Lasst die transatlantische Lovestory wieder aufleben!
7. Dezember 2018Die Machtpolitik auf beiden Seiten des Atlantiks scheint zwischen Farce und Drama zu schwanken. Wer achtet überhaupt noch darauf, China und Russland zu berücksichtigen, wenn schon innerhalb des Westens die Differenzen so offensichtlich sind und das gegenseitige Vertrauen verschwindet? Durch das aggressive Verhalten Russlands im Asowschen Meer werden wir aber daran erinnert, was wirklich zählt. Ist ein neues und fruchtbares Gleichgewicht zwischen den USA und der EU möglich?
Zu keinem anderen Zeitpunkt seit dem Kalten Krieg war ein neues Großprojekt des Westens nötiger als heute. Die wichtigsten Punkte beginnen mit einer starken NATO und einer florierenden transatlantischen Beziehung mit einem erneuerten TTIP-Vertrag. Um Vertrauen wiederherzustellen, sind oft auch kleine, aber bedeutende Projekte gefragt. Osteuropa hätte Lösungen zu bieten. In geopolitischen Experten-Kreisen herrscht zunehmend die Vorstellung, dass der Osten "einfach zu haben ist". Die großen Machtkämpfe in diesem Teil der Welt flammen nach fast 30 Jahren wieder auf - und der Westen muss handeln.
Osteuropa erwartet mehr von Brüssel und Berlin
Westeuropa macht es sich leicht - und ist von seinen Versuchen, ein neues Gleichgewicht zu finden, gelähmt. Wie Sigmar Gabriel es in einem Interview mit dem US-amerikanischen Publizisten Ian Bremmer formuliert hat, kann Europa heute nicht mit Trump leben, aber auch nicht ohne die USA. Allerdings sollten die Architekten einer neuen transatlantischen Beziehung nicht die Augen davor verschließen, was zwischen der Adria, der Ostsee und dem Schwarzen Meer passiert. Die jüngsten Krisen haben gezeigt, dass ein resolutes Eingreifen in der frühen Phase einer Krise Wunder bewirken könnte, anstatt sich später mit den Konsequenzen der Tatenlosigkeit auseinanderzusetzen.
Die Amerikaner sind weiterhin in der Region aktiv und scheinen zu verstehen, worum es dort geht - nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und militärisch. Von Brüssel und Berlin wird in Osteuropa allerdings mehr erwartet. Als Epizentren der europäischen Politik sollten beide besonders aufmerksam auf die Machtkämpfe rund um Osteuropa achten. Viele Länder der Region sind bereits EU-Mitglieder, und die direkte Nachbarschaft spielt auch eine wichtige Rolle. Verschiedene regionale Kooperationsformate bieten eine Art Vorgeschmack auf mögliche Allianzen der Zukunft.
Die chinesische Charme-Offensive ist in vollem Gange und das 16+1 Format (eine Plattform zur Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen China und 16 mittel- und osteuropäischen Ländern) ist eher eine Art Dachverband für bilaterale Beziehungen, die sich auf zentrale Investitionsprojekte stützen. Politisch gesehen, scheinen diese völlig harmlos zu sein. Die Drei-Meere-Initiative aus 12 mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedern leitet eine Antwort auf das "Europa der zwei Geschwindigkeiten" ein, das der französische Präsident Emmanuel Macron will. Die Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) haben erkannt, dass sie mit dem Rückzug des Westens nicht allein fertig werden. Auch aus diesem Grund ist das neue Projekt der Drei-Meere-Initiative entstanden. Mehr noch: Der starke russische Einfluss in einigen Staaten der Visegrad-Gruppe, des Westbalkans und der Östlichen Partnerschaft aus EU und Nicht-EU-Staaten sollte jeden beunruhigen, der sich noch an die sowjetische Ära erinnert.
Herausforderungen durch Russland
Die Probleme machen nicht vor den EU-Grenzen halt: Die Nachbarschaftspolitik bleibt ein heißes Eisen, wenn sie nicht mutig genug betrieben wird. Die Spitzenreiter des Westbalkans und der Östlichen Partnerschaft werden weiterhin auf der Grundlage eines instabilen Gleichgewichts betrachtet, mit dem Hauptunterschied, dass die Balkanländer eine EU-Perspektive für das Jahr 2025 haben. Groß angelegte Strategien fehlen, die Ereignisse holen uns einfach ein. Die Realisten sehen die Ukraine als Ärgernis für den Westen, ihr Mantra ist: "Es ist nicht unser Kampf." Werteorientierte Bürger sind anderer Meinung, für sie ist die Ukraine von zentraler Bedeutung und nicht nur ein Versuchsgelände für Großmächte.
Die jüngsten Vorfälle im Asowschen Meer haben die Situation nicht komplett verändert. Für Brüssel und Washington schafft die Frage, ob sie mit der Ukraine richtig oder falsch umgehen, einen Präzedenzfall. Durch dieses Dilemma können die transatlantischen Partner erkennen, wie gravierend die Herausforderung durch Russland ist. Nach Georgien und der Ukraine gibt es keine Garantie dafür, dass sich Russland nicht ermutigt fühlen wird, einen baltischen Staat oder einen anderen NATO-Verbündeten ins Visier zu nehmen. Man braucht eine geschlossene Front für eine "Eindämmungspolitik 2.0". Die Aussagen des US-Außenministers Mike Pompeo in Brüssel können als Anfang eines Rekonstruktionsprojekts gesehen werden. Not ist die Mutter der Neuerfindung. Für den Rest von Trumps Mandat wird es eine von Konkurrenz geprägte Kooperation zwischen Brüssel und Washington geben, aber Sicherheitspolitik sollte immer unter dem Zeichen der engen Zusammenarbeit stehen.
In Mittel- und Osteuropa geht es neben Energie- und Industriepolitik vor allem um gemeinsame Sicherheit und Verteidigung. Die EU braucht eine neue Strategie für ihr Engagement im Osten und eine ehrliche Diskussion mit diesen Ländern über rote Linien. Diese sollten sicherstellen, dass Europa vorankommt, ohne von den Krisen im eigenen Hinterhof heimgesucht zu werden. Es ist kaum vorstellbar, dass eine solche Debatte ohne die USA geführt werden könnte.
Vertreter Deutschlands sowie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker waren im Herbst auf dem Gipfel der Drei-Meere-Initiative in Bukarest: Das ist ein gutes Zeichen, dem weitere Schritte folgen sollten. Wenn sie zusammenarbeiten, könnten die USA und Westeuropa ihre alte Liebesgeschichte wieder aufleben lassen und Russland von ähnlichen Aktionen wie in der Ukraine abhalten. Wäre es nicht besser, miteinander zu sprechen und koordiniert zu handeln, statt einzeln über Konkurrenz zu China oder Drohungen aus Russland zu jammern? Es ist höchste Zeit, dass echte Profis auf beiden Seiten des Atlantiks ihre gemeinsame Arbeit wieder aufnehmen.
Radu Magdin ist ein rumänischer Analyst und Politik-Berater. Unter anderem hat er den Premier Rumäniens (2014-2015) und den Premier der Republik Moldau (2016-2017) beraten. Von 2007 bis 2012 arbeitete er in Brüssel für das Europäische Parlament, EurActiv und Google. Er gehört zur Arbeitsgruppe der NATO Emerging Leaders des Atlantic Council der USA.