Ein wenig Empathie, bitte!
5. Januar 2018"Echte deutsche Chemie" – das klingt für manche polnische Ohren schon fast gruselig. Und dennoch, seit 1989, kurz nach der Wende, ist genau dies ein Label für einen sicheren Verkaufserfolg. Denn jede Hausfrau im Lande schwört darauf: Nur die in Deutschland produzierten und für den deutschen Markt bestimmten Wasch- und Putzmittel sind echt deutscher, sprich bester Qualität. Dieselbe Marke "Made in Poland" tauge nichts: "Persil" sei nicht gleich "Persil", "Omo" nicht gleich "Omo".
Und so ist "Echte deutsche Chemie" eine bis heute populäre Aufschrift an Ständen nicht nur auf den Märkten entlang der polnischen Grenze zu Deutschland, sondern auch im Landesinneren, meine Geburtsstadt Warschau nicht ausgeschlossen. Immer wieder fuhr meine Mutter durch die halbe Stadt zum Markt, um die kiloschweren Waschpulversäcke für gut doppelt so viel Geld zu besorgen.
Und auch wenn ich heute erwachsen bin, gut über sechshundert Kilometer weit entfernt von meiner Mutter wohne und mir meine Wäsche notgedrungen selber wasche, ist die Sache noch immer ihr ganzer Stolz. Bis heute sagt sie: "Ich habe mein Bestes gegeben, dass ihr alle zu Hause nicht wie die letzten Penner in schlampig gewaschenen Klamotten durch die Gegend lauft."
"Europäer zweiter Klasse"
Es ist der feste Glaube zahlreicher Bewohner Mitteleuropas, ewige "Europäer zweiter Klasse" zu sein, der auch die Inszenierung des ersten Auslandsbesuchs des neuen polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki prägt. Die Reise führte ihn ausgerechnet nach Budapest.
Dort spuckte man große Töne. Unter der Überschrift "Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben", einem Zitat aus der polnischen Nationalhymne, postete Viktor Orbán auf Facebook ein Video zu dem Besuch. Darin sprach er davon, dass Mitteleuropa heute hervorragend funktioniere. Zur Zeit des EU-Beitritts beider Länder (2004) hätte niemand gedacht, dass sie sich heute "Motor der Europäischen Union" würden nennen können.
Die Berichterstattung der PiS-nahen Medien fügt sich dieser Sprache. In einem zeitgleichen Kommentar schreibt die einflussreiche Gazeta Polska: "Die Staaten der sogenannten alten EU verstehen die Probleme und Interessen Mittel- und Osteuropas nicht. (…) So muss Polen einen Verbund befreundeter Länder erschaffen, der in der Lage wäre, diese Probleme und Interessen zum Ausdruck zu bringen."
Verletzte Gefühle und mangelndes Verständnis
Verletzte Gefühle sind eben resistent gegen Argumente. Deshalb ist es herzlich egal, dass Orbán vielmehr als Pragmatiker daherkommt, der sich in vielen aus polnischer Sicht strategischen Bereichen gegen die Interessen Warschaus stellt. Die politische Opposition zu Morawiecki und ihr nahestehende Medien können noch so viel davon berichten - sie überzeugen nur die bereits Überzeugten.
Verletzten Gefühlen kann bekanntlich mit Empathie begegnet werden. Im zwischenmenschlichen Miteinander zeigt sie heilende Wirkung. Und ähnlich ist es auch mit kollektiven Gefühlen. Die Gazeta Polska macht geradezu überdeutlich, wonach man sich sehnt: Man fühle sich unverstanden und möchte seine Bedürfnisse erhört wissen.
Europa übt sich heute gerne in Erinnerungspolitik. Das ist sehr ehrenvoll, zumal die meisten Betroffenen des Zweiten Weltkrieges und des Kolonialismus bereits gestorben sind. Was wir jedoch im Moment dringend brauchen, ist Beziehungspflege.
Denn die EU ist eine Art von Beziehung, mit Verträgen, die den Rahmen für das gemeinsame Leben schaffen, aber vor allem mit den Gefühlen der Bewohner des Kontinents, die daran glauben, dass es eine emotionale und weltanschauliche Bindung zwischen ihnen gibt.
Falsche und richtige Worte
Ob Henkel oder Unilever tatsächlich mit Absicht ihre Produkte in minderwertiger Qualität für die mitteleuropäischen Märkte produzieren ließen, sei dahingestellt. Möglicherweise lässt sich so etwas gar nicht beweisen. Genauso wenig wie eine EU-Politik von Berlin oder Paris, die zum Schaden von Mitteleuropa geführt worden sei, wie manche behaupten.
In einer glücklichen Beziehung geht es jedoch nicht so sehr darum, Recht zu haben. Man artikuliert Bedürfnisse, man hört seinem Gegenüber zu und versucht gegenseitigen Wünschen zu begegnen.
Wäre es naiv zu erwarten, dass Konzerne und Regierungen, diesem Muster folgend, Empathie im Hier und Jetzt zeigen? Sich kollektiven Verletzungen stellen? Auch, wenn eigentlich keine bösen Absichten vorliegen sollten, aber dennoch ein solcher Eindruck entstanden ist?
In vielen europäischen Medien und politischen Reden wird mittlerweile inflationär vom Rechtsruck in Polen und anderswo berichtet. Ganz ehrlich, ich habe es herzlich satt: das Gejammer, die Belehrungen, Empörungen, Polarisierungen und letztlich das Schüren von Feindschaften.
Empathische Wörter können Gefühle heilen. Aber wenn man falsche Wörter zum falschen Zeitpunkt von sich gibt, gehen Beziehungen in die Brüche. Aus Liebenden werden Feinde und dann kann plötzlich kein Wort mehr etwas ändern.
Stanisław Strasburger, in Warschau geboren, ist Schriftsteller und Kulturmanager. In Buchform sind von ihm erschienen: "Besessenheit.Libanon" und "Der Geschichtenhändler". Er lebt abwechselnd in Berlin, Warschau und diversen mediterranen Städten.