Zum 150. Geburtstag von Gustav Mahler
19. Juli 2010Die Uraufführung von Gustav Mahlers 8. Sinfonie im Sommer 1910 in München war ein gigantisches Ereignis: Nie zuvor waren an einem Werk so viele Mitwirkende beteiligt. Bis heute trägt das Stück den Beinamen "Sinfonie der Tausend" - und ist für den Bonner Generalmusikdirektor Stefan Blunier ein Erlebnis: "Die Achte ist ein Event. Da werden alle Massen mobilisiert, es geht an die Grenzen der Dezibellautstärken und das ist schon das, was den modernen Menschen fasziniert, dass es aus dem Vollen schöpft. Und selbst für einen nicht klassischen Musikvertrauten hat es schon sehr was Beeindruckendes, wenn zweihundert Mann Orchester und fünfhundert Mann Chor loslegen."
Musik der Extreme
Der 150. Geburtstag von Gustav Mahler am 7. Juli hat schon lange seine Schatten vorausgeworfen. Und auch der 100 Todestag steht unmittelbar: am 18.5.1911 verstarb der große österreichische Komponist in Wien. Seine großen Sinfonien stehen derzeit auf den Spielplänen fast aller Orchester in Deutschland. Dass der Komponist vor 50 Jahren so gut wie vergessen war, kann sich heute keiner mehr vorstellen. Mahler ist ein Publikummagnet. Was fasziniert die Zuhörer so an seiner Musik? "Ich glaub, das ist das nicht Fassbare und diejenigen, die sensibel genug sind, erkennen darin ein großes Potential", meint Stefan Blunier, der in dieser Saison mit der 8. Sinfonie in Bonn seinen Mahlerzyklus begonnen hat. Den Vorwurf, Mahlers Musik sei schnulzig oder kitschig, entkräftet er mit der Bemerkung, die beiden Wörter seien in seiner Heimat, der Schweiz, nicht negativ behaftet. Außerdem: "Dieses Archaische oder auch dieses Niederschlagende passt natürlich auch zu unserer Zeit, und da kann, glaub ich, der Zuhörer was kompensieren."
Wiederentdeckung durch den Film
Zu Mahlers Lebzeiten hatten die Zuhörer mit seinen Werken Probleme. Sie verstanden nicht, was der Komponist sagen wollte. Im 'Dritten Reich' wurde seine Musik als 'entartet' diffamiert und in der Nachkriegszeit lehnte die Avantgarde sie als zu überladen und schwülstig ab. Erst 1971 begann die Mahler-Renaissance, und zwar mit einem Film: Luchino Visconti hatte für seinen Kassenschlager "Tod in Venedig" das Adagietto aus Mahlers 5. Sinfonie verwendet und löste damit einen regelrechten Mahler-Boom aus. In den letzten 30 Jahren haben seine Sinfonien ihren festen Platz im deutschen Konzertleben gefunden, und sie werden die Orchester auch weiterhin beschäftigen, denn nach dem 150. Geburtstag des Komponisten folgt im kommenden Jahr dessen 100. Todestag.
"Höchst radikale Musik"
Angesichts der überaus komplexen Struktur der Sinfonien und der mitunter recht bizarren Tonsprache ist ihre große Popularität beim Publikum schon erstaunlich oder vielleicht doch nicht? Stefan Blunier faszinieren gerade die Extreme in Mahlers Musik: "Der fordert das Letzte an Leichtigkeit ebenso wie an Schwere wie an fortissimo wie an piano. Und das umzusetzen, was er haben möchte, lässt zwar immer noch genügend Freiraum, man kann sich da manchmal wirklich so richtig suhlen in den Klängen", schwärmt der Dirigent, "aber das wirklich heraus zu arbeiten, ist schon eine sehr anstrengende Arbeit. Und wenn man die Musik wirklich so umsetzt, dann ist die höchst radikal." Interessanterweise, so Blunier, wird Mahler in der Schweiz oder auch in Frankreich nicht so häufig gespielt wie in Deutschland, den Niederlanden oder in den USA. Was den Schallplattenmarkt angeht, so spiegelt sich seine Popularität hierzulande auch in den vielen Einspielungen seiner Werke wieder. Doch für Blunier ist und bleibt Mahlers Musik ein Liveerlebnis: "Das ist eine ganz besondere Dimension. Und wer einmal den Schluss, wenn sich das so hochschraubt in der Achten, live erlebt hat, das kann man mit der besten Hifi-Anlage zuhause nicht erreichen."
Autor: Klaus Gehrke
Redaktion: Gudrun Stegen