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PolitikEuropa

NATO fährt zusätzlich Truppen auf - wozu?

16. Februar 2022

Braucht die NATO zusätzliche Truppen in Rumänien? Die Verteidigungsminister können sich jedenfalls eine fünfte "Battlegroup" vorstellen. Schreckt das die Russen ab? Bernd Riegert aus Brüssel.

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Polen Ankunft US-Truppen für Osteuropa
Verstärkung auf den USA trifft in Polen ein (09.02.2022)Bild: MACIEJ GOCLON/FOTONEWS/newspix/imago images

Die NATO betreibt vier sogenannte Battlegroups im Nordosten, im Baltikum und Polen. Die permanente Stationierung von größeren Kampfverbänden ist der Allianz in neuen Mitgliedsstaaten nach der NATO-Russland-Akte von 1997 nicht gestattet. Deshalb lässt die NATO die Truppen alle paar Monate regelmäßig rotieren. Die Truppenstärke der kampfbereiten Infanteriebataillone ist auf maximal 1500 Soldatinnen und Soldaten begrenzt. Die Einrichtung dieser Battlegroups wurde nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die Unterstützung von Separatisten in der Ostukraine durch Russland beim Gipfeltreffen der NATO in Warschau 2016 beschlossen. Diese multinationalen Kampfverbände sind als "verstärkte vorgeschobene Präsenz" - so der NATO-Jargon - in den drei baltischen Republiken Estland, Lettland, Litauen und in Polen stationiert.

Die Battlegroup in Litauen wird in diesen Tagen durch 350 Bundeswehr-Soldaten verstärkt. In Litauen führt die Bundeswehr die NATO-Truppe an und hat dort bereits 620 Frauen und Männer im Einsatz. In diesem Verband sind nach Angaben des militärischen Hauptquartiers der NATO (SHAPE) im belgischen Mons außerdem noch Norwegen, die Niederlande, Luxemburg, Island, die tschechische Republik und Belgien Truppensteller.

Lettland Riga | Nato Generalsekretär Jens Stoltenberg besucht Militärbasis
Besuch bei der lettischen Kampfgruppe: NATO-Generalsekretär Stoltenberg (Mitte) vor den Flaggen der TruppenstellerBild: NATO

Neue NATO-Einheit im Südosten?

Die übrigen drei NATO-Einheiten, die tatsächlich dem Kommando der Allianz unterstehen, bleiben im Moment in ihrer Größe vorläufig unverändert. Großbritannien hat aber angekündigt, seine Truppen in Estland von derzeit 800 in nächster Zeit verdoppeln zu wollen. In Lettland sind rund 1500 und in Polen rund 1000 Soldaten unter NATO-Flagge eingesetzt. Insgesamt verfügt die NATO an der "Nordost-Flanke" also über bis zu 4900 eigene Kräfte. Das ist verglichen mit dem Aufmarsch der russischen Armee in Belarusund rund um die Ukraine in Höhe von mindestens 100.000 Soldaten nicht gerade viel.

NATO-Diplomaten in Brüssel machen auch keinen Hehl daraus, dass es sich bei den Battlegroups auch eher um ein politisches Signal an Moskau handelt. Sollte Russland eine Battlegroup angreifen, hätte der Kreml es wegen der multinationalen Zusammensetzung der Verbände gleich mit der ganzen Allianz zu tun. Die Mitgliedsstaaten müssten sich nach Artikel 5 des NATO-Vertrages gegenseitig beistehen.

Litauen | Ankunft Bundeswehrsoldaten in Kaunas
Frisch im Einsatz: Kommandeur Daniel Andrae bekommt mehr Soldaten in der Battlegroup in LitauenBild: REUTERS

Diskutiert wird in der NATO über die Einrichtung einer fünften Battlegroup in Rumänien, das ebenfalls an die Ukraine grenzt und am Schwarzen Meer liegt. Frankreich hat sich bereit erklärt, diese mögliche neue "Vorne-Präsenz" zu leiten. Die USA haben bereits 900 Soldaten in Rumänien auf bilateraler Basis stationiert. Diese könnten in die Battlegroup integriert werden. Die Verteidigungsministerinnen und -minister des Bündnisses haben am Mittwoch über diese fünfte Truppe im Südosten debattiert. Für eine Entscheidung sei es aber vor dem Hintergrund der aktuellen Krise rund um Russland und die Ukraine noch zu früh, sagte die neue deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in Brüssel.

Verstärkung durch die USA

Das amerikanische Verteidigungsministerium hat in den vergangenen Wochen mehrere Verstärkungen von Truppenkontingenten in Europa angekündigt. Dabei handelt es sich aber nicht um NATO-Truppen im engeren Sinne, denn diese Kräfte werden nicht der Allianz unterstellt. Sie kommen mit bilateralen Vereinbarungen in die aufnehmenden Länder. Insgesamt wollen die USA 4700 zusätzliche Soldaten, hauptsächlich hochmobile Luftlandetruppen, nach Polen schicken. Diese Soldaten gehören dann nicht zur Battlegroup der NATO, die in Polen allerdings von der US-Armee geführt wird.

