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Manchmal klemmt's: 130 Jahre Reißverschluss

Torsten Landsberg
29. August 2023

Der Reißverschluss ist heute ein selbstverständlicher Begleiter - dabei dauerte es Jahrzehnte, bis er sich durchsetzte. Seine Handhabung richtet sich bei manchen Herstellern noch immer nach Geschlechtern.

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Ein Wandbild in Berlin zeigt einen sich öffnenden Reißverschluss, hinter dem eine Hausfassade zum Vorschein kommt.
Für immer geschlossen: Gert Neuhaus' Wandbild "Reißverschluss" in Berlin fiel der Fassadendämmung zum OpferBild: Robert Schlesinger/picture alliance

Mal ehrlich, in Zeiten von Home Office und Remote Work ist inzwischen ja häufig eher der Gummizug Trumpf. Aber wenn es dann mal vor die Haustür geht, begegnen wir ihm doch noch ab und zu an unserer Kleidung: dem Reißverschluss.

Die Entdeckung der legeren Lounge-Mode ist nicht die erste Herausforderung, der sich der Zipper erwehren muss. Er hat auch die wiedererstarkte Knopfleiste an hippen Jeans überstanden und millionenfache Tobsuchtsanfälle: Wer von uns hat nicht schon mal laut geflucht, wenn wieder ein dünnes Stück Stoff zwischen die Zähne geraten ist und den Reißverschluss unbarmherzig blockiert hat, kein Vor und kein Zurück?

Erst Rost, dann kein Interesse

Trotz aller Widrigkeiten verteidigt der Reißverschluss mehr denn je den inoffiziellen Status des modischen Nonplusultra, und das will in einer erfindungsfreudigen und optimierungsgierigen Welt 130 Jahre nach Anmeldung seines Patents schon was heißen. Bereits in den 1850er-Jahren gab es die ersten Versuche, einen Kleiderverschluss ohne Unterbrechung in die Marktreife zu führen. Doch die Kreationen rosteten, öffneten sich ungewollt von selbst, waren hakelig zu bedienen und außerdem viel zu teuer.

Ein Arbeiter steht an einer Maschine und fertigt einen Reißverschluss
Handarbeit: Zwei Arbeiter des Schweizer Herstellers Riri fertigen 1962 ReißverschlüsseBild: KEYSTONE/picture alliance

Dem US-amerikanischen Handlungsreisenden Whitcomb Judson gelang 1890 eine Weiterentwicklung, für deren Tauglichkeit er am 29. August 1893 ein Patent erhielt. Seine als Ersatz für lange Schnürsenkel an Stiefeln gedachte Erfindung, den "clasp locker", präsentierte er bald darauf in Chicago auf der Weltausstellung. Leider empfand nicht jeder das Schuhebinden als so mühsam wie Whitcomb Judson, denn seine Erfindung stieß auf breites Desinteresse.

US-Militär wird Großabnehmer

Erst zehn Jahre später wagte Judson mit einem Kompagnon einen neuen Anlauf mit verbesserter Technik. Dass es so lange dauerte, führen Historiker auch darauf zurück, dass Judson zwischenzeitlich selbst mehr Interesse an der Entwicklung anderer Erfindungen zeigte. Vielleicht auch deshalb ließ er vom Reißverschluss letztlich ab, als sich die Idee nur schleppend vermarkten ließ.

Andere setzten seine Idee fort und optimierten sie, auch in Europa wurde getüftelt. Als der Grundmechanismus endlich die Serienfähigkeit erreichte, zählte das US-Militär im Ersten Weltkrieg zu den ersten Abnehmern. Der Reißverschluss kam an Stiefeln und wasserfester Bekleidung der Navy zum Einsatz.

Später kamen andere Materialien wie Nylon und Kunststoff zum Einsatz, irgendwann ließen sich Reißverschlüsse von beiden Enden öffnen, aber das Prinzip hat sich bis heute gehalten: Zwei biegsame Stoffstreifen werden mit jeweils einer Reihe von Zähnen aus Metall oder Kunststoff durch einen Schieber zusammengepresst und verhakt.

Nicht im Schritt

Erst Ende der 1930er-Jahre revolutionierte die Erfindung schließlich auch die Mode. Wie bei modischen Neuerungen damals nicht unüblich, war sie erst den Männern vorbehalten, für Frauen schickte sich das Tragen schnell zu öffnender Kleidung nicht. Dabei profitierten gerade sie besonders von der Erfindung, erübrigte der Reißverschluss doch das mühselige Binden von Schnüren oder das umständliche Gefummel mit Haken und Ösen.

Insbesondere der Sitz des Reißverschlusses im Schritt ziemte sich bei Frauenmode nicht. Öffnungen hatten seitlich angebracht zu sein, um die Aufmerksamkeit nicht auf den Intimbereich zu lenken. In Deutschland trugen bis in die 1960er-Jahre überwiegend Männer den Hosenschlitz mittig - bis die Jeans ihren Siegeszug antrat und die geschlechtliche Kleidertrennung wenigstens an dieser Stelle aufhob.

