Kalter Krieg zwischen Riad und Teheran
8. September 2016Wenn es um religiöse Fragen geht, ist die Hoffnung auf einen Kompromiss zwischen den zwei rivalisierenden Mächten im Nahen Osten gering. Die schiitischen Machthaber im Iran und das sunnitische Könighaus in Saudi-Arabien streiten derzeit offen darüber, wer sich als Muslim bezeichnen darf.
Der iranische Führer Ajatollah Ali Chamenei beschimpfte die Mitglieder des saudischen Königshauses als Ungläubige. "Die Muslime weltweit sollten die Blasphemie der Saudis erkennen", sagte Chamenei in seiner jährlichen Botschaft vor der Hadsch zu Wochenbeginn. Saudi-Arabien hat die iranischen Pilger in diesem Jahr von der wichtigen Wallfahrt ausgeschlossen. Chamenei rief dazu auf, die Verwaltung der jährlichen Pilgerfahrt nach Mekka durch Saudi-Arabien zu überdenken. Zur Begründung führte er unter anderem den Tod von Tausenden Pilgern im vergangenen Jahr an.
Der Großmufti von Saudi-Arabien, Abdulaziz al-Sheikh, warf den Iranern daraufhin vor, sie seien keine Muslime. Damit bekräftigte er, was saudische Kinder in der Schule lernen: Schiiten diffamierten angeblich den Islam. Keine Reaktion ohne Gegenreaktion. Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif beschied via Twitter: "In Wahrheit besteht keinerlei Ähnlichkeit zwischen dem Islam der Iraner und der Mehrheit der Muslime und dem rassistischen Extremismus, den die wahabitischen Muftis und die saudischen Begründer des Terrorismus propagieren." Mit diesem Tweet löste Zarif eine virtuelle Schlammschlacht zwischen iranischen und saudischen Usern aus. Auf Twitter beschimpfen sich beide Seiten seither nach Herzenslust.
464 Tote, keine Erklärung
Unter den Beschimpfungen im Netz leiden viele gläubige Iraner, die nun nicht mehr nach Saudi-Arabien reisen dürfen, um die Kaaba zu umrunden. Es gehört zu den Pflichten jedes Muslims, einmal im Leben nach Mekka zu pilgern. Vorausgesetzt, er oder sie hat genügend Vermögen, um ein Jahr lang ohne Arbeit leben zu können. Diese Voraussetzung können viele Muslime erst in fortgeschrittenem Alter erfüllen.
Jafar Hosseini leitet in Teheran ein Reisebüro, das sich auf Pilgerfahrten spezialisiert hat. Mit der Fahrt nach Mekka musste er nun das wichtigste Ereignis aus seinem Angebot streichen: "Nur Gott weiß, für wie lange noch“, so Hosseini im Gespräch mit der DW. "Die Saudis geben uns keine Einreiseerlaubnis. Und auch unsere eigene Regierung hat uns jetzt verboten, nach Saudi-Arabien zu reisen. Sogar die Iraner außerhalb des Landes wurden vor Reisen dorthin gewarnt."
Über Politik will der knapp 70-jährige gläubige Schiit nicht reden. Aber er verweist auf die saudische Reaktion auf die Katastrophe vom vergangenen Jahr, die er bis heute nicht verstehen kann. Damals waren bei einem Unglück in Mina nahe der heiligen Stadt Mekka Tausende Pilger ums Leben gekommen.
Immer noch weigert sich Saudi-Arabien, die genaue Zahl der Opfer bekannt zu geben. Es ist darüber hinaus immer noch nicht geklärt, was genau in dem lediglich 700 Meter breiten und drei Kilometer langen Tal von Mina geschah. Fest steht: Mehr als zwei Millionen Pilger mussten dieses Tal an einem Tag zwischen Sonnenaufgang und Abenddämmerung passieren.
