Startup für mehr Frauen in Führungspositionen
18. März 2021Als Nina Gillmann vor einem Jahr ihr Startup "Twise" gründete, folgte kurz danach der erste Lockdown gegen die Corona-Pandemie. Keine idealen Voraussetzungen, um ein neues Geschäftsmodell zu etablieren, sollte man meinen. Doch dann lief es sogar überraschend gut. "Denn die Krise hat sowohl die Notwendigkeit als auch die Machbarkeit von flexiblen Arbeitsmodellen gezeigt", erinnert sich die promovierte Volkswirtin und langjährige McKinsey-Beraterin im Gespräch mit der DW. "Sowohl räumlich als auch zeitlich gedachte Flexibilität stehen hinter der Grundidee von Twise."
Der Name Twise ist zusammengesetzt aus den englischen Wörtern "twice" und "wise", steht also im Sinne von "doppelt schlau". Denn genau darin besteht das Konzept des Startups: Möchte eine hochqualifizierte Frau aus familiären Gründen in Teilzeit arbeiten, so gilt es, eine geeignete Tandem-Partnerin ebenfalls in Teilzeit zu finden. Im Idealfall eine Mutter, die gerade aus der Elternzeit schrittweise in den Job zurückkehren will. Erhalten bleibt dabei die Vollzeitstelle. Denn die ist bei den meisten Unternehmen immer noch Voraussetzung auf dem Weg in Führungspositionen.
Weibliche Talent-Pipeline ins Topmanagement
"Wir wollen Unternehmen eine stabile weibliche Talente-Pipeline ins Topmanagement bis in den Vorstand sichern", erklärt Gillmann in "schönstem Beraterdeutsch", wie sie es selbst nennt.
Deutschland liege im EU-weiten Vergleich im untersten Viertel, wenn es um Frauen in Führungspositionen geht, weit unter dem EU-Durchschnitt. Die niedrige weibliche Vorstands-Quote sei dabei das Ergebnis eines Problems, das eigentlich viel früher entstehe, nämlich bereits im mittleren Management.
Die überwältigende Mehrheit von Frauen in Deutschland gebe mit der Familiengründung ihre Vollzeitjobs auf, wisse man aus den Statistiken. Und das passe nicht zu den Erwartungen an die Verfügbarkeit von Managern bei den Unternehmen. "Das Resultat ist eben, dass Mütter geradezu kohortenweise nicht mehr diesem Führungsnachwuchs-Kader angehören", so Gillmann.
Davon erhole sich die Pipeline weiblicher Top-Talente nicht mehr. Das Ergebnis seien Vorstandsetagen ganz ohne oder nur mit geringem Frauenanteil. "Das ist die deutsche Teilzeitfalle, also dieses Phänomen, dass Mütter auf dem Abstellgleis landen."
Spezielles Teilzeitangebot als Karrieremodell
Gillmann ist selbst Mutter von vier Kindern und weiß, wovon sie redet. Deshalb hat sie ein Karriere-Modell erdacht, wie das Teilzeitangebot von Müttern den Vollzeiterwartungen der Unternehmen gerecht werden kann. Das sind ihre "Twise-Tandems".
Aber nicht nur weibliche Interessenten können sich kostenlos dafür in ihrem Pool registrieren lassen, denn auch gemischte Tandems sind möglich. Dabei werden alle denkbaren Tandem-Konfigurationen zur gewünschten Work-Life-Balance berücksichtigt.
Das Team von Twise achtet bei der Zusammenstellung der Tandems besonders darauf, dass die Partnerinnen nicht nur fachlich, sondern auch menschlich zusammenpassen und sich gegenseitig vertrauen. Wie genau zeitliche und fachliche Verantwortung aufgeteilt werden, entscheiden die Mitwirkenden individuell unter sich.
Neues Gesetz zur Frauenquote in Vorständen
Nicht zuletzt weil das Thema im Rahmen der neuen Gesetzesinitiative zur Frauenquote in Vorstandsetagen an Brisanz gewonnen hat und allgegenwärtig in den Medien ist, wächst das Interesse am Angebot von Twise.
Zum bundesweiten Kundenstamm gehören neben kleineren Firmen nach eigenen Angaben mittlerweile auch ein Dax-Konzern und ein großes Familienunternehmen.
"Alles, was wir im Moment verdienen, wird reinvestiert". beschreibt Nina Gillmann die klassische Startup-Strategie von Twise.
Sie und ihr Team, das aus sieben weiteren Frauen besteht, haben eine Vision: "Wir wollen bis 2030 eine Geschlechter-Parität auf allen deutschen Führungsetagen. Das ist unser Ziel. Bei uns steht nicht der Profit an erster Stelle. Wir haben vor allem eine soziale gesellschaftliche Mission."
Auch Väter leiden
Es müsse zur Selbstverständlichkeit werden, dass man phasenweise, auch mal weniger arbeiten könne, ohne sofort die komplette Karriere zu riskieren, ist die ehemalige McKinsey-Beraterin überzeugt. "Die Kehrseite der Teilzeitfalle der Mütter ist ja die Versorger-Falle der Väter."
Es sei genauso ungerecht und unmenschlich, dass Väter nicht die Chance erhielten, mehr Zeit mit ihren Familien zu verbringen, weil sie fürchten müssten, aus dem Führungsnachwuchs-Kader herauszufallen. "Und übrigens noch viel erbarmungsloser als bei den Müttern, denn die Mütter kriegen zumindest eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung. Als Vater kriegt man die nicht."