Meier: "IAEA braucht Informationen"
19. Mai 2014DW: "Breite Gräben", "schwierige und zähe Gespräche" "sehr schwierige Phase" – so und ähnlich lauteten die inoffiziellen Kommentare von Insidern bei den jüngsten Gespräche in Wien. Wie schätzen Sie solche Bemerkungen ein?
Hinweise auf Schwierigkeiten und große Differenzen sollte man in dieser Phase nicht überbewerten. Beide Seiten wollen hervorheben, dass es wichtige Dinge gibt, die die Gegenseite noch nicht erfüllt hat. Aber bisher hat auch noch keine der Seiten bis auf ganz wenige Ausnahmen gezielt Dinge offengelegt, um öffentlichen Druck zu erzeugen. Erst am Ende wird es wirklich spannend, davon sind wir noch zwei Monate entfernt. Eine Verlängerung dieser ersten sechs Monate um weitere sechs Monate ist außerdem nicht unwahrscheinlich.
DW: Welche Bilanz ziehen Sie zur Halbzeit?
Bislang verläuft die Umsetzung des Interimsabkommens sehr positiv. Bis auf einige technische Schwierigkeiten halten sich alle Parteien daran, was man im November vereinbart hat, sowohl, was die Begrenzung der iranischen Atomaktivitäten als auch was die begrenzte Aufhebung der Sanktionen angeht. Außerdem: In der Vergangenheit hat man oft nicht so sehr über die Sache verhandelt, sondern darüber geredet, worüber man denn eigentlich reden will. Diese Phase haben wir eindeutig hinter uns gelassen, es wird in der Sache verhandelt.
Positiv ist auch, dass die Beteiligten weitgehend Verschwiegenheit wahren. In der Vergangenheit ist es wiederholt vorgekommen, dass die eine oder andere Seite gezielt Informationen nach außen gegeben hat, um sich bei den Verhandlungen einen Vorteil zu verschaffen. Schließlich hat die Ukraine-Krise, soweit wir das erkennen können, auch keinen negativen Einfluss gehabt.
DW: Der Rahmen stimmt also, aber jetzt geht es um Details, beispielsweise die Urananreicherung. Die wird dem Iran im Prinzip zugestanden. Ein wesentlicher Konfliktpunkt ist allerdings, wie viel Uran das Land anreichern darf, und welche Auflagen der Iran bereit ist, langfristig hinzunehmen.
Die Frage der Anreicherung birgt sicher Konfliktpotential, aber immerhin hat sich der Iran schon jetzt zu Einschränkungen bereiterklärt, sowohl was den Grad der Anreicherung betrifft, als auch den weiteren Ausbau des Programms. Es ist schwer vorstellbar, dass man in einem langfristigen Abkommen dahinter zurückfällt. Jetzt geht es um die Frage, welche Einschränkungen wie lange erfolgen sollen. Hier liegen die Vorstellungen weit auseinander. Von iranischer Seite war die Zahl von 100.000 Zentrifugen zu hören, die man bräuchte, um 20 zivile Atomkraftwerke mit Brennstoff zu versorgen, die USA zielen auf weniger als 10.000.
DW: Das klingt nach dramatischen Differenzen, welche Lösungsmöglichkeiten gibt es hier?
Es gibt mögliche Kompromisslinien. Man könnte zum Beispiel weniger über die Zahl der Zentrifugen reden, weil es da auch unterschiedliche Typen gibt, sondern darüber, welche Leistung solche Anlagen und für wie lange erbringen müssen. Man könnte sich daran orientieren, welchen Bedarf der Iran an solchem Nuklearbrennstoff hat. Derzeit gibt es ja nur ein funktionierendes Atomkraftwerk im Iran, das wird bis 2021 von Russland mit Brennstoff versorgt. Also da ist Luft, um Kompromisse auszuarbeiten, und da sind Diplomaten ja findig.
DW: Die Begrenzung der iranischen Anreicherungskapazitäten ist kein Selbstzweck. Es geht dabei um die Begrenzung der sogenannten "break out"-Fähigkeit des Irans, also der schnellen Herstellung einer Atomwaffe. Da wird es keinen Kompromiss geben.
Deshalb könnte es noch zu harten Verhandlungen kommen. Denn die Kapazitäten des Iran zur Anreicherung sind nur eine Seite der Gleichung, die andere ist die Frage der Kontrollrechte der IAEA. Das heißt, man muss nicht nur die bestehenden Anlagen kontrollieren, sondern auch verhindern, dass es geheime Anlagen gibt. In dieser Frage ist möglicherweise erheblicher Sprengstoff vorhanden. Denn um auszuschließen, dass der Iran erneut Anlagen im Geheimen betreibt, müsste man den IAEA-Inspektoren sehr weitgehende Inspektionsrechte einräumen, die über das hinausgehen, was unter dem bestehenden Abkommen möglich wäre. Das könnte für den Iran schwierig sein zu akzeptieren, weil man hier eine gewisse Sonderbehandlung des Iran festschreiben würde.
DW: Neben weitgehenden Kontrollrechten verlangte die IAEA auch Aufklärung über mögliche frühere militärische Aspekte des iranischen Atomprogramms.
Genau, das ist neben der Begrenzung der Urananreicherung und ihrer Kontrolle die dritte Dimension der iranischen Atomfrage: Die Aufklärung der früheren militärischen Atomaktivitäten des Iran. Man muss herausfinden, wie weit der Iran gekommen ist bei seinen Forschungen, wann sie eingestellt wurden, und nicht zuletzt, warum sie eingestellt wurden. Denn daraus ergibt sich, ob der Iran sich tatsächlich vom Ziel einer eigenen Atomwaffe verabschiedet hat. Eine interessante Frage ist auch, wo die Experten, die an diesen Forschungen gearbeitet haben, heute sind.
Das sind aus Sicht der nationalen Sicherheit Irans natürlich höchst sensible Fragen, und man hat versucht, sie vom politischen Verhandlungsprozess abzutrennen und auf die Verhandlungen der IAEA mit dem Iran zu beschränken. Allerdings steht bei diesen Gesprächen eine Einigung in wichtigen Punkten noch aus. Am Ende wird man beide Verhandlungsprozesse wieder zusammenführen müssen. Ohne Gewissheit, dass diese militärischen Forschungen wirklich umfassend beendet worden sind, wird auch ein Abkommen über eine Kontrolle des zivilen Programms schwierig werden.
DW: Wie sehen Sie den weiteren Gang der Verhandlungen?
Ob bis zum 20. Juli eine Vereinbarung über ein dauerhaftes Abkommen zu schaffen ist, da bin ich skeptisch. Aber eine Verlängerung ist ja durchaus möglich und auch sicherlich sinnvoll, wenn dadurch Zeit gewonnen wird. Gleichzeitig würden die Beschränkungen des iranischen Atomprogramms fortbestehen, so dass sichergestellt würde, dass es kurzfristig nicht zu einem militärischen Missbrauch kommt. Aus Sicht des Westens wäre allerdings eine solche Verlängerung leichter zu akzeptieren als aus Sicht Teherans, denn es ist vollkommen offen, ob bei einer solchen Verlängerung weitere Sanktionen aufgehoben oder Finanzmittel freigegeben würden.
Oliver Meier ist Experte für Abrüstungspolitik an der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP)