Mahmud Abbas und seine Symbolpolitik
11. August 201524 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche wollen die Männer einer freiwilligen Bürgerwehr den kleinen Ort Duma in der Nähe von Nablus fortan bewachen, erzählt Anwohner Sami Dawabshe. Dawabshe, der zugleich auch Generaldirektor des palästinensischen Ministeriums für lokale Verwaltung in Nablus ist, hatte die Palästinenser im besetzten Westjordanland aufgefordert, Pläne für den Selbstschutz zu entwickeln und einige - auch in anderen Ortschaften - sind diesem Aufruf gleich gefolgt.
Die Bewohner des Ortes Duma haben in den vergangenen Tagen einiges durchgemacht: Bei einem Anschlag am 31. Juli war der 18 Monate alte Ali Dawabshe verbrannt, sein Vater Saad starb acht Tage später an seinen Verletzungen; auch die Mutter und der vierjährige Bruder erlitten schwerste Brandwunden. Am Tatort wurden Parolen auf Hebräisch hinterlassen, die auf Attentäter aus dem Kreis jüdischer Extremisten schließen lassen. Mehrere verdächtige radikale Siedler wurden zwar festgenommen, aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Zugleich verhängten die israelischen Behörden gegen zwei weitere extremistische Siedler sechs Monate Verwaltungshaft.
Kein Vertrauen in die Regierung
Die Bürgerwehr von Duma weiß, dass sie nicht viel ausrichten kann, denn sie patrouilliert unbewaffnet. Aber immerhin, so sind sie sich sicher, könnten sie zumindest rechtzeitig einen Alarm auslösen, um gegebenenfalls eine weitere Tragödie zu verhindern. Gewaltakte von Siedlern gegenüber Palästinensern im besetzten Westjordanland sind keine Seltenheit. Die UN-Organisation für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) hat in der ersten Hälfte des Jahres über 100 Angriffe auf Palästinenser, ihr Land und ihr Eigentum durch jüdische Siedler gezählt. 2014 waren es insgesamt 331 Übergriffe, 2013 waren es 400.
Die Sicherheitsdienste der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bekräftigen zwar, alles in ihrer Macht stehende unternehmen zu wollen, um die "Bevölkerung durch Terrorakte extremistischer Siedler" zu schützen. Doch de facto hat die Autonomiebehörde keine Gerichtsbarkeit über israelische Siedler, die im Westjordanland leben. Dabei soll eine bestehende Kooperation mit Israel, Sicherheit für Israel garantieren. "Das ist eine sehr asymmetrische Sicherheitskooperation. Israel ist zuständig und die palästinensische Autonomiebehörde untergeordnet", sagt Martin Beck, Professor für gegenwartsbezogene Nahost-Studien an der dänischen Universität in Odense.
Dass sich nun Bürgerwehren bilden, ist auch Ausdruck sinkenden Vertrauens in die palästinensische Autonomiebehörde und Präsident Mahmud Abbas. "Denn in der Wahrnehmung der Palästinenser ist die Autonomiebehörde Juniorpartner der israelischen Besatzung", sagt Nahost-Experte Beck. Abbas, der mittlerweile seit gut zehn Jahren im Amt ist, weigert sich Neuwahlen auszurufen, weil er befürchtet, sie entweder an seinen Kontrahenten Mohammed Dahlan - unter Jassir Arafat Sicherheitschef der PA in Gaza - zu verlieren oder gar an die im Gazastreifen regierende radikal-islamische Hamas. Gegen sie hatte Abbas' Fatah-Partei bereits 2006 eine Niederlage erlitten. Eine Spaltung der palästinensischen Autonomiegebiete war die Folge.
Kein Staat in Sicht
Politischer Nachwuchs ist derzeit nicht in Sicht. Und die alte Garde der palästinensischen Autonomiebehörde hat keine Fortschritte bei der Errichtung eines eigenen palästinensischen Staates erzielt. Im Gegenteil: Die Bewegungsfreiheit für die Menschen im Westjordanland und auch für die Bevölkerung im Gazastreifen wurde durch Israel immer weiter eingeschränkt. Mehrere Versuche, den Bruder-Zwist zwischen der Fatah und der Hamas beizulegen und das Westjordanland und den Gazastreifen durch eine Einheitsregierung wieder zu vereinen, waren bisher nur auf dem Papier erfolgreich. Zuletzt im April 2014.
Immerhin hat sich die wirtschaftliche Lage in den vergangenen Jahren im Westjordanland stabilisiert. Zwar liegt die Arbeitslosenquote im Westjordanland nach Angaben der palästinensischen Statistikbehörde im ersten Quartal 2015 immer noch bei 16 Prozent. Aber das ist kein Vergleich zur Situation im Gazastreifen. Dort ist mit 41 Prozent fast die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos - besonders die jungen Menschen sind betroffen. Doch auch im Westjordanland gibt es Gebiete, in denen die Menschen unter Armut leiden. In Duma zum Beispiel.
Keine Alternative
Abbas betreibt daher in vielen Fällen auch Symbolpolitik. So sagte er in einem Statement kurz nach den Brandanschlägen in Duma, er wolle, dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag sich dem Geschehen annehme: Doch der ICC, dem Palästina Anfang des Jahres beigetreten ist, wird Jahre brauchen, um, wenn überhaupt, Anzeige zu erstatten. Die Bevölkerung ist sich dessen bewusst.
Inzwischen haben schon einige Palästinenser das Recht in die eigene Hand genommen: Es kam zu diversen Schießereien und Messerstechereien mit Israelis. Andere sehen in der Hamas eine mögliche politische Alternative. "Die Palästinenser sind sich einig darüber, dass sie ein Ende der Besatzung wollen", sagt Nahost-Experte Martin Beck. Aber die beiden Alternativen, die sie im Moment haben, seien nicht sehr attraktiv. Denn während die einen besonders in Sicherheitsfragen mit Israel kooperieren, kommt es zwischen Hamas und Israel immer wieder zu Kriegen. Die Kosten dafür trägt die palästinensische Bevölkerung.