Flexible Notunterkünfte
1. August 2014Wenn man an Flüchtlingslager denkt, hat man wahrscheinlich folgende Bilder vor Augen: Ordentlich aneinandergereihte Zelte, improvisierte Küchen und viele Hunderte Menschen, die versuchen, das Beste aus einer schrecklichen Situation zu machen, die eigentlich nur vorübergehend sein sollte. Oft sieht die Realität jedoch anders aus.
Meist befinden sich Flüchtlingslager in abgelegenen oder konfliktreichen Regionen. Sei es wegen einer Naturkatastrophe, oder wegen eines Krieges, müssen Vertriebene oft in improvisierten Notunterkünften jahre- oder sogar jahrzehntelang leben. "Kurzfristig funktionieren Zelte gut, sie sind sehr leicht und können überall in die Welt transportiert werden. Dabei tauchen aber sehr schnell Probleme auf", sagt der Berliner Designer Daniel Kerber.
Kerber führt die Organisation morethanshelters. Er und sein Team haben das Notunterkunft-System "Domo" entwickelt. Diese zeltähnlichen Unterkünfte sind schnell einzurichten und langlebiger als konventionelle Zelte. Domo lässt sich zudem leicht an klimatische Veränderungen anpassen. Kerber meint, das Domo-Konzept richte sich nach den menschlichen Bedürfnissen der Flüchtlinge und erfülle mehr als nur die dienstlichen und logistischen Anforderungen von humanitären Agenturen, die bisher nur Massenunterkünfte bereitstellen. "Wir müssen verstehen, dass diese Menschen - egal woher sie kommen - ihre Kultur mitbringen. Dazu gehören auch räumliche Muster", sagt der Designer.
Aus dem Nichts gebaut
Ein Domo wiegt etwa das gleiche wie ein Standardzelt: rund 50 Kilogramm. Von außen ähnelt es einem großen Iglu. Seine sechs Seiten sind von innen mit Baumwolle gefüttert. Insgesamt ist die Unterkunft 25 Quadratmeter groß, die Decke etwa drei Metern hoch. Der kuppelförmige Rahmen hat sechs ausklappbare Arme, die aus Sperrholz, Metall oder wiederverwertetem Kunststoff sein können.
"Das ist unsere Haupterfindung", sagt Kleber."Wir mussten eine sehr stabile Struktur schaffen, die aus dem Nichts aufgebaut werden kann." Durch die leichten Klapparme könnten zwei Menschen in nur ein paar Minuten einen Domo, ohne zusätzliches Werkzeug, aufbauen.
Während Standard-Lagerzelte alle sechs bis acht Monate ausgetauscht werden müssen, hält die Hauptstruktur eines Domo bis zu zehn Jahre, so Kerber. Nur der äußere Stoff müsse nach klimatischen Bedingungen ersetzt, oder aufgerüstet werden. "Eine 20-köpfige afrikanische Familie muss in den Notunterkünften getrennt leben, weil in die jetzigen Zelte nur jeweils fünf Menschen passen", erklärt der Designer. Oft würden dabei auch Kinder von ihren Müttern getrennt. Domo könne dies ändern.
Eine menschenfreundliche Unterkunft
Das Leben in einem Flüchtlingslager kann sehr stressig sein. Das Zaatari-Camp für syrische Flüchtlinge in Nordjordanien beherbergt zurzeit mehr als 100.000 Menschen. Seit seiner Gründung im Jahr 2012 hat es sich zu einer riesigen Stadt entwickelt. Gewalttätige Ausschreitungen sind dort keine Seltenheit mehr. Dazu kommen Sandstürme und Wetterextreme: glühend heiße Sommer und bitterkalte Winter.
Daniel Kerber findet, dass das modulare Design von Domo die Spannungen in solchen Lagern lindern könnte. Große Familien könnten zum Beispiel in Gruppen eingeteilt werden, und wenn sie für eine längere Zeit bleiben müssten, dann könnte Domo in ein Haus oder eine Hütte verwandelt werden.
Die ersten Feldversuche in Dänemark, Südafrika und Namibia zeigen, dass der Kerber-Domo tatsächlich einem komfortableren Wohnraum als das Standardzelt bietet.
"Daran habe ich lange geforscht: Wie fühlen sich Menschen in verschiedenen Räumen und wie beeinflussen Räumlichkeiten unsere Emotionen?", sagt Kerber.
Das deutsche Technische Hilfswerk (THW) war für den Aufbau des Zaatari-Camps mitverantwortlich. Der THW-Nothilfeexperte, Stefan Tahn, glaubt, dass das Domo-System die Perspektive von humanitären Helfern über Flüchtlingsunterkünfte ändern könnte. "Es ist sehr gut anpassbar und ich glaube, es ist sehr wichtig, dass die Leute ihre Unterkünfte selber gestalten und weiterentwickeln können", meint er.
Das Domo-System wird zurzeit für seine Zertifizierung getestet. Nächstes Jahr könnte es bereits in den ersten Flüchtlingslagern eingesetzt werden. Auch Schulen in den Camps könnten zukünftig mit der Domo-Technologie ausgestattet werden. Zusammen mit Killian Kleinschmidt, dem UNHCR Zaatari-Camp-Manager, hat Kerber die Innovations- und Planungsagentur (IPA) gegründet. Das ist die erste ihrer Art in einem Flüchtlingslager. Damit erhoffen sie sich einen kreativeren, ganzheitlicheren Ansatz bei der Planung von Notunterkünften, um diese menschenfreundlicher zu gestalten.