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Singh unter Druck

Priya Esselborn24. September 2012

Der indische Premierminister Manmohan Singh, einst als Begründer des modernen Indiens gefeiert, gilt heute als Regierungschef, dem die Probleme entgleiten. Am 26. September ist er 80 Jahre alt geworden.

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Indian Prime Minister Manmohan Singh attends a Full Planning Commission meeting at his residence in New Delhi on September 15, 2012. Indian Prime Minister Manmohan Singh defended September 15 a string of economic reforms unveiled by his government, despite protests over higher fuel prices and new foreign investment rules. AFP PHOTO/POOL/RAVEENDRAN (Photo credit should read RAVEENDRAN/AFP/GettyImages)
Manmohan SinghBild: AFP/Getty Images

Schon bei seinem Amtsantritt 2004 war Manmohan Singh nur eine Notlösung. Eigentlich hätte die derzeitige Parteivorsitzende der Kongresspartei, Sonia Gandhi, nach dem haushohen Wahlsieg Premierministerin werden sollen. Doch wegen deren italienischer Herkunft legte die Opposition mit Protesten das halbe Land lahm. Schließlich verzichtete Sonia Gandhi, und Manmohan Singh wurde zum 14. indischen Premierminister seit der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft (1947) gewählt. Die Medien verkündeten die verbreitete Ansicht, dass Singh seine erste Amtszeit von fünf Jahren nicht überleben werde. Doch der zähe Politiker, der wegen seiner brüchigen, leisen Stimme und seinen langsamen Bewegungen gerne unterschätzt wird, hat gezeigt, dass mehr in ihm steckt als die meisten erwarteten. Fast zehn Jahre ist er nun schon im Amt, so lange wie nur zwei Premierminister in der Geschichte vor ihm.

"Erfolgreicher Premierminister"

Singh sei aufgrund seiner Qualifikationen an die Macht gekommen, und nicht, weil er durch die Zugehörigkeit zu einer mächtigen Familiendynastie politisch mit anderen Politikerfamilien verknüpft sei, sagt der Indienexperte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Es zeichnet ihn sicherlich aus, dass er nicht mit den politischen Dynastien Indiens verbunden ist". Doch diese Außenseiterrolle sei womöglich auch sein größtes Handikap: "Er kann eben nicht über den Parteiapparat bestimmen." Dennoch werde Singh als erfolgreicher Premierminister in die Geschichte Indiens eingehen.

Manmohan Singh und Sonia Gandhi lächeln nach der Ernennung Singhs zum Premierminister (Foto: AP)
Sonia Gandhi überließ Manmohan Singh 2004 das Amt des PremiersBild: AP

Im außenpolitischen Kontext war er Architekt einer Reihe von Initiativen, beispielsweise zur Annäherung an Pakistan oder zum Abkommen über die zivile nukleare Zusammenarbeit mit den USA. Vor allem aber seine Verdienste als Finanzminister - die Liberalisierung Indiens Anfang der 1990er Jahre - dürfen nicht vergessen werden, betont Wagner: "Vielen gilt er deshalb als Initiator von Indiens rasantem Wirtschaftswachstum."

Wachsende Kritik

Doch dieses Image als Wirtschaftsfachmann, für das er früher hoch gelobt wurde, steht heute auf dem Spiel. Denn das Wirtschaftswachstum Indiens verlangsamt sich stetig. Das Vertrauen ausländischer Investoren in Indien schwindet - ein kürzlich verabschiedetes Reformpaket kommt ihnen zu spät. Hinzu kommen die nicht enden wollenden Korruptionsskandale, in die Singh zwar nicht direkt verwickelt ist, dafür aber ranghohe Minister seiner Regierung.

So sitzt der ehemalige Telekommunikationsminister A. Raja inzwischen im Gefängnis, nachdem Mauscheleien bei der Vergabe von Mobilfunklizenzen ans Licht kamen. Ein wohl noch größerer Skandal um Nutzungsrechte für Kohleminen, "Coalgate" getauft, wurde in den vergangenen Wochen bekannt. Die Kritik an Manmohan Singh wächst im In- und Ausland.

