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PolitikEuropa

Le Pen - die "entgiftete" Kandidatin

Barbara Wesel
23. April 2022

Seit ihrer Wahlniederlage 2017 hat Marine Le Pen ihr rechtsradikales Image aufgeweicht und entgiftet. Extreme Forderungen stehen im Hintergrund - sie konzentriert sich auf soziale Fragen, um neue Wähler zu gewinnen.

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Frankreich Präsidentschaftswahlkampf | Marine Le Pen
Bild: Christophe Simon/AFP

Der größte Coup ihrer Spindoktoren war vielleicht Marine Le Pens neues Diplom als Katzenzüchterin. Immer wenn es persönlich wurde in diesem Wahlkampf, sprach sie über ihre Liebe zu den Bengalkatzen, die zu Hause ihre Sofas bevölkern. Auch gab es ein unverrückbares Wahlkampf-Lächeln: Die Frisur weicher, die Stimme sanfter als früher, strahlte Le Pen tausende Male in die Selfie-Kameras ihrer Anhänger. Und sie hörte sich dabei in den armen und abgehängten Orten der französischen Provinz unermüdlich die Klagen über zu kleine Renten, Mindestlöhne oder Preissteigerungen an.

Es war eine Familienangelegenheit

Marine Le Pen hatte ihre Partei, den einstigen "Front National", sozusagen als Erbstück von ihrem Vater Jean-Marie übernommen. Der gründete das rechtsradikale Sammelbecken für alte Algerienkämpfer und nationalistische Ultras in den 1970er Jahren und löste 2002 ein politisches Erdbeben aus, weil er bei der Präsidentschaftswahl plötzlich in der zweiten Runde gegen Jacques Chirac als Kandidat auf der Bühne stand. Der schlug ihn dann allerdings bei der Stichwahl vernichtend mit 87 Prozent. 

Seitdem aber kämpfte die FN um einen Platz im politischen Licht. Als Marine die Partei 2011 übernahm und begann, den gröbsten Fremdenhass und die Erinnerung an faschistische Traditionen wegzupolieren, kam es zum Zerwürfnis zwischen Vater und Tochter. Er kritisierte ihren Kurs der Entradikalisierung, und als Le Pen Senior nebenbei die Gaskammern der Nazis als "Detail der Geschichte" bezeichnete, warf sie ihn aus der Partei. 

Frankreich Präsidentschaftswahlkampf Marine Le Pen in Saint-Remy-sur-Avre
Lächeln und Händeschütteln - geduldig hörte sich Marine Le Pen im Wahlkampf die Klagen vieler Franzosen an Bild: Julien de Rosa/AFP

Seitdem sind in der Familie die meisten Tischtücher zerschnitten: 2018, nach ihrer Wahlniederlage gegen Emmanuel Macron, nannte Marine Le Pen den Front National in Rassemblement National (RN) um, ein weiterer Schritt hin zu einem angepassteren, wählerfreundlicheren Image.

Vater Le Pen aber und Nichte Marion Maréchal Le Pen, die lange als Nachwuchshoffnung galt, missbilligen die Abkehr vom rechten Rand. In diesem Wahlkampf forderten beide die Franzosen auf, nicht für Marine Le Pen zu stimmen, sondern lieber Rechtsausleger Eric Zemmour zu unterstützen, der mit scharfen Parolen gegen Zuwanderung, den Islam und die "Überfremdung" Frankreichs agitierte. Der Wiedergänger des alten Front National landete in der ersten Runde dann allerdings bei mageren sieben Prozent.

Die entgiftete Kandidatin

Für Marine Le Pen aber hat sich der lange Prozess der "Entdämonisierung" ausgezahlt. Inzwischen betrachten 39 Prozent der Franzosen sie als präsidiabel und sie hat ihr Auftreten soweit aufgeweicht, dass nur noch rund die Hälfte der Franzosen sie für politisch beunruhigend halten. Sollte sie gewählt werden, verspricht sie inzwischen eine Regierung der "Nationalen Einheit" und appelliert damit an traditionelle Wähler der Konservativen. Die allerdings verschwanden beim ersten Wahlgang in der Versenkung, so dass sie in einer erneuten Wendung inzwischen die Wähler des Altlinken Jean-Luc Mélenchon umwirbt, der ihr fast noch den Platz in der Stichwahl abgejagt hätte.

Bei ihren öffentlichen Auftritten und in ihren Interviews konzentriert sich Marine Le Pen fast ausschließlich auf soziale Fragen, auf die Erhöhung der Mindestrenten und -löhne, den Schutz der Rente mit 60 Jahren, Hilfen für arme Studenten, Familien und den Erhalt der Kaufkraft. Sie will den Anstieg der Energiepreise mit Steuersenkungen bekämpfen und wirbt für eine "patriotische Ökonomie", eine Wirtschaft des "Frankreich zuerst", die sich nach nationalen Interessen richten solle. Wie sie allerdings das Füllhorn der sozialen Wohltaten finanzieren will, lässt die Kandidatin offen.

