst zu nehmendes Problem erkannt.

Niemand mehr würde heute auf die Idee kommen, ein nacktes Baby öffentlich derart zur Schau zu stellen. Vor 30 Jahren gab es den Sensus dafür noch nicht. Und so ließ Spencer Eldens Vater seinen vier Monate alten Sohn für ein Foto zu Wasser, das zu einem der berühmtesten Plattencover der Musikgeschichte werden sollte.

Niemand hat sich etwas dabei gedacht

Die damals noch recht unbekannte Band Nirvana hatte zuvor versucht, sich selbst unter Wasser in Szene zu setzen - doch das Foto mit dem Baby, das hinter einer Dollar-Note her schwimmt, überzeugte alle: Die Band, das Label, den Fotografen. Kaum jemand hat sich damals daran gestört, dass der kleine Babypenis auf dem Bild zu sehen war.

Porträt von DW-Redakteurin Silke Wünsch
DW-Redakteurin Silke Wünsch

Die Plattenfirma schlug zwar vor, die Genitalien des Säuglings zu verdecken. Doch Kurt Cobain wollte angeblich nur einwilligen, wenn sie mit einem Aufkleber abgedeckt worden wären, auf dem stehen sollte: "Wenn Sie sich hierüber aufregen, müssen Sie ein heimlicher Pädophiler sein." Entscheidend ist: Keinem der damals Beteiligten würde ich unterstellen, dass er sich bei dem Anblick des Bildes in irgendeiner Form sexuell erregt gefühlt hat.

Heute ist das alles anders. Heute wird heiß diskutiert, ob und wie man seine Kinder auf Facebook präsentieren darf. Wird mir mein Sohn das Foto, auf dem er so süß grinsend auf dem Töpfchen sitzt, irgendwann um die Ohren hauen? Wird meine Tochter, die auf einem Foto als Achtjährige ohne Bikini-Oberteil im See planscht, mir später vorwerfen, dass ihre kindliche Erscheinung zur Erheiterung meiner Facebook-Freunde herhalten musste?

Kinder können sich nicht wehren

Natürlich haben die Kinder ein Recht dazu, sich zu beschweren. Denn sie können sich, wenn sie klein sind, nicht dagegen wehren, fotografiert zu werden und sie können ihren Eltern nicht sagen: "Ich will nicht, dass du dieses Foto von mir postest!"

Auch Spencer Elden konnte sich als Baby nicht wehren. Er tut es jetzt. Natürlich stellt sich die Frage: Warum tut er es jetzt? Er hat sich doch in den zurückliegenden Jahren immer wieder gegen Geld in genau dieser Pose - allerdings bekleidet - ablichten lassen. Es scheint so, als würde Elden nun mit seiner Klage tatsächlich nach der Dollarnote greifen - so wie es auf dem Nevermind-Cover dargestellt ist. Diese Fragen werden jetzt im Netz diskutiert.

Die Frage jedoch, um die es hier geht, ist eine andere, die vor 30 Jahren nicht gestellt wurde: Darf man nackte Kinder fotografieren und diese Fotos veröffentlichen? Nein. Denn heute wissen wir, dass viele Menschen unter uns sind, die sich an solchen Bildern in unangemessener Weise ergötzen.

Menschen müssen weiter sensibilisiert werden

Wenn Spencer Elden nun Schmerzensgeld einfordert, soll er das tun; das Beste an dem, was hier gerade passiert, ist, dass ein 30 Jahre altes Plattencover einen erneuten Anlass gibt, über sexuellen Missbrauch von Kindern zu sprechen, die Menschen weiter für das Thema zu sensibilisieren. Bei den nahezu täglichen Nachrichten über Kinderpornografie, Pädophile und Missbrauchsopfer kann das nicht oft genug zur Sprache kommen.

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Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online