Ein "zaudernder, ineffektiver Bürokrat" sei der Premierminister, schrieb zum Beispiel vor wenigen Tagen die "Washington Post", der einer "zutiefst korrupten" Regierung vorstehe. Die Bürger verehrten Singh als einen Premierminister ohne Machtanspruch, dem es nur um das Vorankommen und Ansehen Indiens geht, als ehrliche Haut, unkorrumpierbar und durch seine zurückhaltende, freundliche Art nah dran an den Problemen der Menschen. Doch auch sie wenden sich nun ab. Ihrer Meinung nach hat Singh zu oft weggeschaut, zu oft versucht Probleme auszusitzen, anstatt sie anzupacken. "Es war sicherlich falsch, dass Manmohan Singh in den 1990er Jahren als eine Art Supermann dargestellt wurde. Doch jetzt ist es genau das andere Extrem", sagt Wirtschaftswissenschaftler Praveen Jha von der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu Delhi. Jha hält diese Überzeichnung für falsch. "Singh ist in den letzten Jahren auch ein Opfer der Weltwirtschaftskrise und innerparteilicher Streitereien geworden."

Eine Menschenmenge schwenkt Fahnen und Spruchbänder bei ihrem Protest gegen Korruption (Foto: dpa)
Protestierende in Neu Delhi fordern strengere Gesetze gegen Korruption von RegierungsbeamtenBild: picture-alliance/dpa

Langjährige Erfahrung

Singhs Laufbahn ist dennoch beeindruckend. 1932 im Dorf Gah im heutigen Pakistan geboren, hat er das fürchterliche Leid der Teilung Britisch-Indiens 1947 in Indien und Pakistan miterlebt. Als Flüchtling kam er als Teenager nach Amritsar im Punjab.Er studierte Wirtschaftswissenschaften und ergatterte aufgrund seiner exzellenten Leistungen ein Stipendium für Oxford und Cambridge. Dort schloss er 1962 seine Promotion ab. Singh arbeitete für die Vereinten Nationen, unterrichtete an der University of Delhi und landete schließlich im Handelsministerium. Als Leiter der Reserve Bank of India und als Mitglied im Direktorium des Internationalen Währungsfonds machte er sich auch im Ausland einen Namen.

Das Hochhaus der Börse in Mumbai ragt hoch über die Dächer der Stadt (Foto: dpa)
Börse in Mumbai: Symbol für Indiens WirtschaftswachstumBild: picture-alliance/ dpa

1991 wurde er Finanzminister, liberalisierte die Märkte und legte so den Grundstein für Indiens Aufstieg zu einer Regionalmacht, die heute stolz sogar einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat für sich beansprucht. 2004 wurde Singh Premierminister, der erste Sikh auf diesem Posten und damit Symbolträger für Indiens Image als multireligiöses und multikulturelles Land. Singh ist seit 1958 verheiratet und hat drei Töchter.

Politisches Erbe

"Ich bin ein kleiner Mann, der auf einem großen Stuhl sitzt. Doch ich muss jede Pflicht, die mir auferlegt wird, erfüllen", hatte Singh 2006 in einem Interview gesagt. Seit einigen Jahren wirkt er müde, ohne Energie, so, als würde er seine Zeit als Premierminister absitzen. Der Name "Manmohan" bedeutet "angenehm" oder auch "Gewinner der Herzen". Doch solche Eigenschaften werden nicht reichen, um die immer drängenderen Probleme Indiens zu lösen. Die Opposition gegen Singh wird von Tag zu Tag stärker. Singh muss nun - ganz gegen seine Natur - kämpfen, um sein politisches Erbe zu sichern. Ob ihm dies gelingen wird, bleibt abzuwarten.