Malmö, Stadt der perfekten Balance
4. Oktober 2019Wer Malmö besucht, wird vermutlich den Flieger nach Dänemark nehmen. Von Kopenhagens Flughafen Kastrup sind es nur noch 25 Kilometer. Acht davon entfallen auf die Fahrt mit Zug oder Auto über die Öresund-Brücke. Hier kommt schnell das Gefühl auf, als würde man dem Nichts entgegenreisen: Überall nur das Wasser des Öresund, der Ost- und Nordsee verbindet. Perfekter Ferienmodus also! Die Industrieanlagen an der schwedischen Küste vor Malmö sind noch kaum zu erahnen.
Der Charme der alten Industriestadt
Es macht Sinn, dass Schweden seine Schwerindustrie im 19. Jahrhundert genau hier ansiedelte: Die Lage am südlichsten Zipfel des Landes in der Provinz Skåne län und der Zugang zu den Schifffahrtswegen durch Nordeuropa, sind perfekt dafür. Sobald man auf der schwedischen Seite des Öresund ankommt, rücken die alten Werften und Kräne in den Blick, ehemalige Arbeiterwohnungen - sogar die zeitgenössische Architektur lehnt sich an die Industriearchitektur an, beispielsweise das Einkaufszentrum Emporia mit seinen gebogenen Glas-Stahl-Fassaden. Es ist einer der ersten Bauten, die Besucher sehen, wenn sie über die Öresund-Brücke ankommen.
In mir keimt der Gedanke auf, dass ein rostiger Gürtel Malmö umgibt. Das erhebt die Stadt eher nicht zur touristischen Attraktion - wenn man nach dem ersten Eindruck urteilt! Wer das tut, erweist Schwedens drittgrößter Stadt aber einen Bärendienst: Um Malmö zu verstehen, muss man tief in die schwedische Seele eintauchen.
Hauptstadt des "lagom"
Blogs und Lifestyle-Magazinen feiern den lange vergessenen Industriestandort im Schatten von Kopenhagen gerade als Stadt des "lagom" - dem schwedischen Prinzip von Mäßigung und Balance. Viele junge Zuzügler haben Malmö in den letzten Jahren internationaler, kosmopolitischer gemacht. Und trotz des Wandels ist da etwas Langsames, Entspanntes, das die Stadt zum Inbegriff des "lagom" macht und zur echten Konkurrenz zum dänischen Lebens- und Designkonzept "hyyge". Doch während der Däne sich sein Umfeld behaglich einrichtet, kommt das schwedische "lagom" von innen. So eine Art schwedisches Zen. Wer Großstadt und boomendes Nachtleben sucht, ist auf der anderen Seite des Öresund in Kopenhagen besser aufgehoben. Die skandinavische Seele lässt sich hingegen auf dieser Seite entdecken.
Eine königliche Begrüßung
Die meisten touristischen Attraktionen stehen in Malmös Altstadt. Am Stortorget etwa, Malmös ältestem Platz aus dem 16. Jahrhundert, treffe ich auf König Karl X.Gustav - oder zumindest auf seine Statue. Eine schnelle Recherche mit dem Smartphone verrät mir, dass dieser König diverse Teile Dänemarks eroberte und sie dem schwedischen Imperium Mitte des 17. Jahrhunderts einverleibte. Könnte das der Grund dafür sein, dass die Kopenhagener gerne Malmös Charme herunterspielen? Weil sie immer noch Groll gegen die einstigen Eroberer hegen? Aber sind denn nicht alle Wikinger? Inmitten der farbenfrohen Gebäude am Stortorget denke ich über solche Fragen nach. Und stelle zugleich fest, dass dieser Platz auch eine wichtige Rolle in der Gegenwart spielt: Hier sind das Rathaus und Gebäude der Bezirksregierung.
Nordische Spezialitäten
Um die Ecke liegt der nächste Platz, den jeder Besucher gesehen haben sollte: Lilla torg. Hier schlägt das gastronomische Herz der Stadt in einem Dutzend Restaurants und Cafés, in denen Touristen und Einheimische sich einen faulen Nachmittag machen. Draußen sitzen kann man das ganze Jahr über - neben Heizgeräten und mit Decken ausgestattet, auch wenn die Sonnenstunden im Winter kürzer werden. Wofür man sich auch entscheidet, man sollte sich von der Suche nach der perfekten Balance leiten lassen.
In einem der Speiselokale, dem "Moosehead", also Elchkopf, gibt es - Sie ahnen es bereits - verschiedenste Gerichte mit Elchfleisch. Auch wenn das gar nicht so typisch ist. Tatsächlich ist Rentier als Delikatesse in Schweden sehr viel verbreiteter. Wer ein Buffet mit viel gebeiztem Fisch und anderen Höhepunkten der schwedischen Küche bevorzugt, kommt am besten im Dezember hierher, denn solch elaborierte Festessen sind für die Weihnachtsfeiertage reserviert. In Malmö ist eines der besten Restaurants dafür der Rathauskeller. Hier wird die Suche nach dem "lagom" schnell zum "lanomnomnom".
Schwedisches Design
Gegen so viele Kalorien hilft dann nur noch ein Spaziergang, die Shoppingmeile Södra Förstadsgatan auf und ab. Hier geht es allerdings nicht nur ums Einkaufen, sondern auch ums Lernen: Eine Lektion in modernem Design und Architektur erteilt das nahe Form/Design Center im Hedmanska Gartenhof. Und wo kann man Design schon besser lernen als im Land des Möbelriesen IKEA, der in Malmö eines seiner Hauptquartiere hat.
Noch interessanter als die vielen Möbel- und Designläden macht einen Stadtbummel die supermoderne Architektur. In den vergangenen 15 Jahren hat sich Malmö darauf konzentriert, seine Skyline mit einigen einzigartigen Gebäuden aufzupeppen. Zum Beispiel den Turning Torso, 2005 als Wohnhochhaus im Norden der Stadt erbaut. Mit 54 Etagen ist der 190 Meter hohe, preisgekrönte Turm heute der höchste Wolkenkratzer Skandinaviens. Das sagt viel aus über Schweden: Man kann dort buchstäblich nach dem Himmel greifen, das steht dem inneren "lagom" nicht entgegen.
Geschichtsstunde im Schloss
Das Schloss von Malmö ist dagegen eher etwas für diejenigen, die einen zeitlosen Architekturstil bevorzugen. Die ältesten Teile von Malmöhus Slott stammen aus dem 15. Jahrhundert. Wieder gibt es eine Geschichtsstunde aus dem Smartphone, diesmal zu König Christian III. und Erik von Pommern. Sie lehrt auch die Verbindung zur berühmten Königin von Schottland, Maria Stuart: Ihr dritter Ehemann, James Hepburn, war hier im 16 Jahrhundert eingekerkert.
Wem gekrönte Häupter, Design und Architektur, Küche und Shopping nicht reichen, der kann Malmö immer noch als bequemen Ausgangspunkt nutzen, um den Rest Skandinaviens zu erkunden. Dänemark? Nur eine halbe Stunde entfernt. Die schwedische Hauptstadt Stockholm? Etwas über vier Stunden mit dem Zug, nach Oslo sind es sechs. Den inneren Wikinger zu entdecken war also noch nie so leicht - wenn man dabei immer an "lagom" denkt: alle Dinge in ausgewogener Balance tun.