Bekenntnisse des Kunsthändlers Helge Achenbach
16. Oktober 2019Helge Achenbach hat Schatten unter den Augen, als er die Tür der Tönishöfe öffnet. Das Gutshaus und die Scheune in der Nähe von Kaarst hat der 66-Jährige mit finanzieller Unterstützung einiger weniger verbliebener Freunde renoviert. Dort, auf dem Land, betreibt er in Deutschland jetzt den Verein "Kultur ohne Grenzen", ein Zentrum für verfolgte Künstler. In der Öffentlichkeit ist Achenbach eine Persona non grata. Seit gut einem Jahr ist er wieder ein freier Mann. Deutschlands ehemalige Nummer eins unter den Kunstberatern saß vier Jahre lang im Gefängnis, weil er wohlhabende Kunden beim Kauf von Sammlerstücken um Millionen betrogen hatte. Sein prominentestes Opfer war Berthold Albrecht, der mittlerweile verstorbene Erbe der Handelskette Aldi Nord. Achenbach hat mehr als 16 Millionen Euro Schulden bei der Familie. Vernissagen und Kunstmessen meidet er lieber. Seine Autobiographie "Selbstzerstörung" nennt er auch "Therapie": "Was ich erlebt habe, gleicht einem Crash mit einem Flugzeug. Ich habe in der U-Haft angefangen zu schreiben, in der schwärzesten Stunde meines Lebens", sagt er im DW-Interview.
Ersten Kuchen in Freiheit von Aldi
Achenbach beginnt seine Autobiographie mit dem Tag der Entlassung aus dem Knast. Ausgerechnet bei Aldi kauft er sein erstes Stück Kuchen in Freiheit. Aus dem einfachen Grund: Feinkostläden kann er sich nicht mehr leisten. Beim Verzehr denkt er auch an die frisierten Rechnungen, die er der Familie Albrecht und zwei weiteren Sammlern untergejubelt hat. "Ich habe drei Mal Rechnungen zu meinen Gunsten umgeschrieben", erzählt er. "Einmal weil ich mich geärgert habe und selbst von jemandem über den Tisch gezogen wurde, da habe ich mich gewehrt. Das zweite Mal hatte ich das törichte Gefühl, zu günstig verkauft zu haben. Ich habe meine Fehler bei den anderen korrigiert und bei Albrecht kam ich nicht mehr dazu."
Ein Versäumnis, das ihn am 10. Juni 2014 ins Gefängnis bringt. Achenbach fälschte Einkaufspreise millionenschwerer Kunstwerke. Er rechnete Beträge in Euro ab, die in Wahrheit in US-Dollar angefallen waren. Außerdem schlug er noch ein gutes Sümmchen für sich oben drauf. Im Knast hatte Helge Achenbach nun Zeit, über sein Leben nachzudenken und seine Vergehen zu bereuen.
Deutschlands begehrtester Kunstberater
In seinen Memoiren "Selbstzerstörung. Bekenntnisse eines Kunsthändlers" erinnert er sich an seine Kindheit und an seine Jahre als "Big Daddy" des Kunstbetriebs: Achenbach, der eigentlich Sozialpädagogik studierte hatte, eröffnete 1977 mit einem befreundeten Architekten eine Agentur für Kunstvermittlung. Als Art Consultant sorgte er dafür, dass landauf landab zeitgenössische Kunstwerke in die Foyers und an die Wände großer Bankhäuser, Versicherungen oder Industrieunternehmen gelangten. Er war beliebt, denn er vermittelte nicht nur Kunst weiter, er sprang auch mit seinen eigenen Millionen ein, wenn anderswo kein Geld da war. Mal finanzierte er einen Pavillon der Biennale in Venedig für den Videokünstler Nam Jun Paik, mal eine Skulptur des Amerikaners Jeff Koons.
So liebten ihn die Künstler und die Kunden gleichermaßen. Es hieß: Helge Achenbach konnte jedem Kunst andrehen. Wer seine Memoiren liest, dem wird ein bisschen schwindelig von all den Millionen, die mal hier investiert und mal da wieder verloren werden. Achenbach arbeitete nicht nur mit den Superreichen unter den Sammlern zusammen, er vermittelte ihnen auch noch die teuersten und bedeutendsten Künstler: Gerhard Richter, Jörg Immendorff oder Andreas Gursky. Die Familie Albrecht kam ziemlich spät ins Portfolio. 2007 schüttelte er dem "Phantom" Berthold Albrecht zum ersten Mal die Hand. "Ich wollte den auch noch haben", sagt er nun kleinlaut. Die Familie scheute - wie viele andere Superreiche auch - das Licht der Öffentlichkeit. Gerade die Tatsache, dass Albrecht ein "Geheimnishüter" war, seine Familie wenig nach außen trat, habe ihn stolz gemacht. "Ich habe gemerkt, wie sehnsüchtig alles auf Familie Albrecht schaute, wenn wir auf Messen waren und wie ich bewundert wurde. Ich bin eingeknickt vorm Kapital, habe mich selbst korrumpiert, weil ich nicht gefestigt war", so Achenbach.
