Rassismus im britischen Königshaus?
10. März 2021Meghan Markle, Duchess von Sussex und Frau von Prinz Harry, steigen Tränen in die Augen, als sie im TV-Interview mit der Talk-Masterin Oprah Winfrey folgenden Satz sagt: "In den Monaten, in denen ich schwanger war, ging es immer wieder darum, dass er (Archie) keinen Titel bekommen wird und um Bedenken und Gespräche darüber, wie dunkel seine Haut sein könnte, wenn er geboren wird." Die Herzogin erzählt, dass sie so unglücklich gewesen sei, dass sie sogar erwogen habe, Selbstmord zu begehen. Dass auf den Angehörigen des britischen Königshauses ein schwerer Druck lastet, ist keine Neuigkeit. Das zeigten in der Vergangenheit schon die Schicksale von Prinzessin Margaret, Prinz Charles, Prinzessin Diana, und nun auch von Prinz Harry.
Nicht-weiße Adlige im viktorianischen England?
Meghan ist keineswegs die erste nicht-weiße Person im britischen Königshaus. Laut Priya Atwal, Historikerin an der Universität Oxford und Autorin des Buches "Royals and Rebels: The Rise and Fall of the Sikh Empire" ("Royals und Rebellen: Aufstieg und Fall des Sikh Empires"), adoptierte Königin Victoria im 19. Jahrhundert mehrere Kinder aus den britischen Kolonien, um "ihre neuen Territorien besser kennenzulernen und dort ein positives Bild ihrer Familie zu hinterlassen", wie Priya Atwal im DW-Interview erklärt.In einem Tweet schreibt Atwal, dass sie erstaunliche Parallelen zwischen Meghan Markles Geschichte und der von Prinzessin Gouramma von Coorg, einem Adoptivkind Königin Victorias, sehe. Prinzessin Gouramma (1841-1864) war die Tochter von Chikka Virarajendra, dem Herrscher von Coorg, einem kleinen unabhängigen Königreich in Südindien. Der Hindu-Radscha hatte Gouramma auf einer Reise nach England in der Obhut der Königin gelassen, in der Hoffnung, dass seine Tochter dort eine sichere Zukunft und einen Ehemann finden würde. Erstaunlicherweise war Königin Victoria von der Idee begeistert und stimmte bereitwillig zu.
Königin Victoria und die Kinder britischer Kolonien
"Wenn man etwas tiefer in die Geschichte der Royals eintaucht, lassen sich noch weitere nicht-weiße Personen in der Geschichte des englischen Königshauses finden", sagt Atwal.
Da wäre etwa Königin Charlotte (1744-1818), die 1761 König Georg III. heiratete. In ihrer Familie soll es schwarze Vorfahren gegeben haben. Die Forschung ist sich darüber allerdings uneinig. Der Historiker Mario de Valdes y Cocom schrieb 1999 in einem Artikel, dass Charlotte die Tochter des deutschen Herzogs Karl Ludwig Friedrich von Mecklenburg (1708-1752) und seiner Frau Prinzessin Elisabeth Albertine von Sachsen-Hildburghausen sei und damit "in direkter Linie von Margaritade de Castro y Sousa, einem schwarzen Zweig des portugiesischen Königshauses, abstammt".
"Bridgertons" Queen ist Schwarze
Auf dieser - wenngleich umstrittenen - These beruhe die Netflix-Serie "Bridgerton", die 2021 zum überraschenden Streamingerfolg wurde. "Deshalb wurde die Rolle der Königin mit einer ethnisch gemischten Schauspielerin (Golda Rosheuvel, Anm. d. Red.) besetzt", sagt Atwal.
In ihrem Buch untersuchte sie die Schicksale der Patenkinder von Königin Victoria (1819-1901) und auch deren Herkunft: "Häuptlingshäuser aller kolonisierten Gebiete, die zu Großbritannien gehörten". Zu diesem Kreis gehörten sowohl Prinz Duleep Singh und Prinzessin Gouramma aus Indien als auch Sarah Forbes Bonetta, ein afrikanisches Waisenkind aus dem heutigen Nigeria, das Königin Victoria ebenfalls zu ihrer Patentochter machte.