Verschwunden ist die alte Forderung, aus dem Euro und der EU auszutreten, mit der sie 2017 viele Wähler verschreckte. Allerdings will Le Pen das sogenannte "Europa der Vaterländer", wie es die Fraktion der Rechtspopulisten im Europaparlament fordert. Das hieße: weniger Integration und lediglich ein lockerer Staatenbund, keine gemeinsame Verteidigung und ungehemmte nationale Verteilungskämpfe ums Geld.  

Faktisch würden manche Forderungen von Marine Le Pen eine Art kalten Austritt aus der jetzigen EU bedeuten, weil sie etwa den Anspruch auf Sozialleistungen nur noch für gebürtige Franzosen gelten lassen und den Vorrang von Europarecht nicht akzeptieren will. Mit Europa aber liegt die Kandidatin sowieso im Streit: Die Finanzwächter in Brüssel werfen ihr den Missbrauch von mehreren hunderttausend Euro an parlamentarischen Geldern aus ihrer Zeit als EP-Abgeordnete vor.

Russland l Französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen im Kreml 2017
Marine Le Pen will die Beziehungen zu Russland wieder normalisieren Bild: Mikhail Klimentyev/AP/picture alliance

Russland ist Le Pens Schwäche

Natürlich dient der alte Kredit einer russischen Bank aus dem Wahlkampf 2017 für den damaligen Front National weiter als Munition für ihre Gegner. Aber Marine Le Pen hat ihre alte Nähe und frühere Bewunderung für Waldimir Putin geschickt überspielt. Inzwischen verurteilt sie den Krieg in der Ukraine, bejaht Waffenlieferungen und Finanzhilfen, will aber künftig wieder eine stärkere Beziehung zu Russland, gleichwertig zu der zu den USA. Ob das nach dem Krieg oder trotz des Krieges geschehen soll, bleibt dabei offen.

Die einzige Maßnahme, die Marine Le Pen derzeit ablehnt, sind Öl- und Gassanktionen, weil sie den Franzosen selbst schaden würden. Und sie will aus den Kommandostrukturen der NATO aussteigen, was Moskau sehr entgegenkäme. Insgesamt propagiert die Kandidatin einen Rückzug Frankreichs aus internationalen Bindungen und eine Rückkehr zu einer Art Super-Nationalismus, wirtschaftlich und politisch. Da zeigt sich der bekannte Anti-Globalisierungsimpuls, den viele Franzosen anziehend finden, der aber kein funktionierendes ökonomisches Konzept für eine Volkswirtschaft beinhaltet.

Frankreich Präsidentschaftswahlkampf | Marine Le Pen
Die Kandidatin will ein Verbot des muslimischen Kopftuchs - Teil des eher verborgenen rechtsradikalen Programms ihrer Partei Bild: Christophe Simon/AFP

Weichgespült, aber immer noch rechtsradikal?

Eine Studie der Denkfabrik "Fondation Jean Jaurès" kommt zu dem Ergebnis, dass die "Kommunikation des RN geschmeidiger" geworden, die Positionen aber nach wie vor "radikal" seien, vor allem bei Zuwanderung und kulturellen Fragen, wie Le Pens Forderung nach einem Verbot des muslimischen Kopftuchs. "Wenn die Entgiftung nicht programmatisch ist, dann ist sie nur eine Frage der Darstellung", schreiben die Politologen. Wirtschaftlich vertrete die Partei dieser Tage eine Art "Sozial-Populismus" und trete für Steuersenkungen ein, aber bei Fragen von Recht und Ordnung zeigten Marine Le Pens Forderungen nach wie vor rechtsextreme Muster. 

Auch die linksliberale Zeitung Le Monde ordnet Marine Le Pens Programm weiterhin der extremen Rechten zu. Und Professor Jacques Rupnik von der Sciences Po Paris sieht die Wandlung im Interview mit France 24 ebenfalls mehr als Stilfrage. "Sie ist weniger scharf, zeigt sich mehr als Politikerin der Mitte. Aber das Programm enthält immer noch den alten Kern des Front National, einer Anti-Migrations-Partei".

Und während Emmanuel Macron über den Krieg in der Ukraine rede, spreche Le Pen über die Konsequenzen dieses Krieges. "Wir werden euch gegen die Auswirkungen schützen, bei den Lebenshaltungskosten, den Energiepreis begrenzen, ich werde im Grunde die Inflation anhalten... sie ist eine Magierin", lacht der Politologe. Und das ist genau die Frage - ob die Magie der politischen Selbstentgiftung so wirksam ist, dass die Franzosen Marine le Pen entgegen den Erwartungen der meisten Umfragen am Sonntag zu ihrer neuen Präsidentin machen.