Mehr als 400.000 Corona-Tote in Brasilien
30. April 2021Brasilien hat einen weiteren traurigen Corona-Rekord zu verzeichnen: Über 400.000 Menschen sind nun im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion gestorben, im März waren es noch insgesamt 300.000. Damit entspricht die Zahl der Toten dem Neunfachen an Menschen, die im vergangenen Jahr in dem südamerikanischen Land ermordet wurden - und Brasiliens Mordrate gehört weltweit mit zu den höchsten.
Zwar sinken die täglichen Corona-Neuinfektionen langsam, dennoch ist der April der bisher tödlichste Pandemie-Monat in Brasilien. Auch die Impfkampagne läuft nur langsam an, nachdem die Bolsonaro-Regierung den Kauf von Impfdosen verschleppt hatte.
Kommission untersucht Verfehlungen der Regierung
Ein Untersuchungsausschuss des Senats hat in diesen Tagen seine Arbeit aufgenommen, um den Umgang der Regierung mit der Corona-Krise zu analysieren. Denn dem rechtspopulistischen Jair Bolsonaro wird vorgeworfen, seiner Verantwortung als Präsident nicht nachgekommen zu sein. Er verharmlost die Pandemie bis heute und sabotierte die teils von Gouverneuren veranlassten Schutzmaßnahmen. Gleichzeitig kaufte seine Regierung unwirksame Medikamente statt Impfstoffen ein.
Entscheidender Moment in Brasilien
Die jüngsten Zahlen deuten derzeit auf eine leichte Verlangsamung des Infektionsgeschehens hin, was einige Politiker und Teile Bevölkerung bereits dazu ermutigt hat, die Pandemie wieder auf die leichtere Schulter zu nehmen. Einige Bundesländer haben sogar bereits die Maßnahmen gelockert. Dabei ist der April der tödlichste Monat bisher. Und die Zahl der Neuerkrankungen stagnieren auf einem sehr hohen Niveau. Auch die Intensivstationen in den meisten Teilen des Landes sind komplett belegt. Von insgesamt 27 Landeshauptstädten inklusive der Hauptstadt Brasília waren zu Beginn der Woche in 17 mehr als 90 Prozent der öffentlichen Intensivbetten von COVID-Patienten belegt, so eine Umfrage der Tageszeitung "Folha de S.Paulo". Bisher sind zudem nur gut sieben Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft.
Viele Experten befürchten, dass dadurch der leichte Abwärtstrend die Zahl der täglichen Todesfälle schnell wieder über die 4000-er-Marke treiben wird - so wie es vor einigen Wochen noch der Fall war.
Regionale Lockdowns zeigten Wirkung
Nachdem die Zahlen im März und Anfang April auf einen Höchststände geklettert waren, ist sowohl die Kurve der Infektionen als auch der Todeszahlen gen Ende des Monats leicht rückläufig. Im Durchschnitt der vergangenen sieben Tage starben etwa 2400 Menschen pro Tag, 57.000 stecken sich mit dem Coronavirus an.
Dieser Trend ist laut Experten den verschärften Maßnahmen und Einschränkungen des sozialen Lebens zu verdanken, die von Bürgermeistern und Gouverneuren im März beschlossen worden waren. Dazu kommt, dass auch Teile der Bevölkerung ihre Kontakte ohne behördliche Vorgaben reduziert haben.
Im Bundesstaat São Paulo wurde zum Beispiel Mitte März der Notstand ausgerufen. Es folgte eine nächtliche Ausgangssperre, ein Verbot von Gottesdiensten und das Arbeiten im Homeoffice, wo immer möglich. Am 26. März ordnete die Stadt Rio de Janeiro ebenfalls die Schließung des Handels und nicht lebensnotwendiger Dienstleistungen an.
"Das hatte auf jeden Fall einen gewissen Effekt: Weniger Menschen waren unterwegs und hatten weniger Kontakte", sagte der Physiker Roberto Kraenkel vom "Observatório COVID-19 BR", einer unabhängigen Initiative, die wissenschaftlich aufbereitete Informationen zur Corona-Pandemie in Brasilien bereitstellt. Dadurch habe sich dann Ende April das Infektionsgeschehen verlangsamt.
Bars und Restaurants wieder geöffnet
Doch angesichts einer zaghaften Entspannung der Lage hat São Paulo am vergangenen Samstag Bars, Restaurants, Fitnessstudios und Kinos wieder geöffnet. Auch in Rio de Janeiro sind diese Einrichtungen wieder geöffnet.
Diese Lockerungen, gepaart mit der abnehmenden Bereitschaft der Menschen sich weiter zu isolieren, seien gefährlich, ist auch der Biologe Marcelo Bragatte von der "Rede Análise Covid-19" überzeugt. Er ist Teil eines interdiszipilären Netzwerks der Bundesuniversität von Rio Grande.
"3000, 2500 Todesfälle pro Tag zum Anlass zu nehmen, den Unterricht wieder aufzunehmen und die Geschäfte zu öffnen, ist verrückt. Wenn Sie als Nichtschwimmer in einem zehn Meter tiefen Becken sind und der Beckenpegel auf fünf Meter sinkt, rettet das auch nicht vor dem Ertrinken", führt er vor Augen.
Schleppende Impfkampagne
Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, setzen Länder weltweit auf Massenimpfungen - aber Brasilien hat lange gebraucht, um Verträge mit Herstellern zu unterzeichnen. Der Mangel an Dosen führt zu Verzögerungen und Unterbrechungen der bereits gestarteten Impfkampagne. Auch damit wird sich der Pandemie-Untersuchungsausschuss beschäftigen.
"Wir haben nur wenig Impfstoff, und bis die Bevölkerung so flächendeckend immunisiert ist, dass das die Pandemie aufhält, wird es noch lange dauern. Bis dahin kann es immer wieder zu neuen Ausbrüchen und einem Anstieg der Infektionen kommen", sagte Kraenkel, der auch daran erinnert, wie wichtig es ist, dass das Land verstärkt auf Tests und Kontaktnachverfolgung setzt, "etwas, das nie auf der Agenda der Regierung stand".
Der Biologe Bragatte sieht Brasiliens "fatale" Zahlen grundsätzlich darin begründet, dass die Bolsonaro-Regierung "die Warnungen, die die Wissenschaft von Anfang an gegeben hat, nicht ernst nimmt". Die Entscheidungen der Regierung würden auf einer falschen Trennung zwischen dem Erhalt der öffentlichen Gesundheit oder der Wirtschaft beruhen. "Dabei sind sie symbiotisch. Die Wirtschaft basiert auf Menschen, nicht auf Zahlen", sagte er.
Bolsonaros Haltung habe eine entscheidende Rolle bei der Verschlimmerung der Pandemie gespielt, ist Bragatte überzeugt. "Die Wissenschaftler im Land, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben, haben nicht die Reichweite eines Präsidenten, der leider nicht als gutes Beispiel vorangeht."
Aus dem Portugiesischen adaptiert von Ines Eisele