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Politik

"May braucht Vertrauensvotum"

18. April 2017

Großbritanniens Premierministerin May geht aufs Ganze. Sie setzt Neuwahlen an, um sich politische Rückendeckung für die Brexit-Verhandlungen zu sichern. Ein riskantes Spiel, meint Ex-Botschafter Thomas Matussek.

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Großbritannien Premierministerin Theresa May in London
Bild: Reuters/T. Melville

Deutsche Welle: Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat Neuwahlen für den 8. Juni angekündigt. Wird Sie dem Beispiel von Boris Johnson folgen, der sich nach der Brexit-Kampagne zurückziehen wollte?

Thomas Matussek: Nein, das glaube ich nicht. Mir scheint, ihr Kalkül ist, dass Sie sich jetzt noch einmal eine zusätzliche Legitimation für die Brexit-Verhandlungen einholen will, denn nach dem knappen Votum sind ja viele Leute auf die Straße gegangen und haben gesagt: 'Hätte ich das geahnt, dann wäre ich auch zur Wahl gegangen'. Die 'Remainers' haben gesagt, sie hat nicht die Hälfte des Landes, sondern die Hälfte der Leute hinter sich, die zu den Wahlen gegangen sind. Wenn Sie jetzt einen vernünftigen Sieg einfährt, kann sie mit Fug und Recht sagen, sie spricht wirklich für das gesamte Land.

Es könnte auch der Fall eintreten, dass die Wahl zu einem Votum für den Exit vom Brexit wird...

Eine Kurskorrektur ist schwer. Solange die Zwei-Jahresfrist läuft, kann man nicht einfach sagen, sorry, ich habe das nicht so gemeint. Natürlich kann ich die Gedanken von Frau May nicht erraten, aber es wäre wirklich ein Türen zuknallen, wie es das Land seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hat, wenn die vorgezogenen Wahlen ein Vorwand dafür wären, den Brexit hinzuwerfen. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Wäre es denn nach den Neuwahlen formal möglich, den Austritt Großbritanniens aus der EU wieder rückgängig zu machen?

Die Brexit-Uhr läuft. Wenn die Briten nicht mehr wollen, dann müssen sie dies beantragen und gleichzeitig wieder einen Eintrittsantrag stellen. Das ist rechtlich möglich, bedarf aber der Einstimmigkeit aller 28 Länder. Man kann nicht sagen, wir haben uns das jetzt nach dem Wahlergebnis anders überlegt, wir tun mal so, als sei nichts passiert, das geht nicht.

Die Zeit bis zu den Neuwahlen am 8. Juni läuft auch. Auf welche Frage wird sich der Wahlkampf zuspitzen?

Ich glaube, Theresa May wird argumentieren, dass sie sich bei diesen schwierigen Verhandlungen sicher sein muss, das ganze Land zu repräsentieren und deswegen ein Vertrauensvotum braucht. Sie hofft natürlich darauf, dass dieses Vertrauensvotum stärker ausfällt als die Legitimation für den Brexit. Sie ist ja nicht gewählt worden, sondern einfach in die Rolle von David Cameron hineingeschlüpft.

Deutschland Thomas Matussek in Berlin
Großbritannienkenner Thomas Matussek war von 2002 bis 2006 Botschafter in LondonBild: picture-alliance/dpa

Wenn sie dieses Vertrauensvotum nicht erhält, müsste sie wohl zurücktreten....

Eine Strategie Mays könnte sein: Wir schenken Euch jetzt reinen Wein ein, wir erwähnen die Chancen des Brexit, aber verschweigen auch nicht die unerhörten Risiken und Nachteile. Bei der letzten Kampagne ist von den Brexit-Befürwortern ja viel gelogen worden, es ist sehr viel mit Demagogie und Populismus gearbeitet worden. Es kann sein, dass May sagt, dies ist eine entscheidende Stunde, in der das Land zusammen stehen muss, wie 1940. Immer wenn Großbritannien unter Druck ist, treten die britischen Tugenden nach vorne, das Land scharrt sich um die Premierministerin und gibt ihr ein Vertrauensvotum. Die allerletzte Möglichkeit wäre, die Neuwahlen als Vorwand zu nutzen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das halte ich für das unwahrscheinlichste Szenario.

May kündigt vorgezogene Wahlen an

Was ist mit der britischen Opposition? Wird sie jetzt deutlicher Position beziehen als beim Referendum?

Ich habe diese Hoffnung. Die Labour-Party ist allerdings in einem grauenvollen Zustand. Von den glorreichen Zeiten eines Tony Blair oder Gordon Brown ist nichts mehr übrig. Labour-Anführer Jeremy Corbyn ist ein schwacher Anführer. Er hat sich auch während der Referendums-Kampagne mehr oder weniger aus der ganzen Geschichte herausgehalten. Man kann als Europäer nur hoffen, dass die pro-europäischen Kräfte, die es in der Labour-Party gibt, jetzt wieder nach vorne treten.

Hat sich die Brexit-Debatte seit dem Referendum am 23. Juni 2016 in Großbritannien geändert?

Ich war am 23. Juni in London. Es hat irrsinnig geregnet, die U-Bahnen sind ausgefallen. Diesmal könnten auch die Wasserscheuen zur Wahl gehen, und auch die Leute, die anschließend immer alles besser wissen. Interessant wäre auch zu sehen, wie die Schotten sich positionieren, ob die Unabhängigkeitsbewegungen dort stärker Auftrieb bekommen. Und wie die Nordiren sich verhalten. Hinzu kommen auch die ganzen Fischerei- und Küstenstädte, die irrsinnig profitiert haben von den europäischen Fonds, die aber für den Brexit gestimmt haben. Vielleicht wachen die langsam auf und fragen sich: Was passiert eigentlich, wenn wir nicht mehr dazu gehören?

Thomas Matussek war von 2002 bis 2006 deutscher Botschafter in Großbritannien und ist Mitglied in der Deutsch-Britischen-Gesellschaft. 

Das Gespräch führte Astrid Prange.