Mehr Macht, mehr Geld?
17. September 2009Seit Tagen fahren in Deutschland Dutzende Güllewagen auf die Felder, gefüllt nicht mit Gülle, sondern mit frischer, kuhwarmer Milch. Milchbauern in ganz Deutschland schütten ihre Milch auf die Felder, in den Abfluss und vor die Zentralen der großen Molkereien. Bei Wahlkampfveranstaltungen der Kanzlerin fahren sie mit ihren Treckern vor, unterbrechen Angela Merkel mit Buh-Rufen und Pfiffen, fordern mehr Engagement der Regierung für einen "fairen" Milchpreis.
Fair wäre nach Meinung der europäischen Bauern ein Milchpreis von 40 Cent. Momentan liegt er bei rund 25 Cent - zu wenig, um davon zu leben, zu viel, um aufzugeben, sagen die Bauern. Und deswegen protestieren seit Tagen europaweit 40.000 Landwirte in mittlerweile acht EU-Ländern. "Immer mehr Milchproduzenten kämpfen mit dem Mut der Verzweiflung", sagt der Chef des Bundes der Milchviehhalter, Romuald Schaber. In Frankreich, von wo der aktuelle Streik in der vergangenen Woche ausgegangen war, behielten die Bauern fast die Hälfte der Milch zurück. In Deutschland sind es nach Angaben des Bauernverbandes bis zu 20 Prozent.
Kleine Milchbauern – mächtige Molkereien
Nun hat die EU auf die Proteste der Bauern reagiert. Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel erklärte am vergangenen Donnerstag (17.09.2009) in Brüssel, wie sie den Bauern aus der Misere helfen will. Ihr Plan: die Verhandlungsmacht der Milchbauern stärken. Mit neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen für Lieferverträge will sie die Milcherzeuger gegenüber den mächtigen Molkereien begünstigen. Abwegig ist das nicht: In Deutschland etwa stehen den rund 100.000 Milchbauern 100 große Molkereien gegenüber. Diese wiederum sehen sich in den Preisverhandlungen der Verhandlungsmacht von fünf Einzelhandelsriesen wie Aldi oder Lidl ausgesetzt, die mit niedrigen Milchpreisen Werbung machen.
"Grundsätzlich ist das keine schlechte Idee", sagt Milchbauern-Lobbyist Schaber, die Marktmacht der Erzeuger sei in der Tat zu gering. Doch das Grundproblem lösten neue Verträge keineswegs. "Unser Problem ist das Überangebot in der EU." Deswegen kämpft sein Verband seit Monaten für die Senkung der so genannten Milchquote, die seit Anfang der 1980-er Jahre die Menge der in der EU produzierten Milch begrenzt.
Zu viel Milch, zu niedrige Preise
Und in der Tat: das Angebot ist zu groß. Seit Monaten kauft die EU wieder Milchpulver, Butter und Co. auf, um die Preise auf dem Milchmarkt zu stützen. Ein weiterer Großteil der in Europa erzeugten Milch wird seit Jahren exportiert – mit EU-Subventionen, versteht sich. Da die Preise auf dem Weltmarkt infolge der Wirtschaftskrise rapide gefallen sind, bekommen das nun auch die Milchbauern zu spüren.
Und dennoch hält die EU von einer Senkung der Milchquote wenig. Im Gegenteil, Agrarkommissarin Boel will die Milchquote in den nächsten Jahren peu a peu erhöhen und 2015 komplett auslaufen lassen. Das große Ziel: Der Milchmarkt soll in Zukunft zu einem ganz normalen Wirtschaftssektor werden. Ohne Quoten, aber auch ohne Export-Subventionen für die Bauern.
Entwicklungsländer könnten profitieren
"Was die EU da vorhat, ist durchaus in Ordnung", meint der Agrarökonom Ulrich Koester von der Universität Kiel. Seiner Meinung nach hat der Milchmarkt nur ohne Subventionen und Quoten eine Zukunft. Zwar würden bei einer Liberalisierung einige Bauern aufgeben müssen. "Doch wer überlebt, wird profitieren und langfristig von seiner Milch auch leben können." Wirkliche Gewinner aber wären die Entwicklungsländer, die dann nicht mehr mit subventionierten EU-Billigmilchprodukten überschwemmt würden. "Diese Länder könnten dann mit uns auf gleicher Ebene konkurrieren und nicht wie heute gegen unser EU-Budget."
Als die Milchquote in den 1980-ern eingeführt wurde, galt die Überlegung: weniger Milch – höhere Preise. Doch dieses System funktioniert nur in einer geschlossen Volkswirtschaft, sagt Koester. "Das geht nur, wenn man nicht am Weltmarkt hängt. Wir sind aber schon als Mitglieder der Welthandelsorganisation verpflichtet, unsere Maßnahmen an der Grenze zu zurückzufahren."
Dann doch lieber Rindfleischproduktion
Neu sind die Liberalisierungspläne der EU deshalb auch keineswegs. Schon 2003 hat die Union den Bauern klar gemacht, dass die Zeiten der festen Quoten bald vorbei sein würden. Damit die Landwirte sich auf niedrigere Preise einstellen können, erhalten sie Direktzahlungen, momentan durchschnittlich 15.000 Euro je Arbeitskraft in der Landwirtschaft. Diese Zahlen hört man von den Milchbauern selten, wenn sie sich über geringe Preise empören.
Für die gebeutelten Milchbauern hat der Agrarökonom Koester daher nur einen Ratschlag: Sie müssten sich überlegen, ob sie zum Weltmarktpreis – ohne Subventionen – produzieren können. "Wenn nicht: Überlege dir, ob du nicht besser was anderes anbaust oder vielleicht in die Rindfleischproduktion wechselst."
Autor: Manfred Götzke
Redaktion: Dеnnis Stutе