Europa schaut (in der Corona-Krise) James Bond!
10. April 2020James Bond hat keine Zeit zu sterben (so der Titel des 25. Bond-Films "No time to die”, der 2020 in die Kinos kommt). Zeit genug, den eigentlich für den 2. April angekündigten Kinostart wegen Corona auf den 12. November zu verschieben, hatte 007 allerdings schon. Und so sitzt Europa (und der Rest der Welt) sozial distanziert in Homeoffice und freiwilliger Quasi-Quarantäne - und schaut eben die alten 24 Filme der James Bond-Reihe zum X-ten Mal hoch und runter. Anders als Fußball, Olympia oder Kino sind die James Bond-Klassiker auch in der Pandemie immer erreichbar. Denn James Bond ist weit mehr als der Superagent im Dienste Ihrer Majestät - er ist ein gesamteuropäischer Mythos.
Geniale Gadgets
Wie das Europa, das wir vor Corona kannten, ist James Bond auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs gewachsen. Die 12 Romane (!) der Bond-Reihe erschienen zwischen 1953 und 1964 und spiegelten die Erfahrungen ihres Autors Ian Fleming mit der Weltkriegsspionage vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Fleming war während des Kriegs im britischen Marinegeheimdienst aktiv und ließ sich von realen Operationen und Personen inspirieren. Später unterhielt der Vater von James Bond eine enge Freundschaft zum ersten CIA-Chef Allen Dulles. Obwohl der kleine, britische MI6 in Person von Bond der großen CIA sowohl in den Romanen als auch den Filmen stets den Rang abläuft, war Dulles ein erklärter Bond-ianer. Dem Life-Magazin erklärte er, er habe die Technik-Abteilung seiner CIA mehrfach aufgefordert, ihm auch so geniale Gadgets wie "Q" zu bauen. Konkret nannte er den Peilsender, den Bond dem Bösewicht Goldfinger in den Kofferraum schmuggelte, oder die vergiftete Klinge, die Rosa Khleb in "Liebesgrüße aus Moskau" aus dem Schuh fahren lässt.
Lotte Lenya alias "Rosa Khleb" machte 1963 in "Liebesgrüße aus Moskau" den Anfang und Gerd Fröbe alias "Auric Goldfinger" begründete ein Jahr später eine kleine Tradition der Bond-Filme: Sie gaben den "bösen Deutschen". Christoph Waltz als Erzschurke "Ernst Stavro Blofeld" belebt derzeit in "Spectre" und "Keine Zeit zu Sterben" diese Tradition wieder. Dazwischen standen Filmgrößen wie Curd Jürgens alias "Stromberg" in "Der Spion, der mich liebte" oder Klaus-Maria Brandauer als "Maximilian Lago" in "Sag niemals nie". Die ganze Figur des "Blofeld", mit ihrer charakteristischen Narbe über die rechte Gesichtshälfte war ohnehin dem österreichischen SS-Offizier Otto Skorzeny nachempfunden. Sein Gesicht verkörperte auf Jahrzehnte hinaus das absolut Böse. Und das konnte in der Nachkriegszeit nur ein Deutscher (gut, eigentlich ein Österreicher, aber Hauptsache Nazi) sein. Innerhalb des Bond-Universums gab es dafür auch eine ganz logische Erklärung, die sogar noch weiter zurückwies: James Bond wurde nämlich Anfang der 1920er Jahre im Ruhrgebiet geboren, wo sein Vater nach dem Ersten Weltkrieg Teil der britischen Besatzungsmacht war. So zumindest in der einzigen "autorisierten Biographie" von John Pearson von 1973. Die Abneigung gegen die "Hunnen" hatte James von seinem Vater geerbt - und sie beruht auf der Ur-Katastrophe des 20 Jahrhunderts. Der "böse Deutsche" war ein kaum verkennbarer Anklang an den Zweiten Weltkrieg.
