Der Präsident scheut das Scheinwerferlicht
12. September 2017Direkt nach Amtsantritt ging das Murren los. Der neue Präsident sei arrogant, so hieß es. Ihnen gegenüber, der Élysée-Presse, dem erlauchten Kreis, der auf den dicken Teppichen im Festsaal des Élysée-Palastes zwischen schweren Samtvorhängen Informationen mit der präsidentiellen Entourage auszutauschen pflegte. Macron würde sich derart abschotten, dass die Pressearbeit nun gefährdet sei, hörte man aus den Fluren der Redaktionen. Als das frisch zusammengewürfelte Presseteam dann auch noch das traditionelle Fernsehinterview am Nationalfeiertag absagte, war der Katzenjammer der Medien in Paris groß.
Mit Macron ist die mediale Omnipräsenz seiner Vorgänger vorbei
Und tatsächlich, die mediale rentrée war für viele alte Hasen der Präsidentenpresse ein Schock. Alte Gewissheiten waren plötzlich passé. "Jahrelang kannte ich Mitarbeiter auf der fachlichen Ebene. Die waren für den ein oder anderen einschätzenden Satz immer zu haben" erinnert sich eine langjährige Printjournalistin. Seit Macrons Einzug in der Rue du Foubourg Saint-Honoré käme man da nicht mehr ran, so zumindest ihr Eindruck. Ein Agenturjournalist berichtet, man habe während des gesamten Wahlkampfs auf ein längeres Interview des Kandidaten und jetztigen Präsidenten hingearbeitet, umsonst. Das Élysée hätte dichtgemacht.
Der Präsident werde sich vor dem Herbst in keinerlei Fernsehinterviews zu seinen Regierungsvorhaben äußern, denn sein "Denken sei zu komplex" dafür. Diese Begründung - eilig rausgeschickt an die sogenannte "Schleife", die Gesamtheit der Élysée-Korrespondenten - sorgte für Empörung bei Frankreichs Journalisten. Die linke Tageszeitung "Libération" titelte entsprechend entrüstet "Müssen die Journalisten verbrannt werden?".
Doch nicht alle Medien murren. Liebeskummer hat eigentlich nur die Präsidentenpresse. "Wir haben die Null Sechs nicht mehr" beschweren sich die Hofjournalisten und meinen die präsidentielle Mobilnummer. "Hollande hat einfach mal ne SMS geschickt, wenn wir eine Frage hatten" fasst ein Hörfunkkorrespondent die Beziehung zum sozialistischen Amtsvorgänger zusammen.
Frankreichs Präsidenten und ihre Palastpresse sind ein Kapitel für sich. Zu nah, zu fern, es ist ein ambivalentes Verhältnis und dies hat mitnichten Macron erfunden. Grundsätzlich wird die Presse in Paris gerne zu eigenen Zwecken benutzt. Ob der private Fernsehsender TF1 oder die öffentlich-rechtliche Gruppe France Télévision, Monsieur le Président, egal welcher, taucht dort gerne mal auf mit paternalistisch anmutenden Fernseh-Ansprachen mitten in den Abendnachrichten. Selbstredend ein geschickter Zug, um sich jedweden Fragen zu entziehen.
Pressekonferenzen, auf denen Journalisten Nachhaken können zu Fragen der Regierungspolitik, sind dagegen Mangelware. Und wenn, dann herrscht dort eine Hofetikette, die drollig bis deplatziert wirkt für eine Republik: es gilt immer das gleiche Ritual, von Pompidou über Valérie Giscard d’Estaing bis zu Macron: Steht eine der seltenen Pressekonferenzen an, eilen sämtliche Präsidenten in ähnlich monarchisch anmutender Manier durch die hohen goldumrandeten Flügeltüren hin zum Pressesaal. Auch der selbsterklärte "normale" Präsident Francois Hollande hielt an diesem Protokoll fest. Tritt der Präsident dann ans Stehpult, geschieht dies nicht ohne dass sich die gesamte Presse auf Geheiß des Saaldieners "Le President!" vorher von ihren Stühlen erhebt. In verblüffendem Gegensatz dazu: der individuelle Zugang zu französischen Staatsmännern und ihrer Entourage hinter den Kulissen.
Hier geht der neue französische Präsident in der Tat auf Abstand. "Es ist nicht normal, dass sie um sechs Uhr morgens und auch noch um 23 Uhr einen direkten Zugang haben" bereitet Sprecherin Sibeth Ndiaye den Richtungswechsel ihres Chefs in der Sommerpause vor. "Ein Präsident kann nicht jeden Tag die Lage höchstpersönlich kommentieren" bestätigt Emmanuel Macron gegenüber dem Magazin "Le Point" jüngst seine neue Taktik. Er stehe dazu.
Der neue Präsident will keine medialen Schosshündchen
Sie könnte heilsam sein, diese neue Distanz: Bislang saß die Hauptstadtpresse der Republik ehrfürchtig auf dem Schoss der Präsidenten, bei Emmanuel Macron müssen sie jetzt runter und das schmerzt. Kaum einer hatte den fulminanten Personalwechsel im Élysée auf dem Schirm. Neue, bis dato unbekannte Leute hielten mit dem Youngster Macron Einzug in den Palast. Es ist dieser Personalwechsel, den die französischen Presse nicht goutiert. Menschen, die noch bis letzten Herbst nichts mit Politik zu tun hatten, sitzen jetzt an wichtigen Positionen. Eine neue politische Klasse ist an der Macht. Alte Seilschaften funktionieren nicht mehr. Und damit scheint auch die Süffisanz der Hauptstadtpresse an ihre Grenzen zu stoßen. Statt beim Mittagessen mit den Mächtigen müssen sich Frankreichs Journalisten ungewohnt mühsam Informationen und Positionen zusammentragen. Sie müssen ihre Rolle neu finden. Ja, Macron habe Distanz geschaffen, so ein Agenturredakteur, "aber wir waren auch zu nah dran. Das war irgendwie nicht gesund." "Am Ende von Hollandes Zeit haben wir fast nur noch kommentiert, nicht mehr berichtet" räumt ein Printjournalist freimütig ein.
Den Vorwurf, Macron regiere "vertikal", also mit möglichst wenig Zwischeninstanzen, will keiner so recht erneuern. Macrons Leute zeigten sich zunehmend flexibler, wollen die Hauptstadtkorrespondenten jüngst beobachtet haben. Zudem spreche man nun ungewohnt oft mit Abgeordneten der Assemblée Nationale, heißt es. Den französischen Parlamentariern kann dieser neue Scheinwerfer nur recht sein. Standen sie doch oft genug im Schatten des Élysée.