"Mehr Kontakt zu den Menschen"
25. Januar 2010Die Sicherheitslage in Afghanistan ist dramatisch: In den vergangenen zwei Jahren hat die Zahl der bewaffneten Angriffe um mehr als 300 Prozent zugenommen. Zeit für eine neue Strategie. Und so beraten die NATO-Verbündeten in dieser Woche auf der Afghanistan-Konferenz in London (28.01.2010) über eine neue Marschroute für den Hindukusch. Die Blaupausen für den militärischen Teil des Strategiewechsels stammen von ISAF-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal. Der US-Amerikaner hat schon im Irak-Krieg Erfahrungen im Kampf gegen Aufständische gesammelt.
"Clear, Hold and Build"
Was im Irak funktioniert hat, soll auch in Afghanistan klappen: Die Aufständischen in einer Region militärisch besiegen, diese Region danach stabilisieren und schließlich mit dem Wiederaufbau beginnen ("clear, hold and build"). Bislang kam dieser Wiederaufbau in zahlreichen Provinzen nicht in Gang, weil die Truppen einmal erobertes Terrain nicht dauerhaft sichern konnten.
Mit 40.000 zusätzlichen Soldaten fordert ISAF-Chef Stanley McChrystal eine geballte Kraftanstrengung im Kampf gegen die Taliban. Und gleichzeitig soll die Zivilbevölkerung geschont werden. Stanley McChrystal setzt auf den direkten Kontakt zu den Menschen. Es komme darauf an, sie zu verstehen, um dann alles zu tun, um sie zu schützen. "Ich glaube, dass das oft sehr viel wirkungsvoller und wichtiger ist, als den Feind zu attackieren. In diesem Punkt müssen wir uns verbessern."
Auf die Kombination kommt es an
Das erste Ziel: Die ISAF soll die Sicherheit in den zehn größten Städten Afghanistans garantieren. Die in den letzten anderthalb Jahren an die Taliban verlorenen Gebiete sollen die Soldaten zurückerobern. US-Präsident Barack Obama hat sich den Thesen McChrystals teilweise angeschlossen - und angekündigt, in den kommenden Monaten 30.000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Damit blieb der Präsident allerdings hinter der Forderung McCrystals zurück, 40.000 zusätzliche Kräfte zu entsenden.
Durch die Truppenaufstockung soll die Sicherheit der Bevölkerung verbessert werden. Dabei kommt es nach Ansicht des ISAF-Chefs auf die richtige Kombination an. "Wir brauchen mehr Sicherheitskräfte", so McChrystal, und "das bedeutet auch mehr Polizei, Geheimdienstelemente, afghanische Soldaten, und vielleicht auch NATO-Kräfte - wozu die Deutschen gehören."
Bringschuld auch auf Seiten Kabuls
Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz wird in dieser Woche über den Beitrag der NATO-Verbündeten verhandelt. McChrystal sieht allerdings auch die Regierung in Kabul in der Pflicht, mehr für die Sicherheit zu tun. Der afghanische Innenminister Mohammed Hanif Atmar hatte dies im vergangenen Jahr auch zugesagt: Sein Land wolle insgesamt 160.000 Polizeikräfte und 240.000 Soldaten stellen.
Für die afghanische Regierung und ihre internationalen Helfer bedeuten diese Verdoppelung der afghanischen Polizeistärke sowie 150.000 zusätzliche Soldaten eine beispiellose Kraftanstrengung. Doch McChrystal will auch qualitative Verbesserungen: ein noch intensiveres gemeinsames Training zwischen Schutztruppe und afghanischer Armee sowie deutlich mehr gemeinsame Einsätze. Der US-General fordert Partnerschaften zwischen jeder NATO-Einheit und afghanischen Soldaten.
Ergebnisse bis 2011?
Für das Auftreten der Militärs haben McChrystals Thesen spürbare Konsequenzen. Statt in martialischen Panzern hochgerüstet durch afghanische Dörfer zu jagen, sollen die ausländischen Soldaten der Bevölkerung offener gegenübertreten. Auch wenn dies zunächst mit größeren Gefahren für Leib und Leben verbunden ist. Das gilt auch für die Stationierung der Truppen: statt sich in großen Militärcamps zu verschanzen, sollen die ISAF-Soldaten vermehrt Vorposten in Dörfern beziehen.
Ob McChrystals Ideen den Umschwung bringen, soll sich bis zum Sommer 2011 zeigen. Bis dahin will man der afghanischen Bevölkerung klar machen, dass die Rebellen nicht gewinnen können. Mit dem Abzug der US-Soldaten will Präsident Obama im Juli 2011 beginnen.
Autor: Andreas Noll
Redaktion: Esther Broders