Mehr als Döner: Deutschlands Bundespräsident in der Türkei
23. April 2024Es ist ein sonniger Tag. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier läuft am Bahnhof von Sirkeci in Istanbul den Bahnsteig hinab, an dem vor mehr als 60 Jahren rund 100.000 türkische Gastarbeiter ihr Glück und ihre Hoffnung in Deutschland suchten. "Es ist kein Zufall, dass wir unsere Reise heute mit einem Besuch dieses Bahnhofs begonnen haben. Ich habe mich gefreut, als erste Station diesen Bahnhof zu besuchen, der für das Schicksal vieler Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland reisen, ein Ort großer Emotionen ist" , sagt Steinmeier, sichtlich gerührt von der Geschichte. Er weist darauf hin, dass in Deutschland mehr als drei Millionen Türkei-stämmige Menschen leben: "Menschen aus der Türkei, die in Deutschland leben, sind Teil unserer Gesellschaft geworden. Ihre Geschichten sind auch unsere Geschichten, nicht die Geschichten von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern die Geschichten eines Landes mit Migrationshintergrund."
Gestört wird das Programm von einer pro-palästinensischen Gruppe, die Lautstark, "Deutschland - Verbrecher in Gaza, Kindermörder Deutschland" skandiert, bevor nach einiger Zeit die Polizei einschreitet.
Die Freundschaft zwischen Deutschland und der Türkei ist wichtig
Auch Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz ist Mitglied der Delegation. Ihre Eltern stammen aus der Türkei. Für sie ist es eine "bedeutsame Reise des Bundespräsidenten". "Wir schauen in die Vergangenheit und auch in die Gegenwart und wollen herausfinden, ob die Probleme zwischen Deutschland und der Türkei dieselben sind", sagt sie und fährt fort: "Ich denke Nein. Wir haben viele Schritte nach Vorne gemacht und ich denke, dass diese Schritte und auch in eine positive Zukunft bringen werden". Aber auch Özoguz ist Realistin. Es bedürfe mehr als einer Reise des Bundespräsidenten, bevor das Verhältnis werde, wie es unter Freunden sein sollte.
Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist seit Jahren unterkühlt. Nicht nur massive Menschenrechtsverletzungen, mangelnde Rechtstaatlichkeit und Demokratiedefizite kritisiert Berlin, auch der zunehmende Einfluss der türkischen Regierung auf Deutschtürken führt häufig zu Spannung zwischen beiden Ländern. Erdogans Drohungen, wie etwa die, Flüchtlinge in die EU übersetzen zu lassen oder Erpressungsversuche wie zuletzt vor dem NATO-Beitritt Schwedens belasten das Verhältnis weiter. Auch seine Äußerungen, Israel sei ein Terror-Staat und die Hamas, die in der EU und weiteren Staaten als Terrrorguppe geächtet ist, sei eine Befreiungsorganisation, löste heftige Reaktionen in Berlin aus. Einmal mehr griff er am vergangenen Wochenende den israelischen Premier Benjamin Netanjahu an, während er den Hamas-Chef Ismail Hanija in Istanbul empfing.
Aber Erdogan ist bis 2028 im Amt, auch wenn sein Bündnis bei den Kommunalwahlen am 31. März eine Niederlage erlitt. Das erfordert einen Balanceakt, den der Bundespräsident leisten will. Zu Beginn seiner Reise traf er den Politstar der Opposition, den Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu. Heute ist Steinmeier im Erdbebengebiet unterwegs, bevor er am Abend nach Ankara fliegt und am Mittwoch vom türkischen Präsidenten in seinem Palast empfangen wird.
Bundesfinanzminister Lindner: Die Türkei hat ein großes Potential
Neben Abgeordneten, Staatssekretären und Gästen aus Kunst, Literatur und Wirtschaft ist auch Bundesfinanzminister Christian Lindner Teil der Delegation. Am Mittwoch wird er seinen türkischen Amtskollegen Mehmet Simsek in der Hauptstadt treffen, der nicht nur neue Investitionen ins wirtschaftlich angeschlagene Land zu holen versucht, sondern auch die galoppierende Inflation nicht in Griff bekommt. Auf die Frage der DW, welche wirtschaftlichen Ratschläge Lindner seinem Amtskollegen Mehmet Simsek mitgeben werde, sagt Lindner: "Wir sind nicht hier, um Ratschläge zu geben, aber wir unterstützen sehr die Bemühungen der türkischen Regierung, die Wirtschaftsentwicklung zu stabilisieren. Das bedeutet, die Inflation zu bekämpfen. Die Entwicklungen, die wir hier gesehen haben, die zeigen ein Bemühen um mehr Verlässlichkeit".
Für Lindner steht fest, dass die Türkei ein hohes Potenzial hat. Er geht davon aus, dass deutsche und internationale Investoren sich wieder im Land niederlassen werden, wenn die wirtschafts- und währungspolitischen Probleme in der Türkei überwunden werden. "Ich bin davon überzeugt, dass die Türkei es in der Hand hat, sich wirtschaftlich zu erholen, wenn sie wieder auf den Markt setzt und nicht auf interventionistische Eingriffe, wenn die Frage der Verlässlichkeit rechtlicher Rahmenbedingungen, übrigens auch der Menschenrechtssituation, gewährleistet ist, dann hat das auch positive Auswirkungen auf Wachstumsperspektive und die Attraktivität für deutsche Investoren".
Bei der Visavergabe für türkische Unternehmer gab und gibt es immer wieder Probleme. Zahlreiche Geschäftsleute können keine Messen oder Veranstaltungen in Deutschland besuchen, um ihre Produkte auf dem Markt zu präsentieren. Ja, auch dieses Problem sei bekannt und mit Vertretern und Vertreterinnen der Wirtschaft angesprochen worden, sagt Lindner. Das Auswärtige Amt arbeite daran, das Visamanagement zu verbessern und zu beschleunigen. "Wir wollen die Kapazitäten dort ausweiten und verbessern. Da tun wir was" so Lindner weiter.
Es ist eine Ehre, dabei zu sein
Unter den Delegationsteilnehmern sind auch zahlreiche türkeistämmige Gäste. Unter Ihnen ist der vielleicht am meisten interviewte Gastronom Deutschlands, Arif Keles, der in Berlin in dritter Generation einen Dönerimbiss betreibt. Der Bundespräsident sagt am Abend bei einem Empfang in der Sommerresidenz der deutschen Botschaft, dass der Döner eine der Geschmacksrichtungen sei, die die Türkei und Deutschland verbinde und dass er selbst gerne Döner esse. Und so kam es, erzählt Keles der DW, dass das Bundespräsidialamt ihm eine Anfrage machte. "Sie riefen mich an und sagten, dass ich eingeladen bin, den Bundespräsidenten in die Türkei zu begleiten. Es ist für mich natürlich eine Ehre und ich bin stolz darauf, hier dabei zu sein". Dass er einen tiefgefrorenen, 60 Kilo schweren Dönerspieß samt Soßen und anderen Zutaten im Flugzeug mit nach Istanbul nahm, sorgte in sozialen Netzwerken zwar auch für Spott. Aber für Steinmeier symbolisiert Keles genau die Erfolgsgeschichte, die er am Bahnhof Sirkeci angesprochen hatte. Türkeistämmige seien weder in der Kultur, der Wirtschaft oder erst recht in der Gastronomie wegzudenken.