Eine Frau trägt in den 1960er-Jahren ein Kleid, das über einen Reißverschluss geöffnet wird.
Wie jede modische Entwicklung sorgte auch der Reißverschluss für einen Aufschrei der PrüderieBild: ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Die Handhabung des Reißverschlusses hingegen unterscheidet sich bei einigen Herstellern bis heute nach Geschlecht: So lassen sich manche Zipper an Frauenmode mit links schließen, während Männerkleidung gewöhnlich mit der rechten Hand zugezogen wird. Es handelt sich um ein Erbe der Knopfleisten, bei denen es in der Ära vor dem Reißverschluss genauso war: Die Knöpfe waren bei Damenmode auf der anderen Seite angeordnet, weil wohlhabende Damen von ihren Mägden eingekleidet wurden - also seitenverkehrt.

Reißverschlüsse auf dem Mond

Bei Unisex-Kleidung gibt es diese Unterscheidung mittlerweile zwar kaum noch, bei Hemden, Blusen und Anzügen ist sie dagegen häufig auch heute noch die Regel. Widerstandsfähig war der Reißverschluss übrigens schon recht kurze Zeit nach seiner Marktreife: Ende der 1950er-Jahre entwickelte die US-Raumfahrtbehörde NASA erst Höhendruckanzüge und später auch Raumanzüge, die sich mit Reißverschlüssen schließen ließen. Sie waren so konzipiert, dass sie das Vakuum halten konnten und kamen im Juli 1969 sogar bei der Mondlandung der "Apollo 11"-Mission zum Einsatz.

Die drei US-Astronauten Neil Armstrong, Michael Collins und Edwin Aldrin posieren 1969 in ihren Raumanzügen.
Neil Armstrong, Michael Collins und Edwin Aldrin trugen 1969 bei der Mondlandung Anzüge mit ReißverschlüssenBild: NASA via CNP /MediaPunch/picture alliance

Weil die Anzüge allerdings nicht für lange Aufenthalte im Weltraum geeignet waren, wie sie heute üblich sind, rangierte die NASA den Reißverschluss schließlich aus. Feuerfeste und Chemikalien trotzende Nachfolger der NASA-Technologie sind heute noch bei Feuerwehren und in Chemiewerken gefragt.

Rebellion und Pop-Art

Natürlich hat der Reißverschluss auch Einzug in die Popkultur gehalten. Wie rebellisch hätten Marlon Brando in "Der Wilde" (1953) oder James Dean in "... denn sie wissen nicht, was sie tun" (1955) denn wohl gewirkt, hätten sie ihre Leder- und Bomberjacken nicht dank des Reißverschlusses lässig halb offen getragen?

Sogar 1971 konnte der Reißverschluss noch für Kontroversen sorgen. In jenem Jahr veröffentlichten die Rolling Stones ihr legendäres Album "Sticky Fingers", dessen Plattencover die Pop-Art-Ikone Andy Warhol mit einem funktionierenden Reißverschluss gestaltet hatte.

Ein Plattencover der Rolling Stones mit der Aufschrift "Sticky Fingers" zeigt eine Hose mit echtem Reißverschluss darauf
Und aus der Mitte entspringt ein Baumwollschlüpfer: Andy Warhols Stones-CoverBild: AP Photo/picture alliance

Die frühen Pressungen wechseln heute für mehrere hundert Euro den Besitz. Obwohl sich hinter dem Zipper nichts Anstößiges verbarg, sondern völlig harmlos ein männlicher Körper in weißer Baumwollunterhose wartete, wurde das Cover skandalisiert. Diktator Franco ließ die Verbreitung in Spanien sogar als "obszön" verbieten. Dort erschien das Album mit einem alternativen Foto, auf dem Frauenfinger aus einer Dose mit Sirup ragten, was deutlich verstörender war als eine Hose mit Reißverschluss. Auch der Titel "Sister Morphine" musste für den spanischen Markt damals vom Album verschwinden, was einigermaßen seltsam wirkt, wenn man bedenkt, dass sich von "Brown Sugar" bis "Bitch" fast alle Titel auf "Sticky Fingers" um Drogen drehten.

Eine Arbeiterin steht in der Fabrik des japanischen Reißverschluss-Herstellers YKK am Fließband und kontrolliert die Qualität.
Massenfertigung: Eine Mitarbeiterin des japanischen Herstellers YKK bei der QualitätskontrolleBild: Peter Essick/Aurora Photos/IMAGO

Immerhin, zum 130. Geburtstag seiner Patentierung fristet der Reißverschluss inzwischen weltweit ein weitgehend ungestörtes Dasein. Geschätzt 1,5 Milliarden Exemplare fertigt allein der japanische Hersteller YKK jedes Jahr. Das Kürzel ist auf manchen Verschlüssen eingraviert, so viel Platz muss sein. Vermutlich liegt die Perfektion des Reißverschlusses im Unperfekten: Er ist ein selbstverständlicher Begleiter, den wir selten bewusst wertschätzen und nur wahrnehmen, wenn es doch mal wieder hakt. Das tut uns Leid. Happy Birthday, lieber Reißverschluss!