"Froh, dass ich noch lebe"
3. Februar 2014Deutsche Welle: Seit September 2013 arbeiten Sie als Projektkoordinatorin für Ärzte ohne Grenzen im Südsudan. Hatten Sie in den vergangenen Wochen Angst - um sich oder um Ihre Mitarbeiter?
Ines Hake: Ja, etwa als ein Team von Kollegen in einem umkämpften Gebiet feststeckte und nicht evakuiert werden konnte, weil unser Flugzeug aufgrund der Gewalt nicht landen konnte. Solche Situationen gehen einem schon an die Nieren. Aber zum Glück ist unseren Mitarbeitern bisher nichts passiert.
Haben Sie trotz allem auch schöne Augenblicke erlebt?
Mein schönster Moment war, als eine Frau bei uns Drillinge zur Welt gebracht hat. Da es keine Ultraschallgeräte vor Ort gibt, wussten wir vorher nicht, dass es Drillinge sein würden. Wir hatten mit Zwillingen gerechnet und waren überrascht, als da noch ein drittes Baby kam. Alle drei kleinen Mädchen waren gesund - und die Familie hat von ihrer Gemeinschaft viel Unterstützung bekommen, um die Kinder zu versorgen und zu ernähren.
Was sind Ihre Aufgaben vor Ort?
Ich bin als medizinische Koordinatorin für mehrere Projekte zuständig. Ich muss etwa dafür sorgen, dass die Kliniken genug Vorräte an Medikamenten und medizinischem Bedarf haben und dass das Personal geschult wird. Die meisten Patienten, die wir derzeit in unseren Kliniken behandeln, sind Zivilisten, die durch die Gewalt zu Flüchtlingen wurden. Viele von ihnen wurden auch in den Kämpfen verletzt. Wir behandeln grundsätzlich jeden, der Hilfe braucht - ob Zivilist, Soldat oder Rebell, egal welcher Volksgruppe oder Religion jemand angehört.
Sie haben schon im Südsudan gearbeitet, bevor der Konflikt ausgebrochen ist. Wie war die Situation damals, zum Beispiel die medizinische Versorgung?
Die Gesundheitsversorgung im Südsudan war schon immer schwach. Auch wenn dieses jüngste Land der Welt daran arbeitet, das zu verbessern, werden mehr als 80 Prozent der Gesundheitsversorgung durch ausländische Hilfsorganisationen bereitgestellt. Wir kämpfen täglich gegen Malaria, Masern und Durchfallerkrankungen. Auch wenn kein Krieg ist, gibt es immer wieder Verletzte, die operiert werden müssen. In abgelegenen Landesteilen ist die Situation meist noch schlimmer als in den größeren Städten. Aber selbst dort ist die Gesundheitsversorgung - sagen wir mal - noch im Aufbau begriffen und wird erst langsam etwas besser.
Wie hat sich die Situation für Sie geändert, als der Bürgerkrieg im Dezember 2013 ausbrach?
Mit Ausbruch der Gewalt haben die meisten Hilfsorganisationen im Südsudan ihre Arbeit eingestellt, weil sie die Sicherheit ihrer Mitarbeiter nicht mehr gewährleisten konnten. Das mussten wir auffangen. Dann hat die Gewalt massive Flüchtlingsströme ausgelöst. Es gab einen Zustrom von Verletzten in unsere Kliniken. Wir haben versucht, die Zahl der Operationen zu erhöhen und haben unsere Teams verstärkt. Drei weitere Kliniken wurden geöffnet, um den Ansturm zu bewältigen.
Wieso kann Ärzte ohne Grenzen unter diesen Umständen weiterarbeiten, wenn viele andere Organisationen sich zurückziehen müssen?
Wir sind bereit, in Situationen mit hohem Risiko zu arbeiten; kleinere Organisationen können das weniger. Wir haben uns über die Jahre im Südsudan ein Netzwerk aufgebaut, auf das wir vertrauen können und in dem wir regelmäßig mit allen Parteien in Kontakt stehen, damit unsere Sicherheit gewährleistet ist. Zudem haben wir eigene Flugzeuge, die uns flexibler und mobiler machen.
Am 23. Januar 2013 haben die Bürgerkriegsparteien einen Waffenstillstand vereinbart. Hat das die Lage vor Ort verbessert?
Zum Waffenstillstand - ob eingehalten oder nicht - wollen wir uns als Hilfsorganisation nicht äußern. Aber wir spüren jedenfalls eine Verbesserung. Der Zugang zu den Orten, wo die Hilfe benötigt wird, hat sich verbessert. Wir hoffen, dass das so bleibt.
Sie waren jetzt auf Kurzurlaub in Deutschland. Mit welchen Gefühlen und Erwartungen fahren Sie wieder zurück in den Südsudan?
Ich habe zwar keine Angst, aber großen Respekt vor der schwierigen Situation, die immer noch im Südsudan herrscht. Ich habe mich im Urlaub ein bisschen erholt und will nun wieder voller Energie in die Arbeit vor Ort einsteigen. Ich hoffe einfach - für uns, für die Mitarbeiter, aber auch für das Land selbst - dass sich die Lage weiter stabilisiert.
Was sagt Ihre Familie dazu, dass Sie nach dem Kurzurlaub gleich wieder zurückgehen ins Krisengebiet?
Mein Freund arbeitet mit mir im Südsudan. Meine Eltern und meine Geschwister sind natürlich nicht so froh, dass ich zurück in ein Krisengebiet gehe. Aber ich mache diese Arbeit schon seit einigen Jahren. Sie kennen mich nicht anders und freuen sich, wenn ich mich regelmäßig melde und sage, dass ich noch am Leben bin.
Ines Hake ist Krankenschwester aus Berlin. Seit 2007 arbeitet sie für Ärzte ohne Grenzen, derzeit als medizinische Koordinatorin im Südsudan.
Das Interview führten Asumpta Lattus und Max Borowski.