Bedrohtes Weltkulturerbe in Mali
11. März 2013Das Echo einer Buschtrommel hallt wider von den schroffen Felswänden um das Dorf Tireli. Es ist die Ankündigung eines Maskentanzes - zu Ehren des ersten Besuchers seit Monaten, der seinen Weg hierher gefunden hat. Kein kleiner Willkommensgruß, sondern eine aufwändige Darbietung mit 50 Tänzern, einer umfangreichen Choreographie und einem rituellen Tieropfer.
Den Auftakt machen die Dorfältesten: In wallenden, indigo-blauen Gewändern trommeln und singen sie so kraftvoll, dass es noch weit bis ins Tal zu hören ist. Zwischen den Felsen erscheinen plötzlich 30 Tänzer, ausgestattet mit schweren Holzmasken, bekleidet mit Röcken aus gefärbten, langen Grashalmen. Jeder von ihnen symbolisiert einen anderen Teil der Dogon-Kultur: Sei es mit einer gehörnten Stiermaske oder einer Schlangenmaske, doppelt so groß wie der Tänzer selbst. Zwei Männer auf Stelzen ahmen mit flatternden Bewegungen den Flug der Vögel nach. Wilde Tänze, die die Luft mit Staub anfüllen.
Niedergang des Tourismus
"Die Masken symbolisieren die Seele des Menschen. Es ist ein Tanz, der die Entstehung der Welt beschreibt", sagt Organisator Atime Sai der Deutschen Welle. Anlässe können Feiern jeglicher Art sein. "Dieser Tanz ist auf der ganzen Welt bekannt", sagt er. "Als uns noch Touristen besuchten, haben wir ihn manchmal täglich aufgeführt."
Doch dann kamen die Reisewarnungen für Mali: Militante Islamisten entführten Reisende, im Norden des Landes brodelte die Rebellion. Es war das Ende des Tourismus - und mit ihm das Ende der Wirtschaft.
Ein lebendiges Freilichtmuseum
In den 1980ern strömten Schwärme von Touristen nach Mali, um das zu erleben, was Reiseführer das "lebendige Museum" nannten. Uralte Lehmhäuser in schwindelerregenden Höhen überblicken noch immer die Landschaft, eng geschmiegt an die Steilhänge der Berge. Sie sind letzte Erinnerungen an des Volk der Tellem, das hier um das 14. Jahrhundert von den Dogon verdrängt wurde.
Eine Zeit lang erzeugte der Tourismus hier mehr als 80 Prozent des regionalen Einkommens. Adam Guindo lernte deswegen acht Sprachen - um sich, wie er sagt, um Touristen aus der ganzen Welt zu kümmern. Doch mehr als ein Jahr lang hatte er keine einzige Gruppe zu Besuch. Wie viele seiner Landsmänner hatte auch er einst seinen Heimatort verlassen, der Arbeit wegen. Nun ist er wieder zurück in seinem Dorf, wo die Bevölkerung, so sagt er, immer frustrierter wird.
Gewürzbällchen statt Touristen
"Ohne einen Job hast Du kein gutes Leben. Und Geldverdienen geht hier nicht, weil es fast keine Jobs gibt. Das macht uns wütend", sagt Guindo, "es ist nicht leicht, da ruhig zu bleiben".
Mittlerweile ist vieles im Land der Dogon wieder so, wie es vor der Ankunft der Touristen war. In der traditionell landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft werden nun Zwiebeln angebaut, überall da, wo der Boden tief genug ist, um etwas Wasser zu speichern. Die Ernte wird getrocknet und zu Gewürzbällchen geformt, die dann in ganz Mali und manchmal auch in den Nachbarländern verkauft werden.
Die Fesseln der Isolation
Im kleinen Krankenhaus des Städtchens Sangha sind Mitarbeiter damit beschäftigt, Kleinkinder zu wiegen und gespendete Nährstoffpillen zu verteilen. Ihr Ziel ist es, die Mangelernährung in der Region zu bekämpfen. Asum Sombe wartet zusammen mit ihrem vier Monate alten Baby und mehr als hundert anderen Müttern und Kindern darauf, endlich an der Reihe zu sein. Sie sagt, dass man ohne eine funktionierende Wirtschaft nur überleben könne, wenn man sich als Gemeinschaft zusammenschließt und vom Essen bis zu den Medikamenten alles miteinander teilt.
"Es gibt keine Touristen mehr, darunter leiden alle", erzählt Sombe. "Gesundheitlich geht es mir nicht gut. Wenn ich krank bin, habe ich kein Geld für Medikamente. Die Apotheken geben sie mir dann auf Kredit. Und wenn ich etwas Geld habe, zahle ich es zurück."
Die isolierte Lage der Region hat die Bevölkerung seit Jahrhunderten zusammengeschweißt. Durch die Steilhänge vor Eindringlingen geschützt, war es eine der wenigen Gegenden in Afrika, in denen die Menschen noch immer offen ihre lokalen Naturreligionen praktizieren.
Zerstörte Kulturdenkmäler
Al-Hajji Asim Ongoiba läuft durch verkohlte Holzruinen und zerbrochene Statuen in der Stadt Douentza. Hier stand einmal die "Toguna", ein zentraler Treffpunkt in der Dogon-Gesellschaft. Ongoiba ist, obwohl selbst Moslem, der Vorsitzende des örtlichen Dogon-Kulturvereins.
"Die Toguna war der Ort, an dem sich die Dorfältesten trafen um Probleme zu diskutieren, Entscheidungen zu fällen, Streitigkeiten zu schlichten, sich zu informieren, Dinge in Gang zu bringen", erzählt Ongoiba. "Es gab keinen Diebstahl und keine Täuschungen. Die Leute mussten immer die Wahrheit sagen und nichts als die Wahrheit."
Douentza war, wie der gesamte Norden Malis, für fast ein Jahr unter der Kontrolle islamistischer Kämpfer. Die Besatzer verboten alle traditionellen Rituale und Praktiken, die nicht in ihr Weltbild passten. Im April 2012 rissen sie dann die Toguna nieder und versuchten sie anzuzünden - die hilflose Bevölkerung konnte dabei nur zusehen.
Obwohl die Region seit der französischen Intervention nun von der malischen Armee kontrolliert wird, ist die Kultur der Dogon weiterhin gefährdet. Ihr Land wurde von den Vereinten Nationen zum Weltkulturerbe erklärt. Bisher aber, so Ongoiba, hat es keine direkte Hilfe gegeben, um die zerstörten Denkmäler wieder aufzubauen und das isolierte Volk weiterhin zu schützen.