Martin Walser und seine Literaturwelt
Er ist 95 Jahre alt und veröffentlicht weiterhin stetig Romane. Ein Blick auf Walsers literarischen Lebensstationen.
Der Mann mit Hut
"Der Hut muss sein", sagt Walser. Wie beim Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe, den der Autor vom Bodensee sehr verehrt. Weich müsse er sein und aus warmen Filz, mit breiter Krempe. Im Sommer geht der bekannte Schriftsteller, der von sich selbst sagt, er sei in seiner Seele immer ein Kleinbürger geblieben, schon mal "oben ohne".
Die Augenbrauen
Diese unglaublich eigensinnig wildwachsenden Haarbüschel! "Sonnenschutz" und "Deckung" für Walsers wache, aufmerksam jeden genau betrachtenden Augen. Alles nimmt er auf, vieles davon schreibt er in sein Notizbuch. Manches verewigt er akribisch in seinen Tagebüchern. "Schreiben und Leben" nennt er das.
Der Nachwuchsschriftsteller
Walser polarisiert in dem, was er schreibt, von Anfang an. Sein erster Roman "Ehen in Philippsburg" wird hoch gelobt. Der Dichter und Redakteur Karl Korn schreibt: "Der Walser zieht nicht, der trifft!" Das nächste Buch erntet einen Verriss: "Der Walser ist ein Genie der deutschen Sprache, aber es kommt nichts dabei raus", resümiert der Feuilleton-Chef der renommierten FAZ, Friedrich Sieburg.
Der Preisgekrönte
Als der junge Walser seinen ersten Literaturpreis verliehen bekommt, setzt er gleich einen kulturpolitischen Pflock. Es sei töricht zu glauben, der Schriftsteller von heute könne die Gesellschaft von außen betrachten und kritisch beurteilen, merkt Walser an. "Er ist doch selber mittendrin." 1965 bekommt er den Schiller-Gedächtnis-Preis verliehen, hier mit Erich Fried (l.) und Max Frisch (2.v.r.).
Der Verleger
Walsers Hausverlag war lange Jahre Suhrkamp. Mit dessen Verleger Siegfried Unseld war er eng befreundet. Damals gehörte die Speerspitze der deutschen Intellektuellen zur Suhrkamp-Riege. Zum Bruch kam es 1998 nach seiner umstrittenen Friedenspreis-Rede in der Frankfurter Paulskirche, in der Walser eine "Instrumentalisierung des Holocausts" ablehnte und von "Auschwitz als Moralkeule" sprach.
Der Bühnenkünstler
Eine Lesung mit dem berühmten deutschen Schriftsteller zu erleben - live und in Farbe - ist ein Erlebnis. Wortgewaltig, sprachgenau und ungemein witzig versteht Walser sehr genau, sein Publikum zu unterhalten. Und auf einmal erscheinen seine Texte nicht mehr so kompliziert und gewichtig, wie sie in den Büchern daherkommen.
Die Literatur-Großmeister
Dass "der andere" nicht mehr da ist, macht dem 95-jährigen Martin Walser zu schaffen. Günter Grass, der zweite berühmte deutsche Schriftsteller, war ihm ein wichtiger Widerpart. Beide streitbar und politisch wachsam, die Zeitläufte beobachtend. Jeder mischte sich auf seine Weise ein. Die meisten seiner literarischen Weggenossen habe er jetzt überlebt, merkt Walser melancholisch an.
Der Querkopf
Unzählige Aufsätze und kurze Texte hat er geschrieben: Betrachtungen, Anmerkungen, gesellschaftskritisch, manchmal auch literarisch. Ein intellektuell geschulter Geist. Walsers Freude an der Polemik ist deutlich zu erkennen. Er trifft immer noch gern – manchmal Zeitgenossen oder auch in seinen Augen respektlose Journalisten. Dann wütet er mit dem Ingrimm des "Moralisten, der nicht anders kann".
Die Schreibstube
Sein Arbeitszimmer liegt unter der Dachschräge seines Hauses am Bodensee. Unverändert seit Jahrzehnten: seine "Denkzelle". Dort lagert der Humus seines Schreibens, die altmodischen Regale sind vollgestopft mit Fundstücken, Selbstgeschriebenem und archiviertem Material. Alles wild durcheinander. Die ersten Fassungen seiner Bücher schreibt er bis heute mit der Hand.
Das Heimatdorf
Hier ist er verankert, hier ist Walsers liebstes Stück Deutschland: Wasserburg am Bodensee. Der viel gefragte Schriftsteller war schon immer viel unterwegs: auf Lesereise oder zu Tagungen. Im hohen Alter begleitet ihn seine Co-Autorin Thekla Chabbi, die ihm beim Sortieren seiner Gedanken und des Nachlasses hilft. Sie veröffentlichte auch seine Aufsatzsammlung "Ewig aktuell. Aus gegebenem Anlass".
Der Nachdenker
Nicht erst auf seine "alten Tage" beschäftigt sich der Autor Martin Walser mit philosophischen Fragen. Nach Gott und Glauben, nach Moral und politischer Verantwortung. Antworten vertraut er seinem Tagebuch an, Zuversichtliches gibt er gern in Interviews zum Besten: Deutschland und die Demokratie seien nicht in Gefahr durch Parteien wie die AfD: "Die sind armselig, im wahrsten Sinne des Wortes."
Der weite See
Die Ruhe der Seenlandschaft gibt dem unermüdlichen Bücherschreiber Frieden. Am liebsten kehrt er von jeder Reise schnell dorthin zurück: in seine Heimat. Mit 95 kann Martin Walser auf ein gewaltiges Werk an Büchern und literarischen Erzeugnissen zurückblicken. Sein Schaffensdrang ist ungebrochen, Schreiben sein Lebenselixir.