Sowjetunion beleidigt
Erster und Zweiter Weltkrieg sind jedoch in den Filmen nur Hintergrundgeplänkel im Vergleich zum Kalten Krieg. Mehr noch als "der böse Deutsche" war der internationale Systemkonflikt zwischen Ost und West, Kommunismus und westlicher Demokratie, ein Eckpunkt des Bond-Universums. Die Wirkungsmacht der Bond-Filme im Kalten Krieg ist kaum zu überschätzen. Sie führte zu höchstoffiziellen, politischen Reaktionen: Nach "Liebesgrüße aus Moskau" war die Sowjetunion so beleidigt, dass sie nicht nur alle Bond-Filme bis Mitte der 1970er verbot, sondern auch in vielen Ländern Druck ausübte, um den Film aus den Kinos verbannen zu lassen. Und mehr: James Bond wurde offiziell zur unerwünschten Person (persona non grata) in der UdSSR erklärt. Eine fiktive Filmfigur mit diplomatischen Sanktionen zu belegen, war ein wahrlich einmaliger Vorgang. Er zeigte nur allzu deutlich: Bond wurde von allen Seiten ernst genommen und fand seinen Platz in der Kulturpolitik von Ost und West.
Gadgets, Stunts, Autos, Frauen, Partys und spektakuläre Drehorte - viele Zuschauer lassen sich von den unterhaltsamen Nebenschauplätzen eines jeden Bond-Films ablenken. Die sind zwar ganz nett, aber das, worauf es wirklich ankommt, ist "das Böse", sind die Bösewichter, ihre Henker und die Bedrohungsszenarien. Hier spielt die wahre Musik. Bond selbst verändert sich nur in Nuancen und bietet wenig Spielraum. Er wird immer gewinnen, wird immer ein Brite sein und immer ein Mann. Das machten die Produzenten im Vorfeld von "Keine Zeit zu sterben" unmissverständlich klar.
Ein europäischer Mythos
Ganz im Gegensatz zu seinem Gegenspieler! Im Bösewicht und seinen Plänen spiegelt sich jede Zeit wieder. Über den bösen Deutschen und den Kalten Krieg wanderte die Bedrohung für den Weltfrieden in den Weltraum ("Diamantenfieber", "Man lebt nur zweimal" oder "Moonraker"), zu nuklearen Terrorgruppen ("Feuerball"), dem ersten Afghanistankrieg ("Hauch des Todes"), mittelamerikanischen Drogenschmugglern ("Lizenz zum Töten"), postsowjetischen Waffenschmugglern ("Goldeneye"), Ressourcenkonflikten ("Ein Quantum Trost") zu Terror und digitaler Massenüberwachung ("Spectre"). Die Bond-Saga spiegelt wider, welche Bedrohungen eine Zeit besonders prägen. Wie hoch dabei das Erregungspotential ist, zeigt auch die Ankündigung des neuen Bösewichts Rami Malek alias "Safin" ("Keine Zeit zu sterben"), nur dann in die Rolle des Bösen zu schlüpfen, wenn er keinen islamistischen Terroristen verkörpern soll.
Fragen wie die nach dem nächsten Bond-Darsteller, dem Bösen und seiner Bedrohung oder aber nach Gender und dem Frauenbild der "Bond-Women" bewegen ganz Europa. Unglaublich fast, wie viel Mobilisierungspotential eine fiktionale Figur haben kann. Jede Zeit und jede gesellschaftliche Frage möchte sich in Bond spiegeln, jedes Land und jede Stadt einmal die Leinwand sein, vor der 007 seinen Abenteuern nachjagt. James Bond ist schon lange ein gemeinsamer europäischer Mythos, geboren im Kalten Krieg, im Kampf mit globalen Bedrohungen, mal mit- und mal gegeneinander.
Christopher Nehring, geb. 1984, ist wissenschaftlicher Leiter im Deutschen Spionagemuseum Berlin. Er hat Osteuropäische und Neuere Geschichte in Heidelberg und St. Petersburg studiert und 2016 zu einem Thema der Geheimdienstgeschichte promoviert. Sein neuestes Bucht ist "Die 77 grössten Spionage-Mythen", erschienen bei Heyne, München, 2019.