Mein Deutschland: Integrationsplan - welcher Plan?
9. März 2016Das Wochenende beginnt bei uns erst am Samstagnachmittag. Das liegt daran, dass sich meine Kinder vorher vier Stunden der Sprache ihrer Mutter widmen. In der Internationalen Begegnungsstätte im Bonner Zentrum, wo der Chinesisch-Unterricht stattfindet, lernen sie gemeinsam mit Kindern, die ebenfalls deutsch-chinesisch aufwachsen. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid. In der Pause treffen sie auch noch Kinder anderer Nationalitäten, die ebenfalls die Sprache ihrer Herkunftsländer pflegen.
In der Woche finden hier andere Kurse statt: Deutsch für kleine Migranten oder Kreativkurse für deutsche und ausländische Kinder - in der Regel paritätisch besetzt. Es wird nicht nur gelernt, sondern auch gemeinsam gefeiert. Dann singen die Kinder Lieder aus ihrer zweiten Heimat und es duftet nach exotischen Speisen.
Oft habe ich gedacht: Wenn es ein Multikulti-Ideal gibt, dann diese Begegnungsstätte. Der Stadt Bonn bin ich dankbar, dass sie das Haus von einer privaten Stiftung anmietet und die Räume den rund 15 Migrantengruppen kostenfrei zur Verfügung stellt. So brauchen die Eltern nur die Lehrkräfte zu honorieren.
Aus heiterem Himmel
Nun soll diese wunderbare Einrichtung geschlossen werden. Warum? Und was passiert mit dem Haus? Das Jugendamt der Stadt Bonn antwortet auf meine Anfrage nur, dass es bis Ende April die Ergebnisse seiner Überlegungen den politischen Gremien vorstellen wolle. Bis dahin gibt es keine konkrete Aussage über die Zukunft der Einrichtung.
Ich frage Norbert Gramer, der die Begegnungsstätte über 30 Jahre geleitet hat und Ende 2015 in den Ruhestand getreten ist. "Zuerst ging es der Stadt Bonn darum, zwei Mitarbeiter der Einrichtung abzuziehen, um sie in der Flüchtlingsarbeit tätig werden zu lassen", sagt Gramer. Einer davon ist ein Iraker, der vier Sprachen spricht, darunter Arabisch. Ich kenne ihn als eine Art Hausmeister, wenn ich meine Kinder samstags zum Chinesischunterricht bringe. Er ist nicht nur sprachlich kompetent, sondern auch stets hilfsbereit. Da kann ich verstehen, dass die Stadt Bonn ihn an die Front der Flüchtlingsarbeit schicken möchte. Aber an der Front sei er auch in der Begegnungsstätte, so Gramer.
Denn seit 2015 sei das Angebot für frisch angekommene Flüchtlingskinder enorm erweitert worden. "Wir arbeiten auch sehr eng mit der Einrichtung für minderjährige Flüchtlinge, die uns regelmäßig Jugendliche im Alter zwischen Zwölf und Fünfzehn schickt, die entweder gerade in die Schule gekommen sind oder noch auf den Schulbesuch warten", erzählt Gramer: "Und in dieser Zeit bieten wir dann schulbegleitend oder schon vor dem Schuleintritt Deutschkurse an." Es wäre geradezu sträflich, in dieser Situation den einzigen Arabisch sprechenden Kollegen zu versetzen.
Allerlei Gerüchte
Also war das Thema "Personalabzug" schnell vom Tisch. Aber kurz darauf folgte die Überlegung, die Begegnungsstätte ganz zu schließen. Liegt das an den Kosten? "Das Argument habe ich auch des Öfteren gehört", sagt Norbert Gramer. Es müssen ja für das Haus Miete und Nebenkosten gezahlt werden. Aber dann war auch davon keine Rede mehr, "weil die Kosten tatsächlich überschaubar sind".
Ist an dem Gerücht etwas dran, das Haus solle zu einem Flüchtlingsheim umfunktioniert werden? Der ehemalige Leiter der Einrichtung hält das nicht für möglich, da die baulichen Voraussetzungen fehlen.
Das nächste Gerücht lautet, dass das Haus in Zukunft zu einer Art Sprachschule für Flüchtlinge umgebaut werde. Auch das ist eigentlich kaum sinnvoll, denn schon jetzt werden ja dort Flüchtlingskinder gefördert - nur eben nicht ausschließlich. Wenn nun eine neue Einrichtung anstelle der Begegnungsstätte allein Flüchtlinge als Klientel annimmt, dann wird eine Migrantengruppe gegen die anderen ausgespielt.
Was steckt hinter dem "Plan"?
Meine Vermutung ist, dass die Stadt Bonn noch gar keinen Plan hat, was mit der Einrichtung passieren soll. Sie sieht erst einmal Sparpotenzial, auch wenn es sich in Grenzen hält. Schließlich sucht das Land Nordrhein-Westfalen für den ersten Integrationsplan bundesweit händeringend nach Geldquellen. Wenn der Plan dann umgesetzt wird, kommt sicher irgendwann jemand auf die Idee, dass schulbegleitende oder schulvorbereitende Kurse für Flüchtlingskinder ja ganz sinnvoll wären. Dann wird genau das wieder belebt, was mit der Schließung der Begegnungsstätte beerdigt wurde. Ein durchdachter Plan sieht anders aus.
In ihrer Dokumentation "Integrations-Wirrwarr" im Zweiten Deutschen Fernsehen schildert die Journalistin Rita Knobel-Ulrich eindringlich, wie chaotisch das Ganze abläuft: Flüchtlinge erhalten oft erst nach acht oder neun Monaten einen ersten, nicht verpflichtenden Deutschkurs. Die Lücke füllen andere. So trichtern islamische Religionslehrer den Flüchtlingskindern ihre Werte ein, während die Eltern nach Geschlechtern getrennt von ebenfalls nur durch ihren muslimischen Glauben qualifizierten Lehrern rudimentäre Sprachkenntnisse in Deutsch vermittelt bekommen.
Mit anderen Worten: Der Staat tut sich schwer, alte wie neue Migranten zu einer echten Integration in die deutsche Gesellschaft zu verpflichten. Doch gelungenen Integrationsprojekten den Todesstoß zu geben, dafür scheint manchen Lokalpolitikern der Mut nicht zu fehlen. Dass ich nach der Schließung der Begegnungsstätte selber in die Rolle der Lehrerin schlüpfen müsste, was einer Mutter-Kind-Beziehung fast übermenschliche Disziplin abverlangt, ist noch das geringere Problem.
Am Donnerstag wird im Ratssaal des Stadthauses Bonn über die Zukunft der Einrichtung diskutiert. Die Migrantengruppen demonstrieren ab 17.00 Uhr.
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.
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