Den saudischen Behörden zufolge habe es an einer Straßenkreuzung einen Stau gegeben. Dann sei eine Massenpanik ausgebrochen. Saudische Medien haben sogar iranische Pilger für das Chaos verantwortlich gemacht. Umgekehrt wirft der Iran den saudischen Behörden vor, einen Weg in Mina einfach gesperrt und nur lückenhafte Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben. Mindestens 2411 Pilger sollen bei dem Unglück ums Leben gekommen sein. Allein 464 Menschen aus dem Iran sind bei der Pilgerfahrt gestorben. Als einziges Land der islamischen Welt hat der Iran gegen das Verhalten Saudi-Arabiens protestiert und Aufklärung verlangt.
Kalkulierte Provokation
Die Katastrophe von Mina hat das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern weiter belastet. Das Atomabkommen mit dem Iran hat in Riad das Misstrauen gegenüber Teheran deutlich wachsen lassen. "Dieses Abkommen ermöglicht es dem Iran, eine bedeutend wichtigere Rolle in der Region zu übernehmen", analysiert Mohsen Milani vom Zentrum für Strategische und Diplomatische Studien an der University of South Florida in den USA im Gespräch mit DW. "Die Saudis sehen darin einen Neubeginn im iranisch-US-amerikanischen Verhältnis. Genau deswegen versuchen sie die Normalisierung des Verhältnisses zwischen dem Iran und den arabischen Ländern zu verhindern. Dafür halten sie bewusst die Spannung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien hoch."
Vorläufiger Höhepunkt war im Dezember 2015 die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr Baker al-Nimr. Der damals 56-jährige Geistliche aus dem Osten Saudi-Arabiens hatte seine theologischen Studien im Iran abgeschlossen. Wegen seiner Predigten, in denen er mehr Rechte für die schiitische Minderheit forderte, war er mehrmals festgenommen worden.
Irans Reaktion auf seine Hinrichtung war heftig. Nachdem Ayatollah Ali Chamenei das saudische Königreich vor der "Rache Gottes" gewarnt hatte, stürmten ultra-konservative Demonstranten Anfang Januar die saudische Botschaft in Teheran und setzen Teile des Gebäudes in Brand. Das führte zu einer diplomatischen Eiszeit und zeigte zugleich die Machtlosigkeit der reformorientierten Regierung von Staatspräsident Hassan Rohani. Sie konnte nicht einmal die Sicherheit diplomatischer Einrichtungen garantieren.
Das Herrscherhaus in Riad brach seine diplomatischen Beziehungen zu Iran ab. Andere Länder folgten auf saudischen Druck diesem Beispiel. Sogar das kleine Dschibuti machte seine Botschaft in Teheran dicht. "Saudi-Arabien glaubt nicht an Rohani und seine reformorientierte Regierung", analysiert der iranische Journalist und Nahost-Experte Amir Taheri. "Sie wissen: Das letzte Wort im Iran hat der religiöse Führer Ayatollah Chamenei. Konservative Kreise wie einige religiöse Prediger und auch die einflussreiche Revolutionsgarde provozieren systematisch und sind nicht an Deeskalation interessiert.“
Kalter Krieg um die Vormacht am Golf
Das Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien ist seit Irans islamischer Revolution von 1979 gespannt. Der Iran betrachtet sich als Schutzmacht der Schiiten, Saudi-Arabien als Schutzmacht der Sunniten. Sie konkurrieren gleich in mehreren arabischen Staaten um Einfluss: Teheran unterstützt den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, das Königshaus in Riad hingegen die bewaffnete Opposition. Im Jemen wiederum führt das Königreich einen Krieg gegen die Huthi-Rebellen, in denen es Marionetten Teherans sieht. Jede Krise zwischen Iran und Saudi-Arabien hat Konsequenzen für den gesamten Nahen Osten.
"Sie müssen ihren kalten Krieg beenden“, fordert der iranisch-amerikanische Politologe Mohsen Milani. "Sie müssen vor allem eine Lösung im Syrien-Konflikt finden. Wenn dieser Konflikt sich verschärft, wird sich auch die Situation im Irak verschlechtern und die Sicherheit der ganzen Region wird in Mitleidenschaft gezogen."