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"Mehr Vertrauen in Deutschland"

Marcel Fürstenau 12. Mai 2004

Bundespräsident Johannes Rau hat seine letzte "Berliner Rede" an die Nation gehalten. Er rief die Menschen in Deutschland auf, endlich wieder Mut zu schöpfen.

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Bild: AP

"Vertrauen in Deutschland: Eine Ermutigung" hat Johannes Rau seine Rede überschrieben - um anschließend darzulegen, dass es gerade daran in allen gesellschaftlichen Bereichen fehle. Wo Vertrauen fehle, regiere Unsicherheit, ja Angst. Und Angst vor der Zukunft, sagte Rau, sei der sicherste Weg, die Zukunft nicht zu gewinnen. Wenn man die Gegenwart realistisch beschreiben wolle, müsse man sich fragen, ob tatsächlich so vieles schlecht und erneuerungsbedürftig sei, ob so vieles abgebaut und umgebaut werden müsse. "Ich wüsste kein Land, in dem so viele Verantwortliche und Funktionsträger mit so großer Lust so negativ über das eigene Land sprechen, wie das bei uns in Deutschland geschieht", kritisiert er die Schlechtrederei.

Kritik der Gier

Der Vertrauensverlust in Deutschland habe aber auch handfeste Gründe, sagte der Bundespräsident. Es seien konkrete Handlungen und Einstellungen, Worte und Taten, die immer mehr Menschen tiefes Misstrauen einflößten. "Wir müssen zum Beispiel erleben, dass einige, die in wirtschaftlicher oder öffentlicher Verantwortung stehen, ungeniert in die eigene Tasche wirtschaften. Das Gefühl für das, was richtig und angemessen ist, scheint oft verloren gegangen zu sein", stellt Rau klar. "Egoismus, Gier und Anspruchs-Mentalität in Teilen der so genannten Eliten schwächen auch das Vertrauen in die Institutionen selber, wenn deren Repräsentanten offenbar alle Maßstäbe verloren haben."

Kritik der Einzelentscheidung

Vertrauen in die Politik werde auch zerstört, wenn der fatale Eindruck entstehe, es komme letztlich nur darauf an, wer die Macht habe, und nicht so sehr, was er mit ihr mache. Die Politik müsse die Initiative wiedergewinnen gegenüber wirtschaftlichen und anderen Einzel-Interessen, mahnte der Bundespräsident. Misstrauen wachse nämlich auch dann, wenn wichtige politische Entscheidungen in immer kleineren Kreisen und hinter verschlossenen Türen getroffen würden. "Die politische Gestaltung muss zurück in die Parlamente", fordert er. "Die Abgeordneten müssen mit ihrer Stimme die Richtung bestimmen und nicht bloß Beschlüsse von Kommissionen und Konsensrunden verabschieden."

Kritik der Unvernunft

In der Politik müsse deutlich werden, dass es noch Zukunfts-Entwürfe gebe, Ziele und den nötigen Gestaltungswillen. Dazu gehöre die Einsicht, dass politische Entscheidungen ihre Zeit bräuchten, wenn sie vernünftig sein sollen. Keine politische Partei könne heute auf andere zeigen, wenn es darum gehe, Veränderungen durchzusetzen. "Es ist ein Ausdruck von Verantwortungslosigkeit, wenn eine Regierung Vorschläge nur deswegen ablehnt, weil sie von der Opposition kommen - obwohl sie sie insgeheim für vernünftig hält", kritisierte Rau. "Und es ist genauso Ausdruck von Verantwortungslosigkeit, wenn eine Opposition vernünftige Vorhaben nur deshalb scheitern lässt, weil sie von der Regierung kommen - obwohl sie sie selber genauso durchsetzen würde, wenn sie an der Macht wäre."

Kritik am Phlegma

Jeder Mensch brauche ein positives Bild von sich selber und strebe danach, es zu haben, sagte der Bundespräsident. Auch eine Nation brauche insgesamt ein positives Verhältnis zu sich selber. Nur so könne sich ein Wir-Gefühl entwickeln. Und Rau gab sich überzeugt, dass Deutschland in der Lage sei, die Vertrauenskrise zu überwinden. Seit über 40 Jahren schon erlebe man an vielen Orten und in vielen Regionen einen atemberaubenden Strukturwandel. Dabei sei durch Ideenreichtum und Tatkraft vieles Geschaffen worden - im Westen wie im Osten. Der Bundespräsident bedauerte, dass Kritik an konkreten Missständen als Ausrede dafür diene, sich nicht einzumischen. Aber vom Zuschauen werde keine Schule gebaut, kein Kindergarten renoviert, keine Landschaft geschützt, keine Sozialstation unterhalten. "Es liegt an jedem von uns, dieses Land, unser Land jeden Tag ein Stück besser und menschenfreundlicher zu machen", gab der scheidende Bundespräsident dem Land und seinen Leuten mit auf den Weg.