Manga 'Made in Germany'
6. November 2006Ein nicht ungewöhnliches Bild bei einer Buchmesse in Deutschland: Bunt gekleidete und stark geschminkte Jugendliche, die ihr Outfit mit Hilfe von viel Fantasie und Accessoires gestalten. Es geht hier um "cosplay", die Abkürzung von "costume play" - die Gewohnheit, sich mit außergewöhnlichen Kostümen in die Haut der Mangahelden zu versetzen. "Interaktivität mit der Comicwelt“ wird es genannt.
Lokale Produktion
Aber nicht nur wegen des Mode- und Stilphänomens ist die Mangaszene in Deutschland so etabliert. Das Geschäft mit den japanischen Comics bewegt auch eine Menge Geld. Die Auflage von einem Mangaheft kann bis zu 20.000 Exemplare betragen. Nach einer Schätzung von Joachim Kaps vom Verlag Tokyopop betrug im Jahr 2005 der Umsatz mit japanischen und koreanischen Manga in Deutschland etwa 70 Millionen Euro.
Weibliche Mannschaft
Obwohl die Mehrheit der in Deutschland verkauften Manga Übersetzungen von japanischen Originalen sind, sorgen junge Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren für Bewegung auf dem Markt. Mittlerweile redet man schon von 20 Prozent Manga, die in Deutschland gezeichnet werden. Die weibliche Herrschaft ist aber neu in der Landschaft der Comics, da traditionell Männer hinter dem Tisch sitzen. Die Welle der Mangazeichnerinnen treibt heute Mädchen schon ab 15 zur Teilnahme an den Wettbewerben, die von mehreren Verlagen regelmäßig veranstaltet werden.
Obwohl genaue Daten fehlen, registriert man den Ansturm der jungen Zeichnerinnen etwa seit vier Jahren - während die Mangaszene seit einem Jahrzehnt in Deutschland völlig etabliert ist. "Bei den bisherigen Wettbewerben stammten über 90 Prozent aller Beiträge von Mädchen, während weniger als 10 Prozent von Jungen gezeichnet werden“, erzählt Marcus Tieschky, vom Team des Festivals "Comic-Campus".
Häufig wird in der Szene auch nach Genre geschrieben und gelesen: Junge Frauen zeichnen eher fürs weibliche Publikum, Jungs für ihresgleichen. "Es ist halt so, dass Mädchen am besten wissen, was Mädchen lesen wollen. Aber es gibt auch Ausnahmen, sogar im deutschen Raum. Detta Zimmermann, zum Beispiel, zeichnet eine Abenteuergeschichte [die vor allem von Jungs gelesen wird] und ist sehr erfolgreich. Man kann das also nicht pauschalisieren“, sagt die 20-jährige Zeichnerin Natalie Wormsbecher.
Eigener Stil
"Mädchen zeichnen etwa zur Hälfte Themen aus dem Alltag (Schule, Freundschaft oder Liebe) und zur anderen Hälfte Fantasiethemen (etwa Engel & Dämonen). Bei Jungen überwiegen die Fantasiethemen (vor allem Technik und Science-Fiction). Mädchen legen mehr Wert auf die Story, bei Jungen liegt der Schwerpunkt eher auf Action“, beschreibt Tieschky die Lage.
Die wachsende Vielfalt der Szene sorgt aber auch für Freiheit gegenüber den ursprünglichen japanischen Mustern. "Vorrangig werden die Künstler natürlich von den japanischen Zeichnern und deren Werken beeinflusst. Aber bei vielen kann man zunehmend erkennen, dass sie, je mehr Erfahrung und Übung sie haben, ihren ganz eigenen Stil entwickeln, wie zum Beispiel Christina Plaka, Anike Hage oder Detta Zimmermann“, sagt Christina Gossel, vom Verlag Tokyopop.
Franco-belgische, chinesische und koreanische Einflüsse
Der erste Wunsch zu zeichnen kommt meistens mit der Vorliebe zu den japanischen Manga zusammen. Am Anfang wird der fernöstliche Stil nachgeahmt und erst später werden ästhetische Quellen - die das Kino von Akira Kurosawa oder das cinema noir sein können - beigemischt. "Ich habe kein bestimmtes Vorbild. Früher war ich fasziniert von Satoshi Urushihara und habe oft versucht, seinen Stil zu kopieren. Heute lasse ich mich von verschiedensten Künstlern inspirieren, nicht nur von Mangazeichnern“, erzählt die Berlinerin Marie Sann.
Während europäische Comics noch eine Rolle in der deutschen Mangawelt spielen, scheint der traditionelle US-Stil wenig präsent. "Die größten Einflüsse auf die deutschen Zeichnerinnen und Zeichner kommen von japanischen Manga, südkoreanischen Manhwa und chinesischen Manhua. Andere Quellen sind Romane und reale Filme. Bei den europäischen Comics tragen vor allem franco-belgische Geschichten bei. US-Comics bzw. der US-Zeichenstil werden eher selten verwendet“, erklärt der Experte Tieschky.
Über die Comicwelt hinaus
Bei den großen Comicverlagen kommen in der Regel mehr als 70 Prozent des Umsatzes aus dem Geschäft mit Manga. Wer bei den drei wichtigsten Mangaherausgebern - Tokyopop, Carlsen und Egmont Manga & Anime (EMA) - keine Chance hatte, kann immer noch seine Arbeit im Internet, in Fanzines oder über kleine Verlage publizieren.
Das eigentliche Phänomen der deutschen Manga kann aber hauptsächlich jenseits der Welt der Comics beobachtet werden: Von der Mode über Videos bis hin zu den Zeitschriften prägen die Manga das Lebensgefühl der 12-25 Jährigen. Und Merchandising wird dadurch zu einer zusätzlichen Einnahmequelle für die Mangakas (Mangazeichnerinnen).
Von Fans zu Zeichnern
"Wenn es keine Welle bleibt, dann sehe ich es sehr positiv. Ein bisschen Sorge habe ich aber schon, dass man irgendwann für lau zeichnen muss, da es viele junge Zeichner gibt, die kein oder nur wenig Geld für ihre Arbeit verlangen, aber immer bessere Qualität liefern. Sehr gut finde ich, dass immer mehr Fans zu Zeichnern werden, so bleibt Bewegung in der Sache“, sagt die 21-jährige Anike Hage, Autorin vom erfolgreichen Gothic Sports, zusammen.