Gier auf dem Kunstmarkt
Die Kunstwerke, die Achenbach der Milliardärsfamilie Albrecht vermittelt hatte, sind inzwischen weitaus mehr wert als zu Zeiten ihres Einkaufs. Wohl auch deshalb konnte Achenbach erst mal gar nicht verstehen, warum er plötzlich als Betrüger dastehen sollte. Fünf Prozent Provision, so rechnet er vor, genügten hinten und vorne nicht. Zu berücksichtigen sei ja auch die enorme Wertsteigerung der Werke.
"Von fünf Prozent musste ich auch noch VG Bild Kunst (Verwertungsgesellschaft, die als Treuhänder nach dem Urheberrecht Geld für ihre Berechtigten einnimmt und nach bestimmten Regeln eines Verteilungsplans ausschüttet, Anmerk. d. Red.) 1,6 Prozent abgeben. So waren nur noch 3,4 Prozent über." Als Beispiel erzählt von Achenbach von einem Gemälde des Malers Oskar Kokoschka. "Ich kaufe einen Kokoschka, der kostet in der Galerie 1,3 Millionen Dollar. Ich kaufe den ein für 800.000 Dollar. Komme nach Hause und darf fünf Prozent in Rechnung stellen, das waren 40.000 Dollar und davon gehen noch mal 20.000 Dollar ab". Das sei kein gutes Geschäft für ihn gewesen. Doch statt auszusteigen, habe er begonnen, die Rechnungen zu frisieren. "Der fatalste Fehler meines Lebens", sagt Achenbach, der inzwischen auch von seiner Ehefrau geschieden wurde. "Ich wusste nicht, dass meine Tat den Verlust aller Ehren und Gelder bedeuten würde. Ich wusste es nicht."
Millionen für Picasso
In anderen Fällen blieben dann doch mehr als 20.000 Dollar übrig. Bei einem Picasso belief sich sein Anteil auf mehr als eine Million. Mitleid möchte Helge Achenbach nicht, aber er möchte mit seinem Buch das Bild geraderücken, das die Öffentlichkeit von ihm hat. Und er möchte der Welt der Superreichen den Spiegel vorhalten. Eindrucksvoll erzählt Achenbach davon, wie sich der gesamte Kunstmarkt allmählich in einen Geldmarkt verwandelt hat. Inhalte interessieren heute nur noch die wenigsten. Wendepunkt war Mitte der 80er Jahre. Seitdem sind die Preise utopisch. Es geht ums Spekulieren, und alle machen mit. "Ernst Beyerler in Basel lud mich 1987 ein, er wollte von mir was kaufen und erzählte, er schicke einmal im Monat 50 - 60 Fotos von Meisterwerken oder weniger großartigen Meisterwerken nach Japan, verdoppele die Preise und verkaufe alles." Ein Dummkopf, wer da nicht auch ein Stück vom Kuchen abhaben wollte. "Irgendwann tauchten die ersten Menschen auf, wo man das Gefühl hatte, die Augen waren kalt, der Blick war gierig, denen ging es nicht um die Liebe zur Kunst, sondern ums Kohle machen." Doch da war es schon zu spät.
Helge Achenbach hat jahrelang dieses System bedient. Er ist noch immer ein Menschenfischer, selbst im Gefängnis genoss er Privilegien. Er war Sportwart und gab Kurse in Kunstgeschichte. Ein talentierter Autor ist Helge Achenbach allerdings nicht. In seiner Autobiographie gibt es Zeitsprünge, Wortwiederholungen, einfach gebaute Sätze. Über manch eine selbstgefällige Formulierung sollte man lieber schnell hinweglesen. Doch seine Memoiren ermöglichen einen aufschlussreichen Insider-Blick in das Haifischbecken Kunstbetrieb. Trotz sprachlicher Mängel: So etwas wie Achenbachs "Bekenntnisse eines Kunsthändler" bekommt man nur selten zu lesen.
Helge Achenbach: "Selbstzerstörung. Bekenntnisse eines Kunsthändlers".Verlag: premium riva. 240 Seiten, EUR 19.99.