Deutscher Rebell Mark Nzeocha im Super Bowl
20. Januar 2020Eines muss gleich vorneweg geklärt werden - die Aussprache. Mark Nzeocha von den San Francisco 49ers ist der vierte Deutsche, der im Super Bowl um die Meisterschaft in der National Football League NFL spielt. Seine Vorgänger heißen Uwe von Schamann, Markus Koch und Sebastian Vollmer. Fragen zur korrekten Artikulation waren bei ihnen nicht nötig. Bei Mark Nzeocha ist das anders - aber das ist ganz schnell geklärt. Er heiße "Nesotscha", betont der 30-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Aber glauben Sie mir, ich habe in meinem Leben schon alles gehört."
Das ist im Vergleich zu dem, was auf ihn nun zukommt, aber nur eine Kleinigkeit. Denn nicht weniger als sein komplettes Leben wird sich am 2. Februar verändern. Dann steht Nzeocha in Miami auf der schillerndsten Football-Bühne des Globus. Der Super Bowl (ab 23:30 Uhr MEZ hier im DW-Liveticker) ist nicht nur das größte Eintages-Sportevent der Welt, sondern auch der absolute Traum für jeden der rund 1700 aktuellen NFL-Spieler. Und Nzeochas Traum ist am Sonntagabend (Ortszeit), an seinem 30. Geburtstag, wahr geworden. Die "Niners" gewannen ihr Halbfinal-Heimspiel gegen die Green Bay Packers 37:20 - und spielen nun am Super Bowl Sunday gegen die Kansas City Chiefs um den Titel.
Nzeocha: "Mein Vater ist der größte Fußball-Fan"
Gut möglich, dass Nzeochas Eltern dann auch im Hard Rock Stadium von Miami Gardens sitzen werden, um ihren Sohn bei seinem bisherigen Karriere-Highlight live zu sehen. Dabei hatte Vater Chris einst ganz andere Vorstellungen, was die sportliche Betätigung seiner vier Jungs anging. Er stammt aus Nigeria. Dort ist Fußball ebenso dominant wie in Deutschland. Als Chris Nzeocha in die Bundesrepublik auswanderte, brachte er seine Liebe und Leidenschaft für das runde Leder mit in seine neue Heimat. "Mein Vater ist der größte Fußball-Fan überhaupt. Er schaut jedes Bundesligaspiel", sagt Mark Nzeocha.
Und natürlich hatte Vater Chris den Wunsch, dass seine Kinder Fußball spielen. Doch Eric, Paul, Steve und Mark winkten allesamt ab. "Ich wollte nicht das machen, was alle tun, sondern etwas anderes. Ich wollte ein Rebell sein", erinnert sich Mark stellvertretend für seine Brüder. Als 13-Jähriger stand der gebürtige Aschaffenburger erstmals bei den Franken Knights in Rothenburg ob der Tauber auf dem Football-Feld. Er habe sich "gleich in den Sport verliebt", so Nzeocha.
"Großes Talent"
Sein erster Trainer hieß Philipp Kimmelmann, seine erste Mannschaft war das Flag-Football-Team, das die kontaktlose Kinder-Variante spielte. Zwei Jahre später kam Nzeocha in die Jugendmannschaft von Erwin Rieger. Seinem neuen Coach fiel sofort das "große Talent" auf. Aber wie groß - das sei natürlich nicht vorhersehbar gewesen, sagt Rieger der DW.
Und Talent alleine reicht ohnehin nicht aus, um es in die NFL zu schaffen. Doch Nzeocha hatte noch weitere Qualitäten, die ihn von den anderen Teenagern unterschieden. "Seine Motivation war weitaus höher - und das hat ihn dann in den weiteren Jahren auch dorthin gebracht, wo er jetzt ist", betont Rieger.
Dem Gegner direkt in die Augen schauen
Nzeocha probierte bei den Franken Knights viele Positionen aus - vom Safety, der leichteren Variante der Verteidiger, über Wide Receiver, bis zum Quarterback. "Seine Hauptposition war aber immer die Verteidigung. In der Bayern-Auswahl und in der Nationalmannschaft hat er als Safety gespielt. Und als Safety ist er dann auch ans College nach Wyoming gegangen", sagt Rieger. Erst an der Universität wurde Nzeocha auf die Position des Linebackers umgeschult. Er steht somit in der ersten Verteidigungsreihe und schaut seinem Gegner direkt in die Augen.