"Nicht-weiße Mündel waren wie Familienmitglieder"
"Es war für mich faszinierend zu sehen, dass es in den Familienfotoalben, die Königin Victoria und Prinz Albert zusammenstellten, auch Fotos von Prinzessin Gouramma, Sarah Forbes Bonetta, Maharaja Duleep Singh und seinen Kindern zu finden sind. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Fotografie (...) in den 1840-er Jahren in Mode kam", sagt Atwal. Diese Fotografien seien aber wohl auch deshalb erstmals in einem Familienalbum aufgetaucht, weil es so etwas in dieser Art zuvor noch nicht gegeben habe. Dass auch sie darin vorkamen, sieht Atwal als Beleg dafür, dass Victoria und Albert ihnen den Stellenwert von Familienmitgliedern beimaßen.
War das Viktorianische England fortschrittlicher als die Royals heute?
Bedeutet dies, dass die britischen Royals in der Vergangenheit fortschrittlichere Ansichten vertraten als heute? In der Tat waren gemischte Ehen zwischen Engländern und Indern in der Mitte des 18. Jahrhunderts üblich, so der britische Autor William Dalrymple, der seine eigene gemischt ethnische Abstammung in dem Buch "White Mughals: Love and Betrayal in Eighteenth-Century India" beschreibt.
Atwal ist der Ansicht, dass zu dieser Zeit das Konzept von Rasse nicht durch die Hautfarbe definiert wurde. "Es ist interessant, dass Königin Victoria nicht in diesen Kategorien dachte. Sie sah Menschen wie Gouramma, Sarah Forbes Bonetta, Duleep Singh (...) gewissermaßen als Verwandtschaft, als Ebenbürtige. Für sie war die Tatsache entscheidend, ob eine Person königliches Blut hatte oder nicht."
Die Absichten der Königin waren dennoch zweideutig. Maharaja Duleep Singh konvertierte zum Christentum, und die Königin versuchte, ihn mit Gouramma zu verheiraten, "weil sie die Verbindung der beiden für ideal hielt. Sie sah in ihnen ein Vorzeigepaar, das in gewisser Weise ihr Konzept eines neuen Reiches vertreten sollte. Dies ist vergleichbar mit dem Druck, der auf Harry und Meghan lastete, die ebenfalls das Ideal des Commonwealth repräsentieren sollten", erklärt Atwal.
"Flucht" aus dem königlichen Leben
Königin Victorias Heiratsvermittlung funktionierte nicht. Gouramma litt unter dem Druck des königlichen Lebens. Dazu gehörten auch "intensive Prüfungen durch ihre Vormünder oder durch die britische Gesellschaft, weil sie das Patenkind der Königin war", so Atwal.
Duleep Singh mied Prinzessin Gouramma, nachdem es Gerüchte gab, dass sie sich verliebt hatte und mit einem Diener durchbrennen wollte. "In den Briefen, die ich gefunden habe (...) ging es vor allem darum, dass sie ein anonymes Leben führen wollte. Sie sah, dass die Dienerschaft ein normales Leben führte. Deshalb wollte sie so werden wie sie", erklärt die Oxford-Forscherin und betont, dass sich - wenngleich die Geschichten von Meghan und Gouramma unterscheiden - ihr Bedürfnis, dem Druck und den Erwartungen, der Etikette des königlichen Lebens zu entkommen, ähnlich stark war.
Haben sich die Ansichten des britischen Königreichs in den letzten 150 Jahren verändert? "Eine komplizierte Frage. Die Wissenschaft fängt erst jetzt an, darüber zu forschen", antwortet Atwal der DW und fügt hinzu, dass Königin Victoria zwar die nicht-weißen Kinder in den Schoss ihrer Familie holte, aber bereit war, ihr Mündel Duleep Singh abzustoßen, als er eine Engländerin heiraten wollte. Genauso wie im Fall von Meghan Markle stand damals die Frage im Raum: "Wie werden die Kinder aussehen?"
Adaption ins Deutsche: Sabine Oelze.