US-Soldaten in Deutschland
70000 US-Soldaten sind in Europa stationiert, ihre Zahl wächst leicht anBild: Nicolas Armer/dpa/picture alliance

300 Soldaten werden aus Polen zurück nach Deutschland verlegt. Von Deutschland aus schickt das Pentagon zusätzliche 1000 Männer und Frauen nach Rumänien. "Diese fast 5000 Truppen sind eine sehr mobile und flexible Streitmacht. Sie werden entsandt, um unsere NATO-Partner rückzuversichern, potenzielle Aggressionen an der Ost-Flanke abzuschrecken und mit den Armeen der Gastländer zu trainieren", erklärte ein Beamter des amerikanischen Verteidigungsministeriums, der nicht genannt werden will.

Diese Truppen sind, wie alle Amerikaner, US-General Tod Wolters unterstellt, der Oberkommandierender der US-Streitkräfte in Europa und gleichzeitig auch Oberkommandierender aller der NATO zugeordneten Truppen in Europa ist. Wolters macht sich seit langem dafür stark, in Rumänien eine echte Battlegroup der NATO zu stationieren. Die USA planen außerdem, zwei Militärflughäfen in der Slowakei auszubauen.

Insgesamt haben die USA nach Angaben aus dem Pentagon derzeit 70.000 Frauen und Männer in Europa unter Waffen. Die Hälfte davon ist in Deutschland stationiert, wo sich in Stuttgart und Ramstein große militärische Anlagen der US-Streitkräfte befinden. Dazu kommen 7000 Soldaten, die ständig für Übungen und Verstärkungen rotierend in Europa eingesetzt werden. Die Zahl der US-Soldaten in den europäischen NATO-Staaten wächst seit 2014, seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, wieder an. Den niedrigsten Stand gab es 2013 mit 63.000. Am Ende des Kalten Krieges 1990 waren es allerdings noch 250.000.

NATO Manöver Sea Breeze im Schwarzen Meer
Schiffe von der NATO-Staaten üben gemeinsam im Schwarzen Meer, Manöver See Breeze 2021Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Schiffe und Flugzeuge

Nicht nur die USA, auch Großbritannien, Spanien, die Niederlande und andere NATO-Mitglieder senden Unterstützung. Kriegsschiffe aus Dänemark und Spanien fahren ins Schwarze Meer. Kampfflugzeuge aus Spanien und den Niederlanden könnten in Bulgarien eingesetzt werden, allerdings sind sie nur Teil der regelmäßigen Luftraumüberwachung. Sie haben keinen Kampfauftrag. Luftraumüberwachung oder "Air Policing" betreibt die NATO auch im gesamten Baltikum und in Slowenien, weil diese Länder keine eigene Luftwaffe haben. Jets der NATO-Staaten, auch der Bundeswehr, werden rotierend eingesetzt, vor allem um die Flugbewegungen russischer Jets zu beobachten, die oft unangemeldet und ohne Identifikation durch Transponder unterwegs sind.

Permanente Einrichtungen im Osten

Die NATO betreibt eine Reihe von Stäben und Kommandos in den östlichen Mitgliedsstaaten, die aber keine Kampftruppen darstellen. In Polen und Rumänien sind außerdem Einheiten der strategischen Raketenabwehr gegen mögliche Angriffe aus Iran, Südkorea, China und vielleicht auch aus Russland stationiert. In jedem östlichen Mitgliedsland unterhält die NATO eine Einheit zur Integration der Streitkräfte. Es gibt eine Einheit für militärische Geheimdienste in Rumänien und Ausbildungs- und Trainingskommandos in Polen. Die Liste lässt sich fortsetzen.

Infografik NATO Osterweiterung DE

Zu den von der NATO selbst geführten Truppen kommen die Streitkräfte der 30 Mitgliedsstaaten, die zusammen etwa drei Millionen Menschen umfassen. Die sind selbstverständlich nicht alle potenziell gegen Russland an der Ostflanke einsetzbar. Die USA verfügen allein über 1,3 Millionen Frauen und Männer in Uniform. Russland hat rund eine Million Menschen unter Waffen. Rund ein Zehntel davon wurde an der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Die Ukraine selbst hat eine Armee von etwa 200.000 Soldaten, die aber schlechter bewaffnet und ausgerüstet sind als die russischen.

Bei Truppenverstärkungen wandeln die USA auf einem schmalen Grat, meinte die Verteidigungsexpertin Melanie Sisson von der Denkfabrik Brookings in Washington. Zu viele Truppen zu entsenden, könnte die Lage weiter eskalieren. Auf der anderen Seite sei aber auch klar, dass 3000 Soldaten viel zu wenig sind, falls die USA sich ernsthaft militärisch für die Ukraine einsetzen wollten, sagte Sisson im Rundfunksender NPR. Aus Moskau kommen ganz andere Töne. Der Sprecher des Kremls, Dmitri Peskow, warf den USA vor, mit Truppenverstärkungen die Spannungen permanent zu erhöhen. "Russlands Sorgen sind völlig gerechtfertigt, denn es werden Amerikaner in europäische Länder geschickt", sagte Peskow, der NATO und USA meistens gleichsetzt.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union