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Politik

Mehr fremdenfeindliche Übergriffe in Polen

Paul Flückiger
1. August 2017

Fast täglich kommt es zu Übergriffen auf die wenigen Ausländer in Polen. Die Opposition gibt den regierenden Rechtspopulisten die Schuld. Die Regierung distanziert sich selten von rassistischen Übergriffen.

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Protestmarsch gegen Flüchtlinge in der polnischen Stadt SlubiceBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Es geschah am helllichten Tag, mitten in Warschau: "Hau ab aus Polen!" rief ein Mann und hielt einem Vietnamesen seine Pistole in den Rücken. Der ausländerfeindliche Übergriff endete vergangene Woche glimpflich. Es habe sich nur um eine Schreckschusspistole gehandelt, meldete die Polizei. Der Vietnamese kam mit dem Schrecken davon, dem Angreifer droht ein Gerichtsverfahren.      

Ausländerfeindliche Stimmung

Ausländer wurden in Polen früher selten erniedrigt und verprügelt - doch jetzt nehmen solche Fälle alarmierend zu. Es ist sogar zu fremdenfeindlich motivierten Morddrohungen gekommen, wie im Fall eines Imams in der westpolnischen Wirtschaftsmetropole Poznan. Youssef Chadid hat seit 1996 einen polnischen Pass, er ist Vorsitzender des Rats der Muslimischen Liga in Polen. Doch das schützt ihn nicht vor Drohmails und -anrufen. "Sie wollen mich loswerden und drohen mir deshalb Tag und Nacht", klagt Chadid. Er denkt sogar darüber nach, in ein anderes Land zu ziehen, wenn das anhält.      

In regierungskritischen Medien wurde auch der Fall einer muslimischen Schülerin aus Berlin breit diskutiert, die während einer Klassenfahrt im ostpolnischen Lublin auf offener Straße bespuckt wurde. Sie berichtete, die polnischen Polizisten hätten nur gelacht, als sie um Hilfe bat. Auch eine zweite Polizeistreife soll den Übergriff bagatellisiert haben. Nach einem Protest des Bürgerombudsmanns Adam Bodnar hat die Staatsanwaltschaft nun ein Verfahren eingeleitet: Dabei geht es um den Übergriff an sich, aber auch um die Untätigkeit der Polizei.

Allerdings ist Ombudsmann Bodnar inzwischen selbst unter Druck geraten. Die neofaschistische Gruppierung "National-Radikales Lager" (ONR) hat eine Verleumdungsklage gegen ihn eingereicht. Der rechtspopulistischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ist der ehemalige Menschenrechtsanwalt schon lange ein Dorn im Auge. Bodnar gehört zu den letzten noch unter der rechtsliberalen Vorgängerregierung gewählten Spitzenvertretern demokratischer Kontrollorgane, die heute noch im Amt sind.

Die Regierung hilft nicht

Bodnar warnt schon seit 2016 vor einem zunehmenden Islamhass in Polen und fordert die Regierung zu Gegenmaßnahmen auf. Doch es geschieht nichts. Im Gegenteil: Regierungsvertreter schweigen meist. Kaum einer stellt sich gegen fremdenfeindliche Übergriffe und das Treiben rechtsextremer Gruppierungen. So erklärte Innenminister Mariusz Blaszczak Anfang des Jahres nach den Überfällen auf Kebab-Stände im masurischen Elk, viele Polen hätten eben "Angst vor dem Islam wegen der Terroranschläge in Westeuropa".

Die Stimmung gegenüber Fremden verschlechtert sich. Einige Attacken richteten sich sogar gegen Polen, die wegen ihres "südländischen Aussehens" für Araber gehalten wurden, berichtet die unabhängige Monitoring-Stelle für rassistisches und xenophobes Verhalten.

"Insgesamt beobachten wir eine gewaltige Zunahme der ausländerfeindlichen Übergriffe - sowohl was deren Zahl, als auch deren Grad angeht", erklärt Konrad Dulkowski von der Xenophobie-Monitoring-Stelle. Dulkowski sieht dabei einen klaren Zusammenhang mit der Machtübernahme der PiS vor anderthalb Jahren. Heute erreichen täglich 30-100 Klagemails die Meldestelle. Auch Polens Polizeistatistiken zeichnen ein beunruhigendes Bild. So hat sich die Zahl rassistisch oder ausländerfeindlich motivierter Straftaten seit 2010 versechsfacht. Im Jahr 2016 kam es offiziell zu über 700 solcher Straftaten.

Die Monitoring-Stelle für Xenophobie beklagt, dass viele ausländerfeindliche Straftaten gar nicht erst verfolgt werden. "Die Staatsorgane versuchen zu vertuschen, dass der Fremdenhass, der der PiS zur Macht verhalf, inzwischen außer Rand und Band geraten ist", glaubt Dulkowski.      

Stimmungsmache der PiS im Wahlkampf 2015

PiS-Politiker zeterten im Wahlkampf 2015 gegen Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika. Auf dem Höhepunkt der EU-Flüchtlingskrise stellte sich die Kaczynski-Partei auch gegen die Aufnahme von rund 7.000 "Quotenflüchtlingen" aus Lagern in Griechenland und Italien, obwohl die damalige rechtsliberale Regierung der EU deren Aufnahme zugesagt hatte. Parteichef Kaczynski schürte sogar die Angst vor aus den Fluchtländern eingeschleppten Epidemien wie der Cholera und warnte vor Übergriffen auf einheimische Frauen. PiS-Spitzenkandidaten nannten den Islam "eine Hauptgefahr", indem sie einen direkten Zusammenhang zwischen der Flüchtlingswelle und den Terroranschlägen in Paris und Brüssel herstellten. Das hat zur Verunsicherung der Gesellschaft beigetragen.

Polen Jaroslaw Kaczynski in Warschau
Kaczynski schürte auch Ängste vor Epidemien Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Keplicz

Dass ausgerechnet Deutschland mit seiner "Willkommenskultur" die anderen EU-Mitglieder zur Aufnahme von Flüchtlingen bewegen wollte, erboste Polens Rechte. Warschau wirft Berlin bis heute vor, Europa in der Flüchtlingskrise bevormundet zu haben.

Auch deshalb macht die PiS seit der Regierungsübernahme 2015 gegen "Politische Korrektheit" und das "linke EU-Establishment" mobil. Noch in den 90er Jahren nahm Polen Zehntausende muslimische Tschetschenen als Flüchtlinge auf. Heute werden selbst tschetschenische Familien mit kleinen Kindern an der polnisch-weißrussischen Grenze in Terespol daran gehindert, überhaupt einen Asylantrag zu stellen. Selbst gegen diese offensichtliche Menschenrechtsverletzung regt sich heute in der Öffentlichkeit kaum Widerspruch.    

Nach Angaben des Zentralen Ausländeramts nahm dennoch die Zahl der Aufenthaltsanträge in Polen seit 2015 um 86 Prozent zu. Vor allem Ukrainer, Weißrussen, Inder, Chinesen und Vietnamesen wollen sich dort niederlassen.