Renzi hält das Ruder fest
21. Februar 2015Vor drei Jahren stand ich im majestätischen Büro von Matteo Renzi im Palazzo Vecchio in Florenz. Der damals 37-Jährige war Bürgermeister der toskanischen Stadt und ich hörte gespannt zu, wie er enthusiastisch über ein verloren gegangenes Leonardo-da-Vinci-Bild sprach. "Die Schlacht von Anghiari", so Renzi, sei aller Wahrscheinlichkeit nach hinter einem Fresko in der Ostwand des Palastes verborgen. In einigen Tagen würde er im Rathaus eine Pressekonferenz einberufen - mit höchst interessanten Informationen zu dem Bild.
Zu dieser Zeit drohte die italienische Staatsverschuldung den Euro gerade komplett zu destabilisieren, Silvio Berlusconi hatte einen unrühmlichen Abgang vom Amt des Ministerpräsidenten hingelegt und sein Nachfolger Mario Monti bildete eine Technokratenregierung. Trotz der furchtbaren Stimmung im Land war Renzi imstande, in den Italienern den Glauben daran zu wecken, dass zumindest das Meisterstück von Leonardo so schnell wie möglich freigelegt werden könnte.
"Dass wir in der Situation sind, in der wir nun mal sind, liegt nicht daran, dass wir unsere italienische Genialität und Kreativität verloren haben", sagte mir Renzi damals in seinem leicht holprigen Englisch, "aber die italienischen Politiker haben sich leider nicht von Visionen treiben lassen, sondern von Uneinigkeit. Das ist der entscheidende Punkt".
Rasante Karriere
Keine zwei Jahre später, im Dezember 2013, konnte Renzi die Demokratische Partei (Partito Democratico) gegen Widerstände dazu bringen, ihn zu ihrem Vorsitzenden zu wählen. Schon bald machte er Druck auf den nächsten Übergangs-Ministerpräsidenten, seinen Parteifreund Enrico Letta. Letta trat schließlich zurück, und im Februar 2014 konnte Renzi selbst die Regierungsgeschäfte übernehmen und an seinem Zukunftskonzept für Italien arbeiten.
Obwohl Renzis Visionen für ein neues Italien nicht wirklich neu waren - weder seine Verfassungs-, seine Wahlrechts- noch seine Arbeitsmarktreform -, verkaufte er sie doch mit großer Dynamik als solche. So etwas hatte die zerstrittene Mitte-Links-Koalition noch nicht gesehen: In einer politischen Landschaft, die bis dahin hauptsächlich von alten Männern geprägt war, installierte Renzi eines der jüngsten Kabinette Europas, zur Hälfte bestehend aus Frauen. Und er arrangierte sich mit der einzigen echten Oppositionspartei in Italien - der Forza Italia von Berlusconi. Das ging zwar so weit, dass seine eigenen Parteifreunde misstrauisch wurden. Doch erreichte er damit, dass eine Mehrheit im Senat einem neuen Wahlrecht zustimmte, das in Zukunft für mehr politische Stabilität sorgen soll.
Postmoderner Politiker
Leonardo Morlino, Professor für Politikwissenschaften an der Universität LUISS in Rom, ist von Renzi beeindruckt. Seine Leistung gelte es zu würdigen, gerade, wenn man bedenke, wie sehr Italien seit 1945 von hohem politischem Dissens und Misstrauen der Parteien untereinander geprägt ist. Tatsächlich: Renzi hält sich an der Macht und seine Popularität steigt bei linken wie bei rechten Parteien. "Wir dürfen nicht vergessen, dass Italien fast 20 Jahre lang durch einen politischen Patt stillgestanden hat", so Morlino. "Renzi ist mit Wille, Energie und Ideen angetreten und will Italiens Demokratie verändern. Allerdings: Wenn wir mal ehrlich sind und die Parteibrille absetzen, müssen wir zugeben, dass es wohl noch dauern wird, bis wir Ergebnisse sehen."
Massimiliano Panarari, Experte für politische Kommunikation und Kolumnist, legt Wert auf die Feststellung, dass Renzi zwar noch lang nicht alles erreicht hat, was er versprochen hat, trotzdem aber eine politische Revolution für Italien ist. Er sei ein postmoderner Politiker, so Panarari, ein "Paradigma für jede folgende Führung" - einer mit der Fähigkeit, den Willen der Italiener und der italienischen Politik schnell aufzunehmen und seine politische Agenda danach auszurichten. Der Kolumnist lobt zudem Renzis Steuerreform als einen klugen Zug. Durch sie behielten Niedrigverdiener monatlich 80 Euro mehr Netto vom Brutto im Portemonnaie.
Viele Italiener, besonders aus dem traditionell linken Spektrum, können sich trotzdem nur zögernd mit Renzi anfreunden. Das Wachstum schlingert nach wie vor um die null Prozent, die Arbeitslosigkeit ist 2014 gestiegen und viele sehen die Arbeitnehmerrechte durch Renzis Reformbestrebungen gefährdet.
Rumoren unter der Oberfläche
Die einzigen echten politischen Feinde für Renzi sieht Massimiliano Panarari in dessen eigenen Reihen. "Der Konflikt verläuft innerhalb der Partito Democratico, der einzigen stabil organisierten Partei Italiens. Dieser Konflikt ist schwelend, im Untergrund, er könnte sich irgendwann als Quelle von Instabilität herausstellen." Ob Renzis Führungsstil dem Land ausschließlich gut tue, auch daran hat Panarari seine Zweifel. "Cäsarenhaft" nennt er ihn. Diese Woche beraumte Renzi lange Non-Stop-Sitzungen im Parlament an, um somit den Abgeordneten die Möglichkeit zu nehmen, Änderungen an seiner geplanten Verfassungsänderung auszuarbeiten. Der Entwurf beinhaltet unter anderem, den aufgeblähten Senat in eine kleinere Kammer umzuwandeln, die weniger Gesetzgebungskraft hat.
Im Januar brachte Renzi ein gespaltenes Parlament dazu, Sergio Mattarella zu Italiens neuem Präsidenten zu wählen. Leonardo Morlino sieht darin ein Zeichen von Stärke: "Die Führungsqualitäten eines Politikers erkennt man daran, inwiefern er imstande ist, die Menschen um ihn herum zu einen", so Morlino, "und das klappte hier sehr gut".
Dennoch sind die Hindernisse dabei, "Italiens Blockade zu lösen" (so der Titel des Reformpakets vom November 2014) enorm in einem Land, in dem scheinbar sehnsüchtig erwartete Reformversuche immer wieder durch Intrigen und Bürokratie verhindert werden.
Ein typisches Beispiel: Sechs Monate, nachdem Renzi mir gegenüber angekündigt hatte, das Leonardo-Bild freilegen lassen zu wollen, wurde die Suche nach dem Meisterwerk wegen Uneinigkeiten zwischen den Beteiligten auf Eis gelegt. Bisher also keine Nachrichten über irgendeinen Fortschritt.