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Im Kino: Martin Scorseses "Silence"

Jochen Kürten
2. März 2017

Martin Scorsese gilt als einer der einflussreichsten Regisseure der Welt. Sein neuestes Werk "Silence" läuft jetzt in deutschen Kinos an. Es beschäftigt sich mit Glaubensfragen und philosophiert über Moral und Mitleid.

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Deutschland Kinostart - "Silence"
In Japan schwer geprüft: Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) in "Silence"Bild: picture alliance/dpa/K. Brown/Concorde

"Silence" ist ein Film der Gegensätze. Er spielt im Japan des 17. Jahrhunderts und erzählt doch auch eine ganz aktuelle Geschichte. Es ist ein Film der weiten Landschaften und der intimen, privaten Geschichten. Und: Es ist ein Martin-Scorsese-Film mit Szenen, die einerseits typisch für diesen Regisseur sind und anderseits eine für diesen Filmemacher eher ungewöhnliche Arbeit präsentieren.

Martin Scorsese: ein praktizierender Katholik

Scorsese, dessen Eltern einst aus Italien in die USA einwanderten, war als Kind Messdiener, wurde von Jesuiten unterrichtet und wollte ursprünglich Priester werden. Doch irgendwann entdeckte er die Faszination des Kinos und machte es zu seinem Beruf. Der katholischen Kirche und dem Glauben blieb er verbunden - seinen Filmen merkt man das bis heute an. "Film und Kirche haben mir beide erlaubt, auf eine spirituelle Reise zu gehen", bemerkte Scorsese einmal in einem Interview.

Filmszene Silence Martin Scorsese Regie
Nimmt auch die Religion durch das Kameraauge wahr: Scorsese beim Dreh in Taiwan, wo "Silence" hauptsächlich entstandBild: 2017 Concorde Filmverleih GmbH

1988 brachte er seine ganz spezielle Jesus-Version ins Kino: "Die letzte Versuchung Christi" löste heftige Debatten aus, vor allem bei konservativen Katholiken. Scorsese hatte den Sohn Gottes mit einigen sehr menschlichen Eigenarten ausgestattet: Jesus zweifelt an seiner Berufung als Sohn Gottes, arbeitet mit den Römern zusammen, begehrt eine Frau und gründet sogar eine Familie. Das passte vielen Hütern der katholischen Theologie nicht. Auch in seinen Filmen mit weltlicher Thematik klingen Glaubensfragen an. Scorsese-Filme sind immer auch Werke über Moral und Ethik, über individuelle Entscheidungen und Fragen nach dem Sinn des Lebens. Den haben in seinen Filmen immer auch mal wieder Mafia-Bosse und Kleinkriminelle gestellt.

Scorsese: "'Schweigen' ist für mich eine Art Lebenselixier"

Jetzt hat Scorsese wieder einen Film mit dezidiert religiöser Thematik gedreht. "Silence" basiert auf einem japanischen Roman aus dem Jahre 1966: Shūsaku Endōs "Chinmoku" ("Schweigen"/"Silence"). Ihn zu verfilmen, das hat Scorsese immer wieder betont, sei eine Herzensangelegenheit gewesen: "Vor fast zwanzig Jahren nahm ich diesen Roman das erste Mal zur Hand", sagt Scorsese. Seither habe er ihn unzählige Male gelesen: "'Schweigen' ist für mich eine Art Lebenselixier, das ich nur in sehr wenigen Kunstwerken gefunden habe."

Filmszene Silence
Pater Garpe (Adam Driver, links) und Pater Rodrigues (Andrew Garfield, rechts)Bild: 2017 Concorde Filmverleih GmbH

Roman wie Film erzählen die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte der beiden portugiesischen Jesuitenpatres Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garpe (Adam Driver), die Mitte des 17. Jahrhunderts nach Japan reisen. Sie suchen vor allem Antwort auf eine Frage: Was ist aus ihrem verschwundenen Lehrer und Mentor Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) geworden, der vor Jahren als Missionar nach Asien aufbrach und über den in Europa das Gerücht verbreitet wird, er habe den christlichen Glauben abgeschworen und sei zum Buddhismus übergetreten?! Für die beiden tiefgläubigen jungen Priester eine undenkbare Vorstellung.

Abkehr vom Glauben unter Folter

Scorsese zeichnet den Weg der beiden in seinem Film minutiös nach. Sebastião und Francisco stoßen in der japanischen Provinz auf vom Christentum bekehrte Dorfgemeinschaften, die sie mit offenen Armen empfangen, ihnen aber auch zu erkennen geben, dass das Christentum im Land auf starke Widerstände stößt. Sebastião und Francisco werden direkt mit den grausamen Praktiken der Machthaber, die die christliche Missionierung aus Europa nicht akzeptieren, konfrontiert. Scorsese zeigt das in aller Deutlichkeit. Die Menschen, die dem christlichen Glauben nicht abschwören wollen, werden grausam gefoltert und - wenn sie an der "fremden" Religion festhalten - enthauptet.

Filmszene Silence
Pater Rodrigues (Andrew Garfield, links) nimmt Kichijiro (Yosuke Kubozuka) die Beichte abBild: 2017 Concorde Filmverleih GmbH

Irgendwann treffen die beiden ehemaligen Schüler von Cristóvão Ferreira tatsächlich auf ihren Lehrer, der dem Christentum tatsächlich abgeschworen hat. Doch hat Ferreira das nur getan, weil er den entsetzlichen Foltermethoden nicht mehr standgehalten hat? Hat Ferreira sich von dem christlichen Gott abgewendet, um Menschenleben zu retten? Martin Scorsese stellt diese Fragen in seinem Film - und lässt die Antwort offen.

Gottes Liebe drückt sich auch im Schweigen aus

"Meisterhaft langsam, aber unaufhörlich steuert Endō das Schicksal des Paters", fasst Martin Scorsese die Romanvorlage zusammen, "'Schweigen' ist", so der US-Regisseur, "die Geschichte eines Mannes, der auf qualvolle Weise lernt, dass Gottes Liebe viel geheimnisvoller ist, als er denkt. Er erfährt, dass Er den Ratschlüssen des Menschen wesentlich mehr überlässt, als wir meinen, und dass Er stets präsent ist … auch in Seinem Schweigen."

Filmszene Silence
Pater Rodrigues (Andrew Garfield) und Mokichi (Shinya Tsukamoto)Bild: 2017 Concorde Filmverleih GmbH

Laut Scorsese verkörpert "Sebastião Rodrigues, die Hauptfigur, sozusagen das Beste und Klügste des katholischen Glaubens.”Für den Regisseur ist Rodrigues ein "Mann der Kirche": "Rodrigues wäre sicher einer von solchen Männern gewesen - standhaft, unbeugsam in seinem Willen und Entschlossenheit, unerschütterlich in seinem Glauben - wenn er denn in Portugal geblieben wäre." In Japan hingegen war er der brutalen Christenverfolgung ausgesetzt.

Rodrigues habe "von ganzem Herzen (geglaubt)", so Martin Scorsese, "dass er der Held einer westlichen Geschichte sein wird, wie wir sie alle so gut kennen. Er sieht sich als Teil einer christlichen Allegorie, als Christusgestalt, die ihre eigene Version der Glaubensprüfung am Ölberg - in diesem Fall in Form eines Holzstücks - erlebt und mit seiner eigenem Judasfigur konfrontiert wird."

Der Film ächzt unter der Last seiner Geschichte

Man merkt "Silence" an, dass es Scorsese ernst war mit diesem Film. Vielleicht ein wenig zu ernst. Denn der Film ächzt unter seinem wichtigen wie schweren Thema. Er ist zum Teil langatmig und an einigen Stellen redundant. An den amerikanischen Kinokassen, wo "Silence" sich seit dem 13. Januar landesweit gegen starke Konkurrenz behaupten muss, tut sich der Film schwer, spielt relativ wenig Geld ein. Auch bei den Oscars spielte "Silence" kaum eine Rolle.

Filmszene Silence
Scorsese erklärt Andrew Garfield eine SzeneBild: 2017 Concorde Filmverleih GmbH

Der Münchner Jesuitenpater Martin Stark vermutetet in einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur, dass "Silence" bei einem größeren Publikum nicht ankomme, weil er ein "sperriges Thema und auch kein Happy End" habe: "Das verstört die Kinogänger erst einmal und lässt sie mit Fragen zurück."

Das Urteil des Papstes steht noch aus

Die Reaktionen eines anderen prominenten Zuschauers sind im Übrigen noch nicht bekannt. Als Scorsese Ende November 2016 "Silence" ein paar Hundert Jesuiten in einer Preview in Rom zeigte, war Papst Franziskus verhindert. Doch empfing er Scorsese später zu einer Privataudienz. Den Roman von Shūsaku Endōs habe er gelesen, bekundetet das Oberhaupt der Katholischen Kirche im Gespräch mit dem US-Regisseur - und dass er als junger Mann selbst in den Jesuitenorden eingetreten sei, um Missionar in Japan zu werden. Wahrscheinlich hat der Papst den neuen Film von Martin Scorsese inzwischen gesehen. Eine Reaktion ist bisher nicht bekannt.