Martin Walser über das Schreiben und den Tod
7. April 2019Martin Walser wurde vor kurzem, am 24. März, 92 Jahre alt. "Usedom will ich unbedingt schaffen", schrieb der streitbare Schriftsteller noch im Januar an die Veranstalter der "Usedomer Literaturtage". Auf der sonnigen Insel, wo er schon mehrfach vor Publikum gelesen hatte, wollte er als ehemaliges Mitglied der legendären Schriftstellervereinigung Gruppe 47 auch den Geburtsort Bansin ihres Gründers Hans Werner Richter besuchen.
Jetzt hat er es doch nicht vom Bodensee an den Ostseestrand geschafft. Gesundheitliche Gründe, der Arzt hat ihm das Fliegen verboten. Ausfallen ließ er seine Lesung "Am meisten bin ich in deinen Wörtern daheim" trotzdem nicht. Es kam zu einer Premiere: Walser las vor einer Kamera in seinem Privathaus in Überlingen, und seine Worte wurden live in den Kaiserbädersaal nach Heringsdorf übertragen.
Aphorismen und lyrische Gedanken
Einige Menschen, so war zu hören, hatten ihre Teilnahme abgesagt, nachdem sie erfahren hatten, dass der Großschriftsteller nicht persönlich kommen würde. Sie könnten es bedauern. Martin Walser, der öffentlichen Auftritten offiziell adieu gesagt gesagt hat, las aus seinem letztes Jahr im November erschienen Buch "Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung", Aphorismen, lyrische Splitter, Altersbosheiten.
"Ich möchte aus Marmor sein, und wenn sie mich schlügen, glänzte ich." Walser sitzt tief über sein Buch gebeugt, von seinem Gesicht ist kaum mehr zusehen als seine wild gewachsenen, struppigen Augenbrauen. Kaum je schaut er auf, ganz selten nur wandert sein Blick zur Kamera. Hinter ihm eine Bücherwand, einige Fotos und Postkarten vor den Buchrücken. Er beginnt seine Lesung unvermittelt, ohne Grußwort, keine Kontaktaufnahme mit dem fernen Publikum.
Umso eindringlicher wirkt jedes seiner Worte. Ihm geht es nicht mehr um das Kleinklein der Welt, hier wird Lebensbilanz gezogen. Spürbar ist das "Immer noch Wollen" und dessen absehbares Ende. "Der Sinn der Schöpfung bin ich - zum Sterben geboren. Ich muss lachen. Muss ich nicht. Ich muss."
Die Todesidee und das Gewicht der Welt
Martin Walser spricht langsam, fehlerfrei und deutlich in seiner klaren Bodenseesprache mit dem rollenden R. Er wirkt, vielleicht verstärkt durch seine körperliche Abwesenheit, entrückt, unnahbar und ungeheuer präsent zugleich. Gedanken an den Tod machen seine Sätze schwer, und doch nimmt er ihnen immer wieder ihr Gewicht: "Am besten ist es ... die Süße der Todesidee zu kosten wie etwas, woran man nicht glaubt." Noch steht er im Leben, nüchtern, trotz des lyrischen Grundtons. Noch hat er zu tun: "Wäre nichts mehr zu tun, alles wäre schon gut eingerichtet, keiner drückte den Anderen, nur der Tod drohte noch, dann dürftest du verzweifeln."
Denn das Hauptthema Walsers, der auch im hohen Alter immer noch jedes Jahr mindestens ein Buch publiziert, ist nach wie vor das Schreiben. "Schreiben heißt, etwas schöner zu machen, als es ist. Das ist das Wichtigste für mich beim Schreiben. Verzweifeln kann ich auch stumm." Die Schönheit der Welt erschließt sich durchs Schreiben. "Das Schreiben ist produktiv, eine uns gegebene Fähigkeit, das bloße Dasein erträglich zu machen. Deswegen gibt es Literatur."
"So wehrt man sich halt"
Der hochbetagte Schriftsteller hat im Laufe seines Lebens viele Sträuße ausgefochten, besonders mit Kritikern seiner Werke. In die Niedrigkeiten solcher Banalitäten lässt er sich im nachdenklichen Gespräch mit Moderator Manfred Osten nur mit spöttischer Distanz manövrieren. Fast widerwillig spricht er über seine Angewohnheit aus Jahrzehnten: Immer, wenn er eine sehr böse Erfahrung habe machen müssen, habe er mit Vierzeilern reagiert. "Da habe ich mich wieder hergestellt."
Als einer seiner Intimfeinde, der Kritiker Hellmuth Karasek, eines seiner Bücher verrissen habe, rächte er sich mit dieser Bosheit: "Die Musik gibt's nicht, nach der Karasek nicht tanzt. Kein Trittbrett bleibt ohne seinen Fuß, keine Hochzeit, auf der er sich nicht anwanzt. Das kommt davon, dass er öfter als andere muss." Für derartige Gnadenlosigkeiten wurde Walser früher viel geschmäht. Das Publikum dankt es ihm, dass er sich doch noch eine so menschliche Blöße gibt. Der Schriftsteller aber relativiert altersmilde: "Das ist halt ein Spiel, das muss man nicht so wichtig nehmen", und verstärkt sich mit einem schwäbischen "Gell!"
Ein bewegender Nachmittag
Es ist ein tief berührender, nachdenklich stimmender Nachmittag, den Martin Walser seinen Zuhörern beschert. "Stummsein ist eine unerträgliche Form, da sein zu müssen", ist einer der Sätze, die sie mit hinaus in die von Walser so "innig geliebte grausame Welt" nehmen konnten. Aber darüberhinaus gibt er ihnen zum Schluss einen weisen Scherz mit auf den Weg: "Wie sich drehen, wie sich wenden, dem Banalen zu entgehen, das an allen Enden lauert wie ein Reim."
Martin Walser: "Spätdienst. Bekenntnis und Stimmung". Rowohlt Verlag 2018