Mehr Transparenz in der Lieferkette - doch nicht so schlimm?
6. Dezember 2022Die Kritik am neuen deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, kommt von vielen Seiten. Die Folgen seien für die Unternehmen "nicht mehr kalkulierbar", heißt es vom Verband der deutschen Maschinenbauer (VDMA). Es würden Wettbewerbsnachteile geschaffen, so Christoph Kannengießer vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. Der Staat dürfte in der schwierigen Lage den Betrieben nicht noch mehr Bürden - wie das Lieferkettengesetz - auferlegen, mahnt Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).
Christoph Kannengießer vom Afrika-Verein der Deutschen Wirtschaft unkt, die deutschen Unternehmen könnten sich weniger in afrikanischen Ländern engagieren, was dort zu weniger Jobs führe und dann weniger Menschen eine Chance hätten, zum Beispiel aus Kinderarbeit herauszukommen.
Ende November hat der Baukonzern Strabag verkündet, sich nicht mehr um neue Ausschreibungen in Afrika zu bewerben. "Wir bauen nur noch die angefangenen Projekte fertig", sagte der Geschäftsführer der Strabag International GmbH, Jörg Wellmeyer, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Grund sei unter anderem die drohenden Belastungen, die sich aus dem Lieferkettengesetz ergeben würden.
Ab 2023 wird Wegschauen nicht mehr akzeptiert
Ob die Industrie nun jammert oder nicht: Am 1. Januar 2023 tritt das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft. Ab dann müssen Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern dafür Sorge tragen, dass auch bei den Zulieferern und auch bei den Zulieferern der Zulieferer die Menschenrechte und bestimmte Umweltmaßnahmen und Sozialstandards geachtet werden.
Ein Jahr später gilt das Gesetz dann für Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter. In der Praxis könnten aber schon von Anfang an auch kleine Unternehmen mit nur wenigen Mitarbeitern betroffen sein, dann nämlich, wenn Sie ihre Produkte an große Unternehmen verkaufen, die ihre Lieferkette kontrollieren müssen.
Zehntausende Zulieferer - ist Kontrolle da möglich?
Aus der Wirtschaft heißt es vor allem oft, dass die Kontrolle der Lieferanten eine sehr komplexe Aufgabe sei. So hat die deutsche Telekom mehr als 20.000 Lieferanten und Dienstleister, Volkswagen rund 40.000 und der Chemiekonzern BASF sogar 70.000 unmittelbare Lieferanten.
Auch der familiengeführte Mittelständler Uvex muss ab dem 1. Januar eine große Zahl an Zulieferern im Blick haben. "Wir haben 30.000 unmittelbare Lieferanten und Dienstleister in 79 Ländern", sagt Susann Schubert, die für Nachhaltigkeit im Unternehmen verantwortlich ist. Da seien allerdings auch inaktive Lieferanten dabei. Wenn noch die Zulieferer der Lieferanten einbezogen würden, dann erhöhe sich die Summe um das Fünf- bis Zehnfache.
Uvex hat Hausaufgaben schon vorab gemacht
Trotzdem müsse Uvex nun keine großen Anpassungen in der Lieferkette vornehmen, sagt Schubert. "Wir haben bereits seit 2008 einen Sozialstandard für unsere Lieferanten." Dadurch, dass sich das Familienunternehmen schon am Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen gehalten habe, gebe es seit Jahren etablierte Prozesse. Mit diesem Nationalen Aktionsplan setzt die Bundesregierung die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen um, die im Jahr 2011 einstimmig im UN-Menschenrechtsrat beschlossen wurden.
Außerdem achte Uvex schon bei der Auswahl der Lieferanten sehr stark darauf, mit wem überhaupt Geschäftsbeziehungen eingegangen werden, sagt Susann Schubert.
