Flucht nach Jordanien
14. Mai 2012
Mafraq nahe der Grenze: Eine Gruppe Flüchtlinge kauert in einem kahlen Raum auf Matratzen. Putz blättert von den Wänden, eine einzelne Neonröhre spendet dürftig Licht. 14 Männer, Frauen und Kleinkinder sind in einer Art Garage untergekommen.
Umm Abdal, Mutter von acht Kindern, bleiben 15 Quadratmeter, die sich die Familien mit ihrem Onkel und einigen Cousins teilen muss. Vor Monaten sind sie aus Deraa gleich hinter der Grenze geflüchtet, mussten ihre Metzgerei und eine kleine Geflügelzucht aufgeben. "Wir hatten ein schönes Haus, ein Geschäft und Land für unsere Hühner. Meine Kinder gingen zur Schule. So wie jetzt habe ich mir unser Leben nicht vorgestellt", erzählt die 56-jährige Witwe.
Nun muss sie ihre Kinder in einer jordanischen Schule unterbringen - irgendwie. Geld hat sie kaum. Ihr ältester Sohn saß im Gefängnis, Narben an Armen und Beinen zeugen von Folter mit brennenden Zigaretten. Weil ihr Geschäft regelmäßig von Soldaten geplündert wurde und weil ihre Nachbarn ermordet wurden, ließ die Familie alles in Syrien zurück. Erspartes ging für die Bestechung syrischer Grenzsoldaten drauf. "Und jetzt die hohe Miete: Für diesen winzigen Raum mit Not-Küche und Toilette im Hof sollen wir 200 Dinar (rund 220 Euro, Anm. d. Red.) bezahlen", klagt Umm Abdal.
Unterstützung durch Hilfsorganisationen
Aber die Großfamilie hat noch Glück. Al Kitab, eine sunnitische Hilfsorganisation, unterstützt sie. Von Irbid aus verteilt sie Hilfsgüter, organisiert Schulplätze, stellt die medizinische Grundversorgung sicher, versucht, Wohnungen zu mieten. Doch der Wohnraum ist erschöpft. Privat vermietet werden Verschläge, Rohbauten ohne Fenster und Türen, Abstellräume oder Ställe. "Es ist eine Schande, dass einige Jordanier die Situation so schamlos ausnutzen“, klagen Helfer. "Araber müssen doch Arabern helfen." Nach Angaben von Kitab unterstützt die religiöse Organisation rund 40.000 Flüchtlinge. Sie fordert die reichen Ölstaaten auf, ihren syrischen Brüdern zu helfen. Selbst Libyen habe schon 14 LKW mit Hilfsgütern geschickt.
Feras Kheiralla, Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amman, kennt das Problem: "Der Grenzort Ramtha ist mit Deraa traditionell verbunden. Fast jede Familie ist mit der anderen Seite verwandt. Man hat Platz geschaffen für Flüchtlinge, ist zusammengerückt und teilt alles - anders in Mafraq oder Irbid. Dort gibt es kaum Verbindungen nach Syrien, höchstens geschäftliche. Da sind die Mieten besonders explodiert."
Flüchtlingszahlen steigen rasant
Mit über 100.000 Flüchtlingen kommt das wasserarme Jordanien bei sechs Millionen Einwohnern an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Allein 20.000 Menschen kamen in den letzten beiden Monaten illegal über die Grenze.
Der Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR Andrew Harper weiß, wovon er spricht. Vor seinem Gebäude stehen Flüchtlinge Schlange, der Warteraum ist überfüllt. "Bloß keine Fotos, das könnte für einige das Todesurteil bedeuten. Der Arm des syrischen Geheimdiensts ist lang", warnt er.
Seit April registriert das UNHCR 8000 syrische Flüchtlinge. "In einem Monat so viele wie in den zwölf davor." Harper hofft auf Geberländer. Bisher haben die USA 40 Millionen Dollar versprochen. "Dass gerade nach Jordanien so viele Flüchtlinge kommen, liegt nicht zuletzt daran, dass es für Syrer hier einfacher ist als in der Türkei: keine Sprachprobleme, und kulturell und familiär sind sie Nachbarn."
Auf der Suche nach Wohnraum
Besonders in Grenznähe sind jordanische Geschäftsleute hart getroffen - sowohl von der Einschränkung ihrer kaufmännischen Kontakte ins Nachbarland, wie auch vom Schmuggel.
Harper will für Dörfer im Norden Jordaniens daher Anreize schaffen, die Flüchtlinge dennoch zu tolerieren: "Wenn ein Dorf bereit ist, 100 Familien aufzunehmen, könnte man einen weiteren Wassertank zur Verfügung stellen, und eine bessere Abfallentsorgung und Stromversorgung organisieren. Wenn die Flüchtlinge dann zurück in ihre Heimat können, gehört das alles dem Dorf."
Feras Kheirallah von der Friedrich-Ebert-Stiftung kann sich noch mehr vorstellen: "Es gibt viele günstige Wohnungen in Amman, wesentlich billiger als im Norden. In der Hauptstadt ist die Infrastruktur auch besser." Aber er kennt auch die Bedenken: "Flüchtlinge wollen in der Nähe ihrer Heimat bleiben und dort auf stabilere Verhältnisse warten." Andererseits steige die Zahl der Flüchtigen täglich, denn "ein Wandel zum Besseren liegt noch in weiter Ferne."
Jordanien verdient Anerkennung
Feras Kheiralla betont, wie viel Geduld und Disziplin Syrer und ihre Gastgeber derzeit bewiesen. Schließlich habe Jordanien neben den Flüchtlingen auch eigene Probleme: "Die Regierung ist instabil, jeden Freitag wird demonstriert, der interne Konflikt zwischen Jordaniern und Palästinensern ist ungelöst, das Verhältnis zu Israel ist eisig - und dazu kommt jetzt noch das humanitäre Problem."
Andrew Harper vom UNHCR stimmt zu: "Dieser kleine, ressourcenlose Staat schafft enorm viel, das muss die Welt anerkennen und unterstützen. Jordanien hatte erst die palästinensischen Flüchtlinge, dann die irakischen und jetzt die syrischen. Da darf das Land nicht allein gelassen werden."