"Als Filmemacher träumt man von Cannes"
15. Mai 2016Die Regisseurin Maren Ade, 39, stammt aus Süddeutschland, studierte erst Produktion und dann Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Anschließend zog sie nach Berlin, wo sie mit weiteren Produzenten die Firma "Komplizen Film" gründete. Ihre Filme sind erfolgsverwöhnt: Ihr Abschlussfilm "Der Wald vor lauter Bäume" wurde beim US-amerikanischen Sundance Film Festival mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Der darauffolgende Film "Alle Anderen" wurde bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären geehrt. Ades nunmehr dritte Kinofilm "Toni Erdmann" läuft 2016 als einziger deutscher Beitrag nach acht Jahren im Wettbewerb bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes.
DW: In Ihrem neuen Film gibt es einen besondere Szene: Vater und Spaßvogel Winfried erklärt der karrierebewussten Tochter, dass man Momente festhalten und nicht bloß abhaken muss. Welche Momente haben Sie für sich festgehalten?
Maren Ade: So ein Film ist zwangsläufig etwas Persönliches. Dabei habe ich auch gemerkt, dass man gerade bei dem Familienthema seiner eigenen Familie nur schwer entkommt - man hat ja doch nur die eine. Mein Vater hat einen sehr ausgeprägten Sinn für Humor, der mich immer begleitet hat. Das findet sich in dem Film wieder. Aber auch ich selbst finde mich in der Frauenfigur wieder.
In der Unternehmensberaterin Ines - inwiefern?
Die Wichtigkeit, die sie ihrem Beruf beimisst, und die Absolutheit, mit der sie Sachen vorantreibt. Auch wenn unsere Jobs nicht viel miteinander zu tun haben, so habe ich doch gemerkt, dass es viele Überschneidungen gibt. Zum Beispiel, dass in der Wirtschaft die Arbeit über das Individuum gehängt wird. Beim Filmemachen ist das leider manchmal auch so.
Ihr Film spielt vor allem in Rumänien. Wie kam es dazu?
Im Vorfeld habe ich lange recherchiert und mich mit Frauen getroffen, die in der Wirtschaft arbeiten, unter anderem auch in Rumänien. So bin ich auf das Land aufmerksam geworden. Der starke auch wirtschaftliche Bezug zu Deutschland interessiert mich. Nach dem Ende des Kommunismus gab es dort einen schmerzhaften Ausverkauf.
Neben der Regiearbeit führen Sie auch eine eigene Produktionsfirma. Brauchen Sie Kontrolle über alles, was Sie tun?
Meine beiden Kollegen Janine Jackowski und Jonas Dornbach, mit denen ich die Firma habe, machen die eigentliche Produktionsarbeit. Aber wir tauschen uns wahnsinnig viel aus. Ich habe mir mit der Firma ein Stück Freiheit erkämpft, denn nur durch diese enge Zusammenarbeit kann ich das Projekt an meine Bedürfnisse anpassen. Ich glaube, das ist das Wichtigste, um einen guten Film machen zu können.
Nach Wenders "Palermo Shooting" 2008 ist Ihr Film seit langer Zeit wieder der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb von Cannes. Wie gehen Sie mit den Erwartungen um?
Der Film ist erst ganz knapp vor dem Festival fertig geworden - daher sehe ich die Vorführungen hier eher wie ein großes Test-Screening (lacht). Ich habe erst in der Woche vor dem Festival die Tonmischung fertiggemacht - das würde ich so niemanden empfehlen.
Dennoch hat "Toni Erdmann" überzeugt, wird von der Kritik gefeiert. Was bedeutet es für Sie persönlich, eingeladen worden zu sein?
Erklären kann ich mir das nicht. Natürlich träumt man als Filmemacher immer davon, in Cannes zu laufen. Besonders, wenn man während eines Drehs irgendwo rumsteht, es wieder einmal zu regnen beginnt und man nicht weiß, ob man das Take irgendwie gebacken kriegt. Für mich ist Cannes ein besonderes Festival: Von hier kommen die meisten Filme, die ich toll finde - deshalb freue ich mich schon sehr.
Ihre Filme bestechen vor allem durch das durchdringende Spiel der Darsteller. Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit Ihren Schauspielern beschreiben?
Wir arbeiten sehr lange gemeinsam an den Rollen. Es gibt natürlich ein Drehbuch, an dem ich auch sehr lange schreibe. Der Film ist nicht improvisiert, die Dialoge stehen mehr oder weniger vorab - trotzdem ist es mir nachher wichtig, dass die Szenen einen Charakter haben, als ob sie aus einem Moment und aus der Figur heraus passieren. Das ist wahrsinnig schwer und erfordert viele Wiederholungen, bis man beides hat: emotionale Offenheit und Präzision im Spiel.
Woher wussten Sie, dass Ihre Hauptdarsteller Sandra Hüller und Peter Simonischek dafür die richtigen sind?
Ich habe ein langes Casting gemacht - das ist mir sehr wichtig. Dass beide tolle Schauspieler sind, war mir klar. Aber es reicht mir nicht, dass nur auf dem Papier zu wissen. Dass sie so gut zusammen spielen können, das hat sich erst beim Casting ergeben.
In einer beim Publikum besonders beliebten Szene gibt Sandra Hüller einen Whitney Houston-Song zum Besten. Wie kam es dazu?
Oh, wir sind während der Vorbereitung zum Film einmal Karaoke singen gegangen. Ich wusste vorher schon, dass Sandra singen kann. Ich habe dann einfach eine Nummer für sie gezogen, und sie musste dann spontan dieses Lied singen. Und das hat sie da so toll gemacht, dass ich wusste: So können wir die Szene drehen.
Das Interview führte Hans Christoph von Bock.