"Wir waren vor dem Lieferkettengesetz schon gut aufgestellt für die Notwendigkeiten, die uns dass Lieferkettengesetz im operativen Bereich abverlangt", sagt Claus-Jürgen Lurz aus der Safety Group von Uvex. Es mussten noch die entsprechende Dokumentation ergänzt und die Risikobewertung geschärft werden. "Wir haben also adjustiert, wir haben nicht neu implementiert."
Uvex kontrolliere seine Lieferkette in mehreren Stufen, erklärt Lurz. "Zum einen werden die unmittelbaren Lieferanten in regelmäßigen Abständen durch eine Fachfirma auditiert." Außerdem seien bei den unmittelbaren Lieferanten regelmäßig, teilweise mehrfach im Monat, Uvex-Mitarbeiter vor Ort, die dort auf Themen wie Umweltschutz und soziale Verantwortung achten. Sie begutachten die Produktionssituation vor Ort, veranlassen Prüfungen an den Produkten - beispielsweise Schadstoffprüfungen - und schauen sich auch die Arbeitsbedingungen an.
Nicht jeder Zulieferer kann kontrolliert werden
Schwieriger sei die Kontrolle der unmittelbaren Zulieferer. "Wir haben versucht, den Anteil an Leder beispielsweise bei Sicherheitsschuhen, deutlich zu reduzieren. Wo es ging, haben wir es durch synthetische Materialien ersetzt, weil die Lieferkette besser kontrollierbar ist", so Lurz. "Wir werden aber keinen Zugriff bekommen auf die Firmen, die zum Beispiel Tiere schlachten. Das liegt einfach daran, dass das ein Spotmarkt ist." Zudem würde Uvex das Leder generell in Europa einkaufen, wo schon allein aufgrund des Herkunftslandes das Risiko geringer sei, so Susann Schubert.
Außerdem werden die Herkunftsländer der Lieferanten in verschiedene Risikogruppen eingeteilt, je nachdem wie wahrscheinlich dort Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen sind. Außerdem würden die einzelnen Lieferanten bewertet, so Schubert. "Gab es in der Vergangenheit externe Audits? Gab es interne Begehungen? Wie hoch ist die Gefahr, dass dort eventuell ein Risiko auftritt?" Je nach Risikokategorie ergreife Uvex dann Präventionsmaßnahmen.
Wichtig sei am Ende natürlich auch, dass die Lieferanten bereit sind mitzuarbeiten, Fragebögen auszufüllen und ähnliches. "Es ist auffällig, dass die Bereitschaft, uns hier zu unterstützen, in der Umsetzung des Lieferkettengesetzes in Asien größer ist als in Europa", sagt Lurz. "Wir beziehen auch von der europäischen Großindustrie, zum Beispiel der chemischen Industrie, Kunststoffe - diese Industrie werden wir nicht dazu bringen, uns in der EU in der Umsetzung des Lieferkettengesetzes zu unterstützen, weil wir für die eine Marginalie sind."
Europa wird nachziehen
Das wird sich bald allerdings ändern, denn auch die EU-Kommission will europäische Unternehmen dazu verpflichten, ihre gesamte Lieferkette darauf hin zu kontrollieren, ob die Zulieferer gegen Umwelt- und Klimastandards sowie Menschenrechte verstoßen. Dafür hatte die EU-Kommission im Februar 2022 Vorschläge für ein europaweites Lieferkettengesetz gemacht. Anfang Dezember haben sich die Mitgliedsstaaten grundsätzlich auf die Einführung eines solchen Gesetzes geeinigt. Und es sieht so aus, als könnte die europäische Variante sogar noch strenger werden als die deutsche.
Bislang sieht der Vorschlag unter anderem ein Klagerecht von Betroffenen gegen Unternehmen vor und auch Unternehmen aus Drittländern müssen sich an die Regeln halten, wenn sie einen bestimmten Umsatz in der EU erwirtschaften. Wenn es am Ende wirklich so kommt, dass die EU Regeln schärfer sind als die deutschen, dann wird es auch hierzulande strenger, denn die Bundesregierung müsste die eigen Regeln an EU-Recht anpassen.