Mein erstes Mal: Reisen im wiedervereinten Deutschland
Seit 30 Jahren können wir Deutschen wieder durch unser Heimatland reisen, ohne Grenzen und Behinderungen: die Ossis in den Westen, die Wessis in den Osten. Die Redaktion erinnert sich.
Ostberlin: Mit Trabi und Mauer
Als ich Berlin 1994 besuchte, fühlte sich die Stadt wie eine einzige große Baustelle an. Aber noch immer gab es Teile der Berliner Mauer. Mit dem Trabi davor - das perfekte Fotomotiv! Spannend war es auch rund um die Synagoge in der Oranienburger Straße, im ehemaligen Osten. Hier gab es eine sehr lebendige junge Kulturszene, die die Baulücken für Kunstausstellungen und pop-up Cafés nutzte. (Susan)
Weimar: Schön und schäbig
2006 bin ich zum ersten Mal nach Weimar gefahren. Die Innenstadt war wunderschön herausgeputzt. Alles schick und blitzblank, wie in einem Werbeprospekt. Außerhalb des Stadtkerns aber war es grau und trist, die Häuser sanierungsbedürftig. Unangenehm aufgefallen sind mir junge Nazis, die ganz mit einer Selbstverständlichkeit durch die Stadt gezogen sind, die ich so aus Köln nicht kannte. (Kristina)
Oktoberfest: Auch für Ossis eine Gaudi!
Eine meiner ersten "Westreisen" führte mich 1991 nach München. Zufällig war gerade Oktoberfest, und mein jetziger Ehemann und ich bekamen tatsächlich einen Platz in einem Festzelt. Die Stimmung hat mich überwältigt: völlig fremde Menschen tanzten auf den Tischen, lagen sich in den Armen und sangen den ganzen Abend Schlager! Und am Ende des Abends hatte ich zwei Mass Bier geschafft! (Kerstin)
Rheinsberg: Eine Winterreise
Im Februar 1990 habe ich mit meinem Nachbarn das erste Mal die Stadtgrenze von Berlin verlassen. Wir sind am Morgen in seinem Mercedes Oldtimer nach Rheinsberg gefahren, langsam versteht sich. Über Kopfsteinpflaster durch Brandenburger Dörfer bis zum Schloss des Kronprinzen Friedrich II. Das Schloss war zu, es war ziemlich kalt, aber die Sonne schien. Eine faszinierende neue Welt. (Andreas)
Helmstedt: Fachwerk und Bravo
Mein erster Ausflug nach Westdeutschland führte meinen Vater und mich nach Helmstedt. Wir liefen durch die Altstadt mit ihren schicken Fachwerkhäusern und fanden bald, was mich als Elfjährige mehr interessierte als alle Sehenswürdigkeiten: einen Zeitschriftenladen! Hier kaufte mir mein Vater eine Bravo, damals DIE angesagte Musik- und Jugendzeitschrift Westdeutschlands. (Christina)
Müritz: Weizen, Seen und Brötchen
Mit einer älteren Dame und fünf Gänsen wartete ich im Sommer 1993 in einem winzigen Dorf in der Nähe der Müritz geduldig auf den rollenden Supermarkt. Endlich Brötchen! So viel Abgeschiedenheit, so viel Weite kannte ich aus Westdeutschland nicht. Weizenfelder so weit das Auge reicht, rot getupft von Mohnblumen. Und so viele Seen! Ich war auf Anhieb verliebt. Bis heute. (Anne)
Schkopau: Beschädigte Landschaften
Meine erste Reise nach der Grenzöffnung führte mich im Mai 1990 eher zufällig auch nach Schkopau in der Nähe von Leipzig - Sitz der Buna-Werke, die Kunststoff herstellten: "Plaste und Elaste". Die Straßen in Werksnähe waren von einem silbernen Belag überzogen. Von den Umweltschäden durch die DDR-Chemieindustrie hatte ich gehört, hätte aber nie gedacht, dass sie so sichtbar sein würden. (Christian)
Schwerin: Familienausflug der anderen Art
Im Frühling nach der Wiedervereinigung wollten meine Eltern den Osten aus erster Hand erleben - und so fuhren wir nach Schwerin. Ich weiß noch, wie meine Mutter damals meinte, dass "die Ossis" doch viel netter seien als "die Wessis". Bei soviel positiven Vorurteilen ist leider nichts anderes von meinen Erinnerung an damals hängen geblieben. Aber gerne denke ich an diesen Moment zurück. (Sertan)
Von West nach Ost: Aus dem Ruhrgebiet nach Berlin
Anfang 1993 habe ich einen Freund besucht. Der hatte sich während unseres Urlaubs in ein Mädchen aus Ost-Berlin verliebt und war ihr in die Hauptstadt gefolgt. Ich kann mich nicht an Details der Reise erinnern, aber an die sehr spezielle Atmosphäre. Ich traf Menschen, die meine Sprache sprachen, aber aus einem anderen deutschen Land kamen. Zwei Monate später kam ich zurück - um zu bleiben. (Jens)