Vorrangig kommt der Mann mit der Rückennummer 53 im Special Team zum Einsatz. Aufgabe dieser Einheit ist es, der eigenen Offensive oder Defensive eine möglichst gute Feld-Position zu sichern, wenn der Football hoch und weit über den Rasen gedroschen wird. "Die mögen mich im Special Team. Klar, würde ich auch gerne öfter als Linebacker spielen, aber es ist nun mal ein Teamsport - und da musst du halt deine Rolle akzeptieren", meint Nzeocha - ohne Murren.
Treffen mit Nowitzki
Seit 2015 spielt er in der NFL. Seine ersten beiden Jahre war der 1,90 Meter große und rund 110 Kilogramm schwere Deutsche bei den Dallas Cowboys unter Vertrag, kam aufgrund von Verletzungen jedoch nur zu sieben Einsätzen. Doch die Zeit in Texas hatte auch etwas Gutes: Nzeocha lernte Dirk Nowitzki kennen. Der ehemalige Superstar der Dallas Mavericks hatte seinen Landsmann auf einer Veranstaltung getroffen und ihn daraufhin zu seinem jährlichen Baseball-Spiel eingeladen, dessen Einnahmen der Dirk Nowitzki-Stiftung zugute kommen.
Auf Texas folgte für Nzeocha Kalifornien. Im September 2017 gaben ihn die Dallas Cowboys an die San Francisco 49ers ab. Bei den renommierten Goldhosen, die in den Achtzigern durch Quarterback-Legende Joe Montana und Wide Receiver Jerry Rice weltberühmt wurden, hat Nzeocha in den vergangenen beiden Spielzeiten kein Spiel verpasst - und unterschrieb im März einen Drei-Jahres-Vertrag über 4,75 Millionen Dollar.
Nzeochas guter Ruf hilft Heimatklub
Bei den Franken Knights sind sie sehr stolz auf ihren ehemaligen Akteur. Zu den Heimspielen in der vierten Liga hängen die Vereinsverantwortlichen im VIP-Zelt extra Fotos sowie ein Trikot ihres Vorzeige-Ritters auf. Nzeocha hat dem Klub sogar zu einer gewissen Reputation verholfen, die bis in die USA reicht. Dort rekrutieren die Knights derzeit amerikanische College-Spieler für die kommende Saison. Sie hatten unter anderem Interesse an einem Akteur aus Florida, der aber noch unschlüssig war. Als der Spieler dann zufällig erwähnte, 49ers-Fan zu sein, zog Erwin Rieger seine Trumpfkarte. "Ich habe ihm von Mark erzählt. Da hat er umgehend gesagt: ‘Coach, I'm in.'"
Rieger hat einst auch Marks Brüder Paul und Eric trainiert. Letzterer schaffte es 2017 in den Trainingskader des NFL-Klubs Tampa Bay Buccaneers. Paul, sind sich alle einig, hatte von den Dreien das größte Talent. "Aber Mark hat halt den größten Willen von allen gehabt", so Rieger. Er sei dankbar, sagt der 55-Jährige, dabei gewesen sein zu dürfen, Nzeochas Entwicklung zu unterstützen. Vier Jahre in dessen 17-jähriger Football-Karriere mitbestimmt zu haben. Rieger fuhr ihn unter anderem 2008 zum Probetraining bei der Nationalmannschaft. "Mark hat schon immer gewusst, was er will. Und wie er das dann immer umgesetzt hat, ist beeindruckend", sagt Rieger.
Auf ihn werden in den Tagen bis zum Super Bowl jede Menge Medienanfragen zukommen. Denn außerhalb der Football-Blase ist Mark Nzeocha kaum bekannt. Das dürfte sich ändern - und Deutschland somit unter anderem erfahren, wie der Landsmann mit dem vermeintlichen Zungenbrecher-Namen richtig ausgesprochen wird. Mark "Nesotscha."