Routine oder Provokation?
21. August 2017Südkorea und die USA haben ihre gemeinsamen Militärübungen begonnen. Für die Fernsehkameras der TV-Stationen gab es zunächst noch nichts zu sehen, denn die Manöver namens "Ulchi-Freedom Guardian" besteht zu großen Teilen aus Computersimulationen in einer Bunkeranlage südlich von Seoul. Die dort erprobten Szenarien haben es jedoch laut der südkoreanischen Zeitung "Joongang Ilbo" in sich: In einer Operation soll es darum gehen, einen Präventivschlag gegen die Staatsführung in Pjöngjang durchzuführen.
Wie zu erwarten, reagierte Nordkorea in der Sonntagsausgabe der Parteizeitung "Rodong Sinmun" äußerst schroff: Die Militärübungen seien der nächste Schritt hin zum Atomkrieg, zudem würden sie weiter Öl ins Feuer gießen: "Niemand kann garantieren, dass dies nicht in einen realen Krieg eskalieren wird". Für das Kim-Regime sind die angeblichen "Verteidigungsübungen" eine Vorbereitung zur Invasion.
Denkbar angespannter Zeitpunkt
Ein Blick ins Archiv zeigt, dass Nordkoreas verbalen Entrüstungen während der halbjährlichen Militärübungen oft auch tatsächliche Provokationen folgten. Vergangenen August etwa startete das nordkoreanische Militär einen Raketentest von einem U-Boot aus. Nur wenig später folgte der fünfte Atomtest.
An der elftägigen "Ulchi-Freedom Guardian" nehmen 50.000 südkoreanische und 17.500 US-Soldaten teil. Eine entscheidende Frage wird sein, ob die US-Amerikaner während des Drills nukleare Langstreckenbomber oder atombetriebene U-Boote gen koreanische Halbinsel entsenden. Bislang hält sich Joseph Dunford, Generalstabschef der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, diesbezüglich bedeckt.
Da die lange im Vorhinein angekündigte Militärübung stets Ende August stattfindet, könnte man sie als reine Routine abtun. Aufgrund des Zeitpunkts kommt ihr eine besondere Brisanz zu: Im Juli hat Nordkorea erstmals erfolgreich eine Interkontinentalrakete getestet, wenig später drohte Trump unverhohlen wie noch nie mit einen Erstschlag. Die Eskalationsspirale kulminierte in einem Angriffsplan des nordkoreanischen Militärs gegen die US-Pazifikinsel Guam. Diesen hat Kim Jong Un mit den Worten zurückgezogen, das Verhalten der Amerikaner "ein wenig länger zu beobachten" zu wollen.
Für den US-Militärexperten Daniel Pinkston, der am Seouler Campus der Troy Universität unterrichtet, gibt es momentan kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil: Je besser vorbereitet die US-südkoreanischen Truppen seien, desto geringer sei die Risikobereitschaft der nordkoreanischen Armee, einen wunden Punkt der Alliierten militärisch auszunutzen. Zudem seien die Militärübungen keinesfalls nur eine militärische Machtdemonstration. "Die meisten der US-Streitkräfte in Korea sind nur für ein Jahr stationiert", sagt Pinkston. Es benötige regelmäßige Übungen, um die Kommunikationsabläufe und Prozesse einzustudieren.
Kritik an den Manövern
Dabei werden die Rufe nach einer Einstellung der Militärübungen immer lauter. Aus Peking kommt der Vorschlag, dass Nordkorea im Gegenzug sein Atomprogramm einfrieren soll. Pjöngjang hat bereits Bereitschaft signalisiert, sich auf eine entsprechende Forderung einzulassen. Auch in den USA hat sich nun erstmals ein ranghoher Politiker dafür ausgesprochen, die Militärübungen zumindest zu reduzieren: Laut Edward Markey, demokratischer Senator von Massachusetts, hat Trump mit seiner aggressiven Rhetorik die Drohung Kim Jong Uns gegen Guam provoziert. Nun solle der US-Präsident während der derzeit stattfindenden Übungen "seine kriegerische Sprache" zurücknehmen.
"Wenn die angeblich Guten eine Invasion Nordkoreas üben, ist das natürlich keine Provokation. Wenn aber Nordkorea mit Raketentest oder verbalen Attacken reagiert, ist das eine Bedrohung für die ganze Welt", kritisiert die deutsch-koreanische Filmemacherin Cho Sung-hyun, die als eine der wenigen Ausländer einen Dokumentarfilm in Nordkorea drehen durfte: "So ist es nun mal, wenn die Welt in Gut und Böse geteilt ist".
Tatsächlich ist die Erinnerung an den blutigen Koreakrieg in Nordkorea noch sehr präsent, bereits im Schulalter wächst die Bevölkerung mit einem martialischen US-Feindbild auf. Die rassistische Propaganda fußt dabei auf tragischer Realität: Laut Curtis LeMay, dem damaligen Chef der strategischen Luftwaffe, sind zwischen 1950 und 1953 rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung bei US-Bombardements ums Leben gekommen. Die meisten nordkoreanischen Städte wurden schlimmer verwüstet als